Der Dornröschenschlaf dauert an

Vorerst bilden sich im Untergrund des Güterbahnhofareals keine Blechlawinen. (Bilder: GAFFA)

Die Entwicklung des St.Galler Güterbahnhofareals wäre durch den Bau eines Autobahnanschlusses auf Jahre blockiert gewesen. Das Nein der Stimmberechtigten eröffnet zwar neue Perspektiven, geplant wird trotzdem nicht so bald.

Das St.Gal­ler Gü­ter­bahn­hof­are­al ist wie Dorn­rös­chen: Seit Bund, Kan­ton und Stadt St.Gal­len dort ih­re Plä­ne für ei­nen neu­en in­ner­städ­ti­schen Au­to­bahn­an­schluss prä­sen­tiert hat­ten, liegt es im Tief­schlaf. Zwar gab es ei­ne Test­pla­nung für ei­ne spä­te­re Über­bau­ung, doch ei­ne sol­che hät­te noch vie­le Jah­re lang nicht rea­li­siert wer­den kön­nen. Denn der Au­to­bahn­an­schluss war ein Kor­sett. Dort, wo der un­ter­ir­di­sche Krei­sel und die Tun­nels zu den Por­ta­len am nord­öst­li­chen und süd­west­li­chen En­de des Are­als ge­plant wa­ren, wä­re ober­ir­disch ei­ne «Bau-Sperr­zo­ne» ge­we­sen. Das Nein der Stimm­be­rech­tig­ten zu den Au­to­bahn­aus­bau­ten von En­de No­vem­ber hat nicht nur St.Gal­len vom Au­to­bahn­an­schluss er­löst, son­dern das gan­ze Are­al vom Kor­sett be­freit. 

Doch wie geht es nun wei­ter? «Wenn man ein sol­ches Gross­pro­jekt hat, gibt es kei­nen Plan B, den man aus der Schub­la­de zie­hen kann, wenn die­ses nicht zum Flie­gen kommt», sagt Stadt­rat Mar­kus Busch­or. Die Stadt wer­de das wei­te­re Vor­ge­hen nun mit den bei­den gröss­ten Grund­ei­gen­tü­mern, dem Kan­ton und den SBB, be­spre­chen. Da­bei sei es «wich­tig, dass wir ei­ne ak­ti­ve Rol­le ein­neh­men». Das ver­steht sich al­ler­dings von selbst, nicht nur we­gen des städ­te­bau­li­chen In­ter­es­ses an ei­ner qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Über­bau­ung: So­bald al­le Am­peln für den neu­en Cam­pus der Uni­ver­si­tät St.Gal­len am Platz­tor und da­mit auf städ­ti­schem Bo­den auf Grün ste­hen, kommt es zum Land­tausch zwi­schen der Stadt und dem Kan­ton. 

Auch wenn sich durch den Weg­fall des Au­to­bahn­an­schlus­ses die Rah­men­be­din­gun­gen für die Über­bau­ung des Gü­ter­bahn­hof­are­als ge­än­dert hät­ten, bil­de­ten die Re­sul­ta­te der 2022 durch­ge­führ­ten Test­pla­nung ei­ne Grund­la­ge, auf der man der­einst beim Wett­be­werb auf­bau­en kön­ne, sagt Busch­or. «Wir müs­sen nicht bei Null an­fan­gen.» Das be­stä­tigt An­dy Senn: «Un­ser Vor­schlag war von An­fang an so an­ge­legt, dass er auch für ein Are­al oh­ne Au­to­bahn­an­schluss gül­ti­ge Aus­sa­gen macht», so der St.Gal­ler Ar­chi­tekt, des­sen Bü­ro da­mals das Sie­ger­pro­jekt ent­wor­fen hat. 

