, 16. November 2021
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«Der Kultursektor braucht ein Ja»

Am 28. November wird zum zweiten Mal über das Covid-19-Gesetz abgestimmt. Alex Meszmer, Geschäftsführer des Dachverbands Suisseculture, erklärt, warum ein Ja für die Kulturbranche wichtig ist.

Alex Meszmer. (Bild: pd)

Saiten: Was würde bei einem Nein am 28. November passieren?

Ales Meszmer: Der Kultursektor käme in Schwierigkeiten, in verschiedener Hinsicht. Das Covid-19-Gesetz behielte zwar noch bis zum 18. März 2022 seine Gültigkeit. Aber das reicht nicht. Wir haben bereits im Sommer verlangt, dass die Massnahmen über Ende 2021 hinaus verlängert werden. Das Parlament hat entsprechende Vorstösse jedoch abgelehnt, so dass die Frage der Verlängerung nicht wie erhofft in der Herbstsession behandelt werden konnte. Bundesrat Maurer bremste mit dem Hinweis, man könne im Herbst dann schauen, wie es der Kulturszene gehe.

Der Bundesrat steht aber hinter einer Verlängerung.

Ja. Nach den Sommerferien hat die Taskforce Culture ihren Bericht zur Lage der Kultur geliefert. Der Bundesrat stimmte am 1. September zu und schickte am 27. Oktober die Botschaft zur Verlängerung der Massnahmen ins Parlament. Zu befürchten ist – und es gibt auch Politiker, die das unverhohlen sagen –, dass bei einem Volks-Nein am 28. November diese Verlängerung politisch vom Tisch wäre. Obwohl sie nicht Thema der Abstimmung ist.

Bis wann braucht es die Hilfsgelder?

Vorgesehen ist: bis Ende 2022. Aber das ist nicht gesichert. Es gibt zumindest in bürgerlichen Parteien Stimmen, die auf ein Ende der Kultur-Unterstützung drängen – weil sie «die Schnauze voll von Corona» hätten. Der Bundesrat sieht vor, die Massnahmen für Kultur und Sport in Artikel 11 des Gesetzes und den Corona-Erwerbsersatz weiterzuführen, nicht jedoch die gesamtwirtschaftlichen Massnahmen. Dass Wirtschaft und Gewerbe unterdessen mit den Folgen der Pandemie zurechtkommen müssten, ist das eine – die Situation im Kulturbereich ist jedoch damit nicht direkt vergleichbar.

Inwiefern?

Die Einbussen im Lockdown und der folgenden Zeit waren massiv. Die Massnahmen haben zwar über die ärgste Krise hinweggeholfen, aber wenn die Hilfe jetzt weg ist, kommt der grosse «Chlapf», den man mit den Covid-Geldern verhindern konnte, einfach verspätet.

IG Kultur Ost empfiehlt ein Ja

Ein Ja zum Covid-19-Gesetz empfiehlt auch der Vorstand der IG Kultur Ost. Die jetzt zur Diskussion stehenden Punkte seien existentiell für viele Player in der Kulturszene. Neu können auch freischaffende Künstlerinnen und Künstler unterstützt werden, die zuvor durch die Maschen des Massnahmen-Netzes gefallen sind. Zudem gibt es einen «Schutzschirm» für Events.

Der Kulturbetrieb bleibe nach wie vor gefährdet. Gemäss einer Umfrage der Taskforce Culture geben nur gerade 21% der befragten Kulturschaffenden an, wieder ein vergleichbares Auftragsvolumen wie vor Corona zu haben. «Mit einem Wort: Der Kultursektor hat Long Covid», schreibt die IG Kultur Ost. Ein Nein am 28. November wäre daher ein fatales Signal.

ig-kultur-ost.ch

Auch wenn der Kulturbetrieb nach und nach wieder in Gang kommt?

Auch dann bleibt vieles schwierig. Die Planungsunsicherheit ist immer noch da, insbesondere bei den grossen Festivals. Ohne Schutzschirm und Ausfallentschädigung wären sie ernsthaft in Frage gestellt. Dann der Produktionsstau: Viele Projekte konnten noch nicht aufgeführt werden. Und das Publikum zögert. Vielerorts sind Vorstellungen nur zur Hälfte verkauft. Das ist eine der grossen Fragen: Wann kommt das Vertrauen des Publikums zurück?

Heisst das für die Kultur, wie für andere Branchen auch, dass ihr «Geschäftsmodell» in Frage gestellt ist – Unterstützung hin oder her?

Das ist die Argumentation von rechts: Kulturveranstaltungen müssten sich halt nach dem Publikumsgeschmack richten und rentabel sein… Natürlich ist es wichtig, dass man Publikum, auch neues, zu erreichen versucht, nach dem Prinzip des «audience development». Das geschieht auch, aber es ändert nichts daran, dass ein grosser Teil der kulturellen Aktivitäten sich damit nicht finanzieren lässt und daher wie bisher auch in Zukunft staatliche Subventionen braucht – unabhängig von der Pandemie. Ich erinnere gern daran, dass die Schweiz die Unesco-Konvention zum Erhalt und zur Förderung der kulturellen Vielfalt unterzeichnet hat. Das heisst: Unterstützung und Erhalt der Kultur sind eine politische Verpflichtung.

Zurück zu den aktuellen Massnahmen: Warum ein Ja zum Covid-Gesetz?

Das jetzige Massnahmenpaket ist sinnvoll, wir haben seit Beginn der Pandemie von Seiten der Verbände dafür gekämpft und seither auch eine Reihe von Verbesserungen durchgebracht. Nicht zuletzt jene, die jetzt zur Debatte stehen: Für Corona-Erwerbsersatz müssen neu «nur» noch 30 Prozent Umsatzeinbusse nachgewiesen werden – was immer noch viel ist. Und die Freischaffenden sind neu ebenfalls unterstützungsberechtigt, womit erstmals überhaupt festgeschrieben gibt, dass es diesen Status überhaupt gibt – ein Erfolg. Ein Nein würde einen grossen Rückschritt bedeuten.

Diese Verbesserungen werden öffentlich allerdings kaum diskutiert und auch nicht in Frage gestellt. Die Gegnerschaft dreht sich nur um das Zertifikat.

Auch das Zertifikat ist für die Kultur essentiell. Dank ihm kann Kultur einigermassen wieder stattfinden. Das gilt für Veranstaltungen im Land, aber auch für Reisen. Die Schweiz ist klein, Kulturschaffende brauchen Auftritte im Ausland, und ohne Zertifikat würde das unglaublich kompliziert. Als Verbände tragen wir die Zertifikatspflicht pragmatisch mit. Das Thema Datenschutz ist aus meiner Sicht ein Scheinargument, da ist jede Google-Suche gefährlicher. Und den Gegnern halte ich vor, dass sie die Konsequenzen nicht zu Ende denken. Coronaleugner sind Pandemiebefürworter – wirklich diskriminierend ist nicht die 3G-Regel, sondern die Haltung, die Krankheit und allfällige Todesopfer in Kauf zu nehmen.

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