Der Gare de Lion wird saniert

Die Zuschauerränge waren diesmal deutlich besser besetzt als auch schon. In schwarzen Hoodies und Shirts verfolgten die altersdurchmischten «Kulturlöwen» die Diskussion über die Zukunft «ihrer» Heimstätte. Denn nichts Geringeres als die Weiterexistenz des Kulturbahnhofs Gare de Lion wurde am Donnerstagabend in der Tonhalle, wo das Wiler Stadtparlament tagt, verhandelt.
Besonders engagiert eingebracht in die Debatte haben sich Timo Raebsamen (SP) und auf der Gegenseite Marco Albrecht (SVP), beides relativ regelmässige Besucher des wichtigsten alternativen Kulturbetriebs der Äbtestadt. Und beide auch Mitglied der Bau- und Verkehrskommission (BVK), die dieses Geschäft vorberaten hat. Und im Grunde waren sie sich einig: Der Gare de Lion soll noch viele Jahrzehnte über die Region hinausstrahlen, muss hierfür aber dringend saniert werden.
Die Vorlage im Detail
Der Wiler Stadtrat beantragt beim Stadtparlament einen Bruttokredit über 4,3 Millionen Franken für die Sanierung des Gare de Lion. Der Stadtrat spricht beim Gare de Lion von einem Investitionsstau, der dazu führte, dass die Infrastruktur längst nicht mehr mit der Bedeutung des Lokals mithalten könne. Die Mängelliste ist lang: Das Büro dient gleichzeitig als Lager, mehrere externe Lager mussten dazugemietet werden, im Backstagebereich musste der durchgefaulte Boden immer wieder notdürftig geflickt werden, undichte Dächer gefährden die technischen Gerätschaften, der Gastrobereich erfüllt nur noch knapp die hygienischen und betrieblichen Anforderungen.
Nun soll die ehemalige Bahnremise der Mittelthurgaubahn von Einbauten befreit und auf ihre Grundkonstruktion zurückgebaut werden. Besonders markant wird der gegenläufige Knick im Giebeldach, mit dem sich das Dach gegen die Bahnlinie hin wieder öffnet. Im Zentrum soll der Saal stehen, die Nebenräume (Kasse, Garderobe, Leitungsbüro und Bandräume) liegen im südlichen Seitenschiff, sanitäre Anlagen, Bar und Lagerflächen nördlich. Ein grosszügiger Backstagebereich soll den Konzertbetrieb weiter professionalisieren. Eine Monoblock-Lüftung ohne Kühlung wird neu eingebaut. Eine Erdsonde und die bestehende Bodenheizung sorgen für die erforderliche Wärme. Auf dem Dach gegen Süden wird für die Technischen Betriebe Wil eine PV-Anlage montiert. Auf die Aufwertung des Aussenbereichs wird als Sparmassnahme verzichtet. Allerdings soll die Bar über ein Fenster auch Gäste ausserhalb des Gebäudes bedienen können.
Mit dem Ja zum Sanierungskredit für den Gare de Lion spricht das Wiler Stadtparlament ausserdem einen Betrag über 180’000 Franken für die zusätzliche Erschliessung von Süden und den Anschluss an die Fuss- und Veloverbindung Richtung Wil West, sofern diese realisiert wird. Zudem wird der Stadtrat ermächtigt, das Baurecht mit der Silo AG, der das Grundstück gehört, neu zu verhandeln und zu verlängern. Das aktuelle Baurecht läuft 2056 aus. (hrt)
Raebsamen konterte die im Vorfeld der Ratsdebatte laut gewordenen Vorwürfe einiger SVP-Exponent:innen, dem Gare de Lion werde mit einem Sanierungskredit über 4,3 Millionen Franken eine «Luxusvariante» serviert. Es stimme, so Raebsamen, dass das viel Geld sei – immerhin rund 2 Prozent des städtischen Budgets für 2024. Aber die Stadt habe während des über 30-jährigen Bestehens des Kulturorts nur minimal investiert, und die Notwendigkeit der baulichen Massnahmen sei unbestritten. Es sei heuchlerisch, wenn behauptet werde, mit dem vorliegenden Projekt des St.Galler Architekturbüros Barão-Hutter komme dem Ort sein «spezieller Charakter» abhanden. Wenn damit gemeint sei, dass man endlich ausreichend Platz für Lager- und andere Nebenräume, eine funktionierende Lüftung etc. meine, dann ja, dann ginge möglicherweise etwas verloren. Allerdings etwas, das niemand vermisst.