Was die mög­li­che Be­bau­ung des Are­als be­zie­hungs­wei­se die Grös­se und Plat­zie­rung der neu­en Ge­bäu­de oder die Ge­stal­tung des Frei­raums be­trifft, än­dert sich al­so nicht viel. Oh­ne die bei­den Tun­nel­por­ta­le kön­ne man die Er­schlies­sung des Are­als «neu den­ken», sagt Busch­or. Senn er­gänzt, dass nun so­gar das ehe­ma­li­ge Trans­for­ma­to­ren­häus­chen bei der St.Le­on­hard­brü­cke in der be­stehen­den Grös­se ste­hen blei­ben kön­ne. Auch wei­te­re Ge­bäu­de­ab­brü­che sei­en un­nö­tig: «Wich­tig ist der in­te­gra­le Er­halt des Gü­ter­bahn­hof­ge­bäu­des in­klu­si­ve Zoll­ge­bäu­de und auf der gan­zen Län­ge, denn es ist ein Iden­ti­fi­ka­ti­ons­punkt des Are­als.» Busch­or stimmt dem zu: Es loh­ne sich sehr, die be­stehen­den Bau­ten zu er­hal­ten. «Wenn man et­was von der Iden­ti­tät ei­nes Or­tes er­hal­ten kann, gibt das oft ei­nen gu­ten Im­puls für die Ent­wick­lung ei­nes sol­chen Are­als.» 

Zu­erst kommt die Orts­plan­re­vi­si­on 

Ein Teil des Kor­setts war auch die zeit­li­che Kom­po­nen­te: Beim Bau des Au­to­bahn­an­schlus­ses hät­te das Are­al erst nach 2040 ent­wi­ckelt wer­den kön­nen, weil man es für die In­stal­la­ti­ons­flä­chen ge­braucht hät­te. Die­se Ein­schrän­kung ent­fällt jetzt eben­falls. Doch wer denkt, dass es mit der Are­al­ent­wick­lung nun schnell vor­wärts ge­hen wird, sieht sich entäuscht. Aus sei­nem Dorn­rös­chen­schlaf wird das Gü­ter­bahn­hof­are­al nicht all­zu bald er­wa­chen. Nicht et­wa, weil es an Prin­zen feh­len wür­de, die es lie­ber heu­te als mor­gen wach­küs­sen möch­ten, son­dern weil die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen ei­nen so schnel­len Kuss schlicht nicht er­mög­li­chen. 

Grund da­für ist die Ge­samt­re­vi­si­on der Orts­pla­nung (OPR). Das neue kan­to­na­le Pla­nungs- und Bau­ge­setz, das seit 2017 in Kraft ist, ver­pflich­tet sämt­li­che Ge­mein­den da­zu, ih­re Zo­nen­plä­ne und Bau­re­gle­men­te an das neue Recht an­zu­pas­sen. Die Stadt St.Gal­len ar­bei­tet seit 2017 dar­an. Die Lie­gen­schaf­ten-, Wohn­raum-, Frei­raum- und In­nen­ent­wick­lungs­stra­te­gien, die sie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren er­ar­bei­tet hat, flies­sen in die neue OPR eben­so ein wie der Richt­plan, den das Stadt­par­la­ment 2023 ei­ner An­pas­sung un­ter­zo­gen hat, und das Stadt­raum­kon­zept, das die Stadt vor ei­nem Jahr vor­ge­stellt hat. 

Die neue OPR soll bis En­de 2027 öf­fent­lich auf­ge­legt wer­den, sagt Bau­di­rek­tor Mar­kus Busch­or. Das ist knapp drei Jah­re spä­ter als ur­sprüng­lich vor­ge­se­hen. Die Ver­spä­tung ist der Kom­ple­xi­tät der Re­vi­si­on und dem Vor­zie­hen der Richt­pla­n­an­pas­sung ge­schul­det. Da­nach geht es noch­mal ein paar Jah­re. Bei der öf­fent­li­chen Auf­la­ge sind Ein­spra­chen von den je­wei­li­gen Grund­ei­gen­tü­mer:in­nen mög­lich. Schliess­lich folgt das Be­wil­li­gungs­ver­fah­ren durch den Kan­ton. «Wenn es op­ti­mal läuft, ist die neue Orts­pla­nung 2032 rechts­kräf­tig», sagt Busch­or. 

Das hat des­halb ei­nen Ein­fluss auf die Ent­wick­lung des Gü­ter­bahn­hof­are­als, weil ein so­for­ti­ger Pla­nungs­be­ginn nicht sinn­voll wä­re. Denn es ist klar, dass es für ei­ne Über­bau­ung, wie sie die Test­pla­nung vor­schlägt, ei­nen Son­der­nut­zungs­plan brau­chen wird. Die­sen in den ver­blei­ben­den knapp drei Jah­ren bis zur öf­fent­li­chen Auf­la­ge der OPR rechts­kräf­tig durch al­le In­stan­zen zu brin­gen, ist bei ei­nem Pro­jekt die­ser Di­men­si­on schlicht nicht rea­lis­tisch. 

