Der Dachs lebt wieder als tote Katze

Dachs gibt es seit 2012, seit rund drei Jahren ist es das Soloprojekt des St.Galler Musikers Basil Kehl. (Bild: Noelle Guidon)

Nach zweijähriger Schaffenspause erscheint mit der EP Toti Chatz neue Musik von Dachs. Basil Kehl singt darauf über Alltagsrassismus, seine Identität als Musiker und die Wiedergeburt als Katze. Am Samstag gibt es die neuen Songs in der Grabenhalle live zu hören. 

«Wer als 20-Jäh­ri­ger kein Lin­ker ist, hat kein Herz. Wer mit 40 im­mer noch ein Lin­ker ist, hat kei­nen Ver­stand.» Auf wie vie­le 20-Jäh­ri­ge die­ses al­te Zi­tat, des­sen Quel­le nicht ge­klärt ist, heu­te tat­säch­lich zu­trifft, sei da­hin­ge­stellt. Doch je­de und je­der dürf­te Per­so­nen im Be­kann­ten­kreis ha­ben, die als jun­ge Er­wach­se­ne noch links tick­ten, de­ren po­li­ti­sche Ge­sin­nung sich mit zu­neh­men­dem Al­ter (und Ver­mö­gen) aber hin zur gut­bür­ger­li­chen Mit­te oder noch wei­ter nach rechts ver­schob. Auch Ba­sil Kehl ali­as Dachs kennt sol­che Men­schen. «I glaub du bisch ufgfres­se worde / vo dä­nä mit äm Sün­ne­li als Chlä­ber / hine am Au­to» – mit die­sen Zei­len be­ginnt Herz us Gra­nit, der Ope­ner sei­ner neu­en EP To­ti Chatz

«Der Song rich­tet sich an je­ne Leu­te, die ih­ren Rechts­rutsch mit dem Äl­ter­wer­den le­gi­ti­mie­ren», sagt der St.Gal­ler Mu­si­ker und Sohn ei­nes ehe­ma­li­gen SP-Stadt­par­la­men­ta­ri­ers. Sol­che Leu­te ge­be es auch in sei­nem er­wei­ter­ten Freun­des­kreis, was ihn durch­aus trig­ge­re. Er singt da­von, wie die­se auch mal jung ge­we­sen sei­en und an De­mos zu­vor­derst mit­ge­lau­fen sei­en, doch: «Du sa­isch weisch uf s Al­ter / gseht mer so Züüg / wo mer früeh­ner nu­me us­blen­det hät / und sich blind be­lügt». 

Ge­gen die Heu­che­lei 

Herz us Gra­nit, ein hip-hop-las­ti­ger Track mit ei­ner leicht me­lan­cho­li­schen Grund­stim­mung, ist der po­li­tischs­te Dachs-Song seit Jah­ren. Oder ge­nau­er: der ers­te po­li­ti­sche Song seit dem ers­ten ver­öf­fent­lich­ten Dachs-Song über­haupt, Büz­lä von 2016. Es sei ihm schon lan­ge ein An­lie­gen ge­we­sen, sich in sei­ner Mu­sik wie­der mal po­li­tisch zu äus­sern, sagt der 31-Jäh­ri­ge. Das sei je­doch ein schma­ler Grat: «Ich ha­be mich  lan­ge schwer ge­tan da­mit, weil es sehr schnell mo­ra­li­sie­rend wird. Ich ha­be sel­ber Mü­he da­mit, wenn ein Song be­leh­rend oder gar be­vor­mun­dend ist.» Es sei ein­fach, sich in den so­zia­len Me­di­en zu po­si­tio­nie­ren und in Sto­rys durch­bli­cken zu las­sen, wie man zu po­li­ti­schen Fra­gen ste­he oder ab­stim­men wür­de. In ei­nem Song Klar­text zu re­den, sei je­doch et­was an­de­res. In Herz us Gra­nit ist ihm das je­den­falls ge­lun­gen. Es ist kein Pam­phlet, son­dern ein mit viel Wort­witz er­zähl­tes Stück ge­gen die Heu­che­lei. 