Keine Luxus-, sondern eine Minimalvariante
Mike Sarbach von den Grünen prowil und seit Jahren engagiert im Betrieb und Verein vom Gare de Lion sekundierte: Der Sanierungsbedarf sei unbestritten, das hätten auch sämtliche vorberatenden Kommissionsmitglieder bei einem Augenschein erkannt. Die Projektkosten seien schon immer im Fokus der Diskussionen gestanden und jetzt liege nicht eine Luxus-, sondern eine Minimalvariante mit klarem Fokus auf Funktionalität vor. So seien bereits diverse, nicht zwingend als notwendig erachtete Elemente ersatzlos gestrichen worden, zum Beispiel die gesamte Aussenraumgestaltung.
Hier hakte die Mitte/EVP-Fraktion ein mit ihrem Antrag auf Streichung von 60’000 Franken aus dem Projektkredit für Kunst am Bau. Der Antrag wurde mit 26 zu 14 Stimmen angenommen.
Andreas Hüssy (SVP) war Wortführer der kleinen Minderheit an Grundsatzkritiker:innen im Parlament. Er merkte an, dass die Stadtregierung 2020 von der parlamentarischen BVK damit beauftragt worden sei, die Projektkosten bei 2,5 Millionen Franken zu deckeln. Ausserdem hätte auch ein kompletter Neubau zumindest geprüft werden sollen. Diesen Aufträgen sei der Stadtrat mit seiner Vorlage nicht nachgekommen. Hüssy beantragte daher, gar nicht darauf einzutreten und das Geschäft an die Stadtregierung zurückzuweisen, blitzte damit im Parlament aber überdeutlich ab. Auch sein letzter Angriff, den 4-Millionen-Kredit via Ratsreferendum vors Stimmvolk zu bringen, scheiterte. Grosses Aufatmen bei den Kulturlöw:innen.
Stadträtin Ursula Egli, Vorsteherin des Departements Bau, Umwelt und Verkehr, hat sich gegen den Rückweisungsantrag ihres Parteikollegen ausgesprochen. Sie wolle dereinst nicht mitverantwortlich gemacht werden, sollte der Gare de Lion schliessen müssen, weil man ihn baulich vernachlässigt hat. Die Mehrkosten gegenüber dem früheren Kostendach seien auf den unumgänglichen Ausbau der Nebenräumlichkeiten zurückzuführen. «Mit 60 Prozent des Geldes gibt es auch nur 60 Prozent des benötigten Raumes», so die Stadträtin.
Die breite politische Unterstützung für den Gare de Lion begann sich schon früh in der Debatte abzuzeichnen. Dass nach der Durchberatung von drei Kürzungsanträgen die Gesamtvorlage schliesslich mit 30 zu 8 Stimmen so deutlich angenommen wurde, überraschte allerdings doch etwas. Einzig die SVP-Fraktion stimmte mehrheitlich dagegen.
Verein muss 230’000 Franken beisteuern
Nicht zu diesen Neinsager:innen zählte Marco Albrecht, der noch immer lieber von der «Remise» spricht und in seinem Votum im Namen der SVP-Fraktion betonte, dass die meisten Fraktionsmitglieder zu 100 Prozent hinter dem Gare de Lion stünden und das langjährige Engagement des Betreibervereins nicht hoch genug geschätzt werden könne. Er persönlich sprach sich denn auch nicht für den Kürzungsantrag der BVK – der er selber angehört – zulasten des Betreibervereins über 355’000 Franken aus, sondern für den tiefer angesetzten der Grünen-Fraktion über 230’000 Franken. Es gehe ihm vor allem darum, vom Verein die Bereitschaft zur finanziellen Beteiligung zu spüren, die Höhe des Betrags sei dabei für ihn schon fast zweitrangig.
Im Vorfeld hatte teils für Unmut gesorgt, dass sich der Verein angeblich nicht an den Sanierungskosten beteiligen wolle – die über 1000 Freiwilligenstunden, die die Betreiber:innen jährlich leisten, wurden in solchen Voten natürlich verschwiegen. Die Vertreter:inn des Vereins im Parlament entgegneten allerdings, man habe stets Bereitschaft zur Beteiligung signalisiert.
Um die politischen Wogen etwas zu glätten, wurde verschiedentlich vorsondiert, welchen finanziellen Beitrag, von dem im Bericht und Antrag der Stadtregierung nichts steht, der Verein stemmen könnte. Die Forderung der BVK unterlag im Parlament dem etwas moderateren Betrag von 230’000 Franken, den die Grünenfraktion vorgeschlagen hatte. Nicht um dem Gare de Lion zu schaden, wie ihr Fraktionssprecher Guido Weck betonte, sondern im Gegenteil um das Projekt politisch nicht zu gefährden.
Diese 230’000 Franken muss der Verein nun auftreiben. Und will er die Kunst am Bau doch noch realisieren, kommen nochmals 60’000 Franken obendrauf. Das müsste doch zu schaffen sein für eine kreative Institution, die schon so viel erreicht hat in ihrer Geschichte. Mehr politischen Goodwill kann sich eine Kulturinstitution wie der Gare de Lion jedenfalls gar nicht wünschen.