Die Orts­plan­re­vi­si­on ist für die Stadt auch bei al­len an­de­ren grös­se­ren Bau­vor­ha­ben, die in den kom­men­den Jah­ren in An­griff ge­nom­men wer­den sol­len, ein Hin­der­nis. «Es wird ei­ne gros­se Her­aus­for­de­rung, ei­nen Still­stand von vier bis fünf Jah­ren zu ver­hin­dern», sagt Busch­or. Die Stadt un­ter­nimmt des­halb gros­se An­stren­gun­gen, die lau­fen­den grös­se­ren pri­va­ten Pla­nun­gen nach al­tem Recht ab­zu­schlies­sen. So­bald die OPR öf­fent­lich auf­liegt kön­nen neue Son­der­nut­zungs­plä­ne nach neu­em Recht auf­ge­legt wer­den. 

Ei­nen «Schön­heits­feh­ler» gilt es eben­falls noch zu be­sei­ti­gen: Bei der Teil­re­vi­si­on des städ­ti­schen Richt­plans hat das Stadt­par­la­ment – ge­gen den Wi­der­stand der Bür­ger­li­chen und des Stadt­rats – sämt­li­che Ele­men­te des Au­to­bahn­an­schlus­ses ge­stri­chen. Was da­mals von des­sen Be­für­wor­ter:in­nen als Sym­bol­po­li­tik ab­ge­tan wur­de, ent­puppt sich im Nach­hin­ein als rich­ti­ger Schritt. Im kan­to­na­len Richt­plan, der dem städ­ti­schen über­ge­ord­net ist, ist der Au­to­bahn­an­schluss Gü­ter­bahn­hof je­doch im­mer noch ent­hal­ten. Bei den Ge­sprä­chen mit dem Kan­ton über das wei­te­re Vor­ge­hen wer­de der Um­gang mit die­ser Tat­sa­che ein wich­ti­ger Punkt sein, sagt Busch­or. Und der Bau­di­rek­tor zeigt sich «zu­ver­sicht­lich, dass die Re­gie­rung und der Kan­tons­rat das eid­ge­nös­si­sche und das städ­ti­sche Ab­stim­mungs­er­geb­nis ge­büh­rend wür­di­gen wer­den». 

Viel­falt an Nut­zun­gen ist zen­tral 

Ei­ne zen­tra­le Fra­ge ist, wel­che Nut­zun­gen es der­einst im Gü­ter­bahn­hof­are­al ge­ben soll. Mar­kus Busch­or be­tont, dass ei­ne mög­lichst gros­se Durch­mi­schung un­ab­ding­bar sei: Woh­nen, wert­schöp­fen­de Dienst­leis­tungs­be­trie­be, Klein­ge­wer­be, Krea­tiv­wirt­schaft. Aber auch für Bil­dungs­stät­ten sei­en sol­chen zen­trums­na­hen Bahn­area­le dank ih­rer gu­ten Er­schlies­sung ge­ra­de­zu prä­de­sti­niert. 

Die Durch­mi­schung müs­se es auch beim Wohn­an­ge­bot ge­ben, sagt der Bau­di­rek­tor. In der Ham­bur­ger Ha­fen­ci­ty bei­spiels­wei­se ha­be die Po­li­tik je­dem In­ves­tor ei­ne Quo­te für ge­mein­nüt­zi­ge und So­zi­al­woh­nun­gen vor­ge­schrie­ben, da­mit kei­ne Mo­no­kul­tur aus teu­rem Wohn­ei­gen­tum ent­steht. Und bei der Test­pla­nung des Gü­ter­bahn­hof­are­als sei­en sich die Fach­leu­te ei­nig ge­we­sen, dass es auch dort Po­ten­zi­al für viel­fäl­ti­ge Nut­zun­gen und Wohn­for­men ge­be. «Es ist durch­aus denk­bar, dass dort auch ge­nos­sen­schaft­li­che Woh­nun­gen ent­ste­hen.» 

