Der Mythos vom Stau

Glaubt man den Verkehrsplanern und dem Stadtrat in seiner eben publizierten Antwort auf eine Einfache Anfrage, so hat die Stadt St.Gallen ein Stauproblem. Andere sehen das nicht so. Felix Mätzler hat nachgefragt.
Von  Gastbeitrag

St.Gallen führt eine Stau-Debatte. So wird zurzeit darüber diskutiert, in der Liebegg eine Ampel hinzustellen, um den täglichen Stau von der Teufenerstrasse an die Stadtgrenze zu verlagern. Im letzten November wurden Pläne für einen neuen Autobahnanschluss an die A1 vorgestellt. Mit einer grosszügigen Tunnellösung, ebenfalls zur Liebegg, soll dereinst der Stau ins Appenzellerland der Vergangenheit angehören. Das Thema polarisiert.

In seiner Antwort auf eine Einfache Anfrage des EVP-Parlamentariers Markus Knaus stellt der Stadtrat fest, die Stadtautobahn stosse zu den verkehrsreichsten Zeiten an ihre Kapazitätsgrenzen, im Schorentunnel gebe es «ein gravierendes Verflechtungsproblem» und auf den Stadtstrassen rund um die Kreuzbleiche zu wenig Platz. Die umstrittene Teilspange mit Ausfahrt beim Güterbahnhof soll diese Engpässe beseitigen und namentlich den Pendlerverkehr Richtung Teufen und das Appenzellerland auffangen.

Abgeschlagen auf Platz 25

Doch hat St.Gallen überhaupt ein Stauproblem? «Nein», sagt der Automobilist, der täglich vom Appenzellerland in sein Büro in der Innenstadt pendelt – via Teufenerstrasse: «Wenn ich zu Pendlerzeiten komme, dauert das drei Minuten länger.» Auch für Jessica Ladanie von der Nationalen Verkehrsinformationszentrale Viasuisse in Biel, die Staumeldungen für die ganze Schweiz aufbereitet, ist St.Gallen ein vergleichsweise verkehrsarmer Punkt. «Wir melden täglich Staus rund um Zürich, immer wieder aus Bern oder Basel, aber kaum einmal einen aus der Region St.Gallen.»

Zum gleichen Ergebnis kam die Forschungsabteilung der Credit Suisse, die vor einem knappen Jahr den «Pendlerstau-Index» veröffentlichte. Die wissenschaftliche Studie untersuchte die Staubelastung aller Agglomerationen in der Schweiz. Angeführt wird die Statistik von den klassischen Stau-Hotspots, Zürich, Genf, Lausanne und Bern. Alle Städte von vergleichbarer Grösse St. Gallens befinden sich ebenfalls unter den Top-Ten, ausser Luzern, das auf Platz 17 rangiert. St.Gallen dagegen liegt «abgeschlagen» auf Platz 25, gleichauf mit Rapperswil-Jona, hinter Bulle, Olten oder Lenzburg. Knapp hinter St.Gallen rangieren die weiteren Ostschweizer Ortschaften Wil, Frauenfeld und Buchs.

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Stau an der Teufenerstrasse. (Bild: Quartierverein Riethüsli)

Jammern auf hohem Niveau

Die geplante Lichtsignalanlage in der Liebegg wird damit begründet, dass der Öffentliche Verkehr Richtung St.Georgen und Riethüsli zu den Stosszeiten öfters stecken bleibe, da es auf der Teufenerstrasse keine Busspuren hat. Ein Blick auf die «Wemlin-App», die den St.Galler ÖV-Fahrplan samt allen Verspätungen abbildet, zeigt jedoch, dass auf hohem Niveau gejammert wird: Selbst zu Stosszeiten sind die Busse selten mehr als ein bis zwei Minuten im Verzug. Und wenn, dann sind es Postautos von auswärts oder die Busse auf der Ost-West-Transversale, nicht aber auf der Teufenerstrasse.

Ralf Eigenmann, Geschäftsführer der VBSG, gibt jedoch nicht viel auf die Wemlin-Beobachtung, nennt das «eine eigenartige Statistik» und erklärt: «Unsere Busse verzeichnen morgens und vor allem abends auf der Teufenerstrasse regelmässig erhebliche Verspätungen.»

Polizei kann Staus nicht verhindern

«Dass der Verkehrt kollabiert wie in Grossstädten, das kennen wir hier nicht», sagt auch Roman Kohler, der Leiter Kommunikation bei der Stadtpolizei St.Gallen. Zudem sei die Stadtpolizei bei den alltäglichen Staus zu den Hauptverkehrszeiten nicht involviert. Da übernehmen die Lichtsignalanlagen die Verkehrsregelung zuverlässig. Die Polizei brauche es nur in Sondersituationen: «Bei Grossveranstaltungen, wie Olma oder Fussballspiele, und bei Unfällen.» Aber auch bei Unfällen gehe es nicht in erster Linie darum, den Rückstau zu verkürzen, sagt Kohler: «Wir müssen dann garantieren, dass unsere Leute vor Ort die Unfallaufnahme sicher und effizient abwickeln können. Dann fliesst der Verkehr auch am schnellsten wieder»

Unbestritten ist, dass es in St.Gallen eine Situation gibt, die immer wieder zu Staus auf dem ganzen Stadtnetz führt, was dann auch von Viasuisse vermeldet wird: Wenn es auf der Stadtautobahn im Rosenbergtunnel zum Verkehrsunfall kommt und die Autobahn gesperrt werden muss. Dann werden die Fahrzeuge in die Stadt umgeleitet, was den Verkehr dort zum Erliegen bringt. Abhilfe hierfür könnte dereinst der geplante dritte Autobahntunnel bringen.

«Das allein genügt aber nicht», sagt Christian Hasler, Bereichsleiter Verkehr der Stadt St.Gallen: «Auch im Alltag und ohne Unfälle haben wir Probleme bei der Ausfahrt durch den Schorentunnel, weil dort der Verkehr zu Stosszeiten immer wieder auf die Autobahn zurück staut.» Das sei ein «nicht zulässiges Sicherheitsproblem» und könnte sogar zu temporären Schliessungen des Anschlusses führen, ergänzt Hasler. Bisher musste der Anschluss aus diesem Grund jedoch noch nie geschlossen werden.