Der «Jahrhundertbau» ist eröffnet

Das neu-alte St.Galler Theater ist eingeweiht: mit Spartenvielfalt, Dankeslitaneien, erwartbaren Reden und einer «symbolischen Übergabe», der man eine Regie gewünscht hätte. Tenor des Festakts vom Samstagabend: St.Gallen hat ein Theatergebäude, das dafür gebaut ist, ein «Ort für alle» zu sein.
Von  Peter Surber

Wieder offen: das neu-alte Theater St.Gallen am Samstagabend. (Bild: Su.)

Das grossartigste Lob für das Gebäude hatte Erol Doguoglu zur Hand: ein «Jahrhundertbau». 1968 war das Theater mit seinem wundersamen Sechseck-Grundriss und seinem Beton-Brutalismus eröffnet worden, 2018 sagte die Stimmbevölkerung des Kantons St.Gallen Ja zur 52-Millionen-Renovation – hält das Haus ein weiteres halbes Jahrhundert, dann behält der St.Galler Kantonsbaumeister recht.

Die Voraussetzungen zumindest sind gut: neue Bühnentechnik, neue Sitzpolsterung, verbesserte Akustik, sanierte Werkstätten, höherer Tanzsaal, gendergerechte Toiletten, freundlichere Eingangspartie, ein Aussenspielort zum Stadtpark hin. Für das Publikum ist all das auf Anhieb kaum zu merken – saniert wurde, unter Federführung des Architekturbüros Gähler Flühler Fankhauser, mit aller baukulturellen Rücksicht auf den «ikonischen» und denkmalgeschützten Paillard-Bau.

Kitt für den Ringkanton

Der Dank des Kantonsbaumeisters, der Regierungsrätinnen Susanne Hartmann und Laura Bucher, Stadtpräsidentin Maria Pappa und Theaterdirektor Jan Henric Bogen galt denn auch mehrfach den Handwerker:innen und den Projektverantwortlichen des Kantons, aber auch den Theaterangestellten und last, not least dem Publikum, das Kulturdirektorin Laura Bucher ausdrücklich einlud, «sein» Theater neu zu entdecken.

Bucher betonte den demokratischen Charakter des Gebäudes mit seinen unhierarchischen Strukturen – ein «Theater für alle», wie es andernorts einer historischen «Herrschaftsarchitektur» erst abgerungen werden müsse. Baudirektorin Susanne Hartmann hob ihrerseits den ideellen Mehrwert der Abstimmung von 2018 hervor: Stadt wie Land hätten damals «Ja» gesagt und bewiesen: «St-Gall existe».

Dazu passte, dass ausgerechnet der erste Landammann des komplizierten Ringkantons, Karl Müller-Friedberg, 1805 auch Initiant des ersten ständigen St.Galler Theaters war. Stadtpräsidentin Maria Pappa erinnerte an die frühen Auseinandersetzungen um das Theater, das den Moralaposteln als Brutstätte für «Sittenzerfall» und «Vergnügungslust» galt – und das nur dank dem «damals fortschrittlicheren» Kanton vor der raschen Schliessung gerettet wurde.

Künstlerischer Vorgeschmack

Als «Ort für alle» wolle das Theater zugleich ein «Ort der künstlerischen Exzellenz» sein, sagte Direktor Jan Henric Bogen. Entsprechend liess er in einem revueartigen Programm alle vier Sparten zwischen den Reden ihr Können zeigen.

Mit der Ouvertüre zur Oper «Lili Elbe» gab das Sinfonieorchester unter Chefdirigent Modestas Pitrenas einen Vorgeschmack auf die Uraufführungspremiere vom Sonntagabend – ein schmissiges Stück mit romantischen und jazzigen Anleihen.

Hohe Erwartungen weckte der Auftritt der fast rundum neuen Tanzkompanie mit Ausschnitten aus zwei Choreographien ihres ersten Tanzabends (Premiere am 24. November): ein anspielungsreicher Pas de trois von Johan Inger und ein hoch energetisches Ensemble von Hofesh Shechter.

Mitglieder des Schauspielensembles blickten ebenfalls voraus: mit Szenen aus der Komödie «Extrawurst» und aus «Black Rider», zwei Produktionen, die 2024 zu sehen sein werden.

In Fidelios Kerker

Daneben durfte Beethovens «Fidelio» nicht fehlen, die Oper, mit der 1968 das Theater eingeweiht und die 2018 zum 50-Jahr-Jubiläum erneut inszeniert worden war. Jan Henric Bogen hielt dazwischen ein Plädoyer für ein Theater, das «immer im Hier und Jetzt» stattfinde, auch wenn es Werke der Vergangenheit neu inszeniere. Eine solche «Kontextualisierung» (Bogen) fehlte hier dann aber: Leonores und Florestans Liebessehnen, mit den Solisten Libby und Christopher Sokolowski, hatte kaum Bezug zum neu-alten Theater, und der Chor der Gefangenen («Der Kerker ist Gruft») allenfalls einen ironischen.

Zum Schluss zauberten die Regierungsrätinnen Hartmann und Bucher hinter einem goldenen Tuch ein Modell des Theaterbaus hervor, das vielleicht eine Torte war oder auch nicht – das Publikum wurde über das Werk, dessen Urheber und dessen Sinnhaftigkeit im Dunkeln gelassen und dann wortlos zum Apéro riche geschickt.

Ein missglückter magistraler Abgang, aber vielleicht der Vorbote einer glänzenden Spielzeit. In dem Sinn: Hals- und Beinbruch!