Für Ar­chi­tekt An­dy Senn ist ei­ne ge­lun­ge­ne Mi­schung bei der Ent­wick­lung des Are­als zen­tral: «Was nicht pas­sie­ren darf: ein Quar­tier mit nur ei­ner Nut­zung. Kei­ne Eu­ro­pa­al­lee mit nur Lä­den, Re­stau­rants und Bü­ros, kein kan­to­na­les Jus­tiz­zen­trum, aber auch kein neu­es Blei­che­li mit rei­nen Bü­ro­bau­ten und oh­ne Woh­nun­gen.» Ge­ra­de das Blei­che­li sei zum «Mahn­mal» ge­wor­den: Dort stün­den jetzt vie­le Qua­drat­me­ter leer, seit die Raiff­ei­sen­bank ei­nen Teil der Ar­beits­plät­ze in den «Cir­cle» am Flug­ha­fen Zü­rich ver­legt ha­be. Die­se Flä­chen zu fül­len sei schwie­rig, sie in Woh­nun­gen um­zu­nut­zen teu­er. «Man hät­te von An­fang an ein ge­misch­tes Quar­tier bau­en müs­sen», sagt Senn. «Dar­aus müs­sen wir ler­nen.» 

Es brau­che auf dem Gü­ter­bahn­hof­are­al Woh­nen, Ar­bei­ten und Frei­zeit und ei­nen men­schen­freund­li­chen Aus­sen­raum für Fuss­gän­ger:in­nen und den Lang­sam­ver­kehr. «Das Quar­tier soll­te aus klei­nen Ein­hei­ten wach­sen kön­nen.» Man müs­se da­für wei­te­re pro­vi­so­ri­sche Nut­zun­gen zu­las­sen, al­so mehr Lat­tich-Ähn­li­ches. So könn­te das Quar­tier har­mo­nisch wach­sen. Es könn­te vor­erst ein Neu­bau rei­chen, zum Bei­spiel ein Ak­zent in Form des vor­ge­schla­ge­nen Turms am west­li­chen En­de des Are­als. Die Stadt könn­te dort auch sel­ber mal et­was wa­gen, sel­ber bau­en. 

Neu­bau­woh­nun­gen sind ge­fragt 

Je­des Jahr wer­den in St.Gal­len ein paar hun­dert neue Woh­nun­gen er­stellt. «2024 hat­ten wir so­gar ei­nen neu­en Re­kord an neu be­wil­lig­ten Woh­nun­gen. Und es gibt di­ver­se Pro­jek­te, die be­reits auf­ge­gleist, aber noch nicht be­wil­ligt sind», sagt Busch­or. Nimmt man die Ge­bäu­de aus der Test­pla­nung als Re­fe­renz­grös­se, könn­ten im Gü­ter­bahn­hof­are­al bis zu 500 neue Woh­nun­gen ent­ste­hen. 

Doch gibt es in der Stadt St.Gal­len über­haupt Be­darf für so vie­le Woh­nun­gen, selbst an so ei­ner zen­tra­len La­ge? Im­mer­hin wa­ren per Stich­tag 1. Ju­ni 2024 knapp 1000 Woh­nun­gen frei. Das ent­spricht ei­ner Leer­woh­nungs­zif­fer von 2,1 Pro­zent – sie ist fast dop­pelt so hoch wie schweiz­weit mit 1,08 Pro­zent. Al­ler­dings ist die Leer­woh­nungs­zif­fer in den ver­gan­ge­nen Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich ge­sun­ken, 2020 lag sie noch bei 3 Pro­zent. Im glei­chen Zeit­raum nahm die Wohn­be­völ­ke­rung der Stadt zu: Von En­de 2020 bis En­de 2024 stieg sie von 79’990 auf 83’164 Ein­woh­ner:in­nen, das ist ein Plus von fast 4 Pro­zent. Die Zahl der Haus­hal­te ist zwi­schen 2020 und 2024 in ähn­li­chem Mass um 3,6 Pro­zent ge­stie­gen, von knapp 39’300 auf rund 40’700. 