Die­ses Be­dürf­nis, das zu the­ma­ti­sie­ren, kom­me auch da­her, dass sich die Ge­sell­schaft in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ra­di­ka­li­siert ha­be, sagt Kehl, der Ton in den Dis­kur­sen ha­be sich ver­schärft. «Viel­leicht ha­be ich zu vie­le Kom­men­tar­spal­ten ge­le­sen. Aber die Be­reit­schaft, sich im Netz ras­sis­tisch zu äus­sern, mit Na­men und Pro­fil­bild, hat zu­ge­nom­men. Das fin­de ich be­ängs­ti­gend.» 

Das sieht man nicht nur bei po­li­ti­schen The­men, son­dern auch wenn es um Fuss­ball und die Na­tio­nal­mann­schaft geht. Herz us Gra­nit be­zieht sich ex­pli­zit auch auf die öf­fent­li­che Wahr­neh­mung von und den Um­gang mit Gra­nit Xha­ka, dem Cap­tain und Re­kord­spie­ler, der po­la­ri­siert wie kein zwei­ter. Wenns der Na­ti läuft, wie an der Eu­ro­pa­meis­ter­schaft, ist er ein Held, wenn nicht, ist er der Sün­den­bock. «Du jub­lisch nur no mit äm Cap­tain mit / Wenn’s dä Ti­tel git / I glaub lang­sam wür­kli / Du häsch ä Herz us Gra­nit», heisst es im Song. «Die­ses Gra­nit­bild fand ich sehr pas­send. Der viel­leicht bes­te Fuss­bal­ler, der je für die­ses Land ge­spielt hat, hat ganz an­de­re Be­din­gun­gen, wenn es um Ak­zep­tanz geht, und das nur auf­grund sei­ner ko­so­va­ri­schen Wur­zeln.» 

Es geht um die ei­ge­ne Iden­ti­tät 

Auch die rest­li­chen fünf Songs von To­ti Chatz ste­cken vol­ler Wort­witz: Im wun­der­ba­ren Pop­song Es reimt sich uf be­singt Ba­sil Kehl am Bei­spiel des Te­le­fon­spiels die kom­mu­ni­ka­ti­ven Fall­stri­cke in der Lie­be. Im Ti­tel­stück wird der Prot­ago­nist gleich zu Be­ginn von ei­nem Au­to über­fah­ren, «er sti­igt denn us sim schwar­ze Au­di us / und er frogt wie­so chasch du no re­de / und i säg denn i bi ei­get­li e Chatz / i ha öp­pe sie­be Le­be». Es ist ei­ne mit der ei­ge­nen Iden­ti­tät, denn die­ses Sprach­bild tref­fe auch auf ihn selbst zu, sagt Kehl: «Man­che Freun­de fin­den, ich sei wie ei­ne Kat­ze. Ei­ner­seits we­gen mei­ner Gang­art, an­de­rer­seits weil ich mich über­all hin­durch­win­de und al­les über­lebt ha­be.» 

Um die ei­ge­ne Iden­ti­tät geht es auch in Äschä­bä­cher halb voll. Da singt Kehl über sein Da­sein als Mu­si­ker und die ge­sell­schaft­li­che Ak­zep­tanz, die sich oft nur durch (wie auch im­mer de­fi­nier­ten) Er­folg ein­stel­le. «Vie­le se­hen in mir ei­nen Freak, der schon seit Jah­ren ir­ri­tie­ren­de Songs schreibt, aber so­bald mei­ne Mu­sik im Ra­dio läuft oder ich ei­nen Award ge­win­ne, fin­den sie mich plötz­lich läs­sig.» Ihm sei be­wusst, dass sei­ne Mu­sik mehr po­la­ri­sie­re als die an­de­rer Künst­ler:in­nen, we­gen der Kopf­stim­me, aber auch we­gen ihm als Fi­gur auf der Büh­ne, die bei den An­sa­gen oft ab­ge­löscht wir­ke, sagt Kehl. «Aber ich bin lie­ber die­se Fi­