Nach­fra­ge bei ei­nem Im­mo­bi­li­en­ex­per­ten: Ro­bert Wei­nert ist Re­se­arch-Chef bei Wüest Part­ner. Der Wit­ten­ba­cher lebt schon seit meh­re­ren Jah­ren in der Nä­he von Zü­rich, ist aber re­gel­mäs­sig in der «al­ten Hei­mat» und kennt St.Gal­len gut. Wie be­ur­teilt er die Woh­nungs­si­tua­ti­on in der Kan­tons­haupt­stadt? Von den zehn gröss­ten Schwei­zer Städ­ten sei St.Gal­len – ne­ben Lu­ga­no – je­ne mit dem ge­rings­ten Nach­fra­ge­druck. «Woh­nungs­knapp­heit ist in vie­len Städ­ten ein The­ma, in St.Gal­len we­ni­ger. Hier gibt es ei­nen ge­sun­den Leer­stand», sagt Wei­nert. Die­sen mach­ten je­doch vor al­lem Alt­bau­woh­nun­gen aus. Neu­bau­ten hin­ge­gen sei­en schnell ver­mie­tet oder ver­kauft, wenn das Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis stim­me. Vie­le wür­den sich den Lu­xus gön­nen, für mehr Qua­li­tät in ei­ne teu­re­re neue Woh­nung um­zu­zie­hen – auch Fa­mi­li­en. «Es hat aber nicht un­end­lich viel Luft nach oben und funk­tio­niert nicht für al­le», sagt Wei­nert. 20 bis 30 Pro­zent der Schwei­zer Haus­hal­te müss­ten ge­nau kal­ku­lie­ren, wie viel Geld sie für die Mie­te auf­wen­den kön­nen. Vie­le Haus­hal­te kön­nen es sich aber leis­ten, ein paar hun­dert Fran­ken mehr aus­zu­ge­ben im Mo­nat. 

Die Nach­fra­ge nach zen­trums­na­hen Woh­nun­gen sei al­ler­dings in St.Gal­len hoch, sagt Wei­nert. Das lie­ge auch an der ho­hen Zahl von Ein- und Zwei­per­so­nen­haus­hal­ten – die­se ma­chen zu­sam­men drei Vier­tel al­ler St.Gal­ler Haus­hal­te aus. Ge­ra­de Dop­pel­ver­die­ner oh­ne Kin­der könn­ten sich sol­che zen­trums­na­hen Woh­nun­gen leis­ten. 

Die In­ves­to­ren wol­len Klar­heit 

Trotz des ver­gleichs­wei­se ge­rin­gen Nach­fra­ge­drucks auf Woh­nun­gen sei St.Gal­len für In­ves­to­ren in­ter­es­sant, sagt Wei­nert. Nach dem An­stieg des Leit­zin­ses zwi­schen Früh­ling 2022 und Som­mer 2023 in­fol­ge der stei­gen­den In­fla­ti­on nach der Co­ro­na-Pan­de­mie und we­gen des rus­si­schen An­griffs auf die Ukrai­ne sei das In­ves­to­ren­in­ter­es­se zwar fast in der gan­zen Schweiz ge­sun­ken, doch seit der Leit­zins vor ei­nem knap­pen Jahr zu sin­ken be­gann, ha­be es wie­der zu­ge­nom­men. Vie­le in­sti­tu­tio­nel­le An­le­ger, et­wa Pen­si­ons­kas­sen, spür­ten wie­der den Druck, An­la­ge­mög­lich­kei­ten zu fin­den. Zu­dem wer­de Bau­land im­mer knap­per. Gros­se Ent­wick­lungs­area­le wie beim Gü­ter­bahn­hof oder in St.Fi­den sei­en des­halb be­gehrt. 

Die­se Ein­schät­zung teilt Chris­ti­an Wick von der St.Gal­ler Im­mo­bi­li­en­dienst­leis­te­rin Mett­ler Ent­wick­ler. St.Gal­len sei zwar kein so in­ter­es­san­ter In­ves­to­ren­markt wie Zü­rich oder Win­ter­thur und ha­be ei­nen re­la­tiv ho­hen Leer­woh­nungs­be­stand, so­gar ei­nen hö­he­ren als bei­spiels­wei­se Buchs SG. Das sei wohl dar­auf zu­rück­zu­füh­ren, dass «fal­sche» Woh­nun­gen auf dem Markt sind. «Zeit­ge­nös­si­scher Woh­nungs­bau an so zen­tra­ler La­ge funk­tio­niert si­cher», sagt Wick. Zu­sätz­li­cher Be­darf an Ge­wer­be- oder Bü­ro­flä­chen sei in St.Gal­len hin­ge­gen kaum vor­han­den. Die­se Aus­sa­ge stützt der Blick auf die frei­en Flä­chen, die auf der Web­site der Stadt aus­ge­schrie­ben sind (oh­ne In­dus­trie): Rund 26’000 Qua­drat­me­ter sind zu ha­ben. 

Wick be­tont, dass Mett­ler Ent­wick­ler – wie al­le an­de­ren In­ves­to­ren – für ein En­ga­ge­ment Pla­nungs­si­cher­heit brau­chen. Ent­we­der ge­hö­re ih­nen ein Grund­stück, oder sie wür­den in ei­nem Ver­fah­ren re­spek­ti­ve Wett­be­werb als In­ves­to­ren aus­ge­wählt. Kein ge­si­cher­tes Grund­stück und kei­ne Pla­nungs­si­cher­heit sei­en für Ent­wick­ler «to­xisch». «Die Stadt muss sich al­so im Kla­ren sein, was sie auf dem Gü­ter­bahn­hof­are­al will und wie sie die­ses Ziel er­reicht.» 

Ähn­lich tönt es bei HRS: «Das In­ter­es­se von Ent­wick­lern an die­sem zen­tra­len und gut er­schlos­se­nen Ort mit ei­ner span­nen­den Grös­se ist si­cher­lich gross. Das­sel­be gilt na­tür­lich auch für In­ves­to­ren», sagt Mi­cha­el Brei­ten­mo­ser, Mit­glied der Ge­schäfts­lei­tung und Lei­ter Im­mo­bi­li­en­ent­wick­lung Ost. An die­sem Stand­ort sei vie­les mög­lich, von Woh­nen in jeg­li­cher Form bis hin zu Bü­ro- und Dienst­leis­tungs­nut­zun­gen oder schu­li­schen An­ge­bo­ten. «HRS hät­te de­fi­ni­tiv ein gros­ses In­ter­es­se, an die­sem Ort mit­zu­wir­ken und sei­ne Kom­pe­tenz ein­zu­brin­gen.» 

Auch der aus St.Gal­len stam­men­de «Hoch­par­terre»-Re­dak­tor Mar­cel Bäch­ti­ger sagt, dass ei­ne durch­misch­te Über­bau­ung mit Woh­nen, Ge­wer­be und Frei­zeit­an­ge­bo­ten so nah am Zen­trum si­cher funk­tio­nie­re. «Schliess­lich ge­hen al­le von ei­nem wei­te­ren Be­völ­ke­rungs­wachs­tum aus, auch wenn St.Gal­len dies­be­züg­lich nicht an der Spit­ze steht. In­nen­ver­dich­tung in den Städ­ten bleibt ein The­ma.» Area­le wie Gü­ter­bahn­hof, St.Fi­den oder Bahn­hof Nord sei­en auch wich­tig, da­mit die Hü­gel und der Grü­ne Ring nicht wei­ter über­baut wür­den. Ide­al wä­re ge­mäss Bäch­ti­ger ei­ne öf­fent­li­che An­ker­nut­zung mit Bi­blio­thek, Uni­ver­si­tät oder ähn­li­chem. In St.Gal­len ha­be man aber bis­her we­nig Ver­ständ­nis für so gros­se Wür­fe ge­zeigt. 

Die Zeit wird zei­gen, ob es im Gü­ter­bahn­hof­are­al ir­gend­wann zu ei­nem gros­sen Wurf kom­men wird. Für vie­le mag es er­nüch­ternd sein, dass Dorn­rös­chens Tief­schlaf noch ein paar Jah­re dau­ern wird. Im­mer­hin schei­nen in­zwi­schen al­le Ver­ant­wort­li­chen be­grif­fen zu ha­ben, wel­ches Po­ten­zi­al in die­ser so wert­vol­len in­ner­städ­ti­schen Flä­che schlum­mert. Und dank des Neins zu den Au­to­bahn­aus­bau­ten wird es sich hof­fent­lich ent­fal­ten kön­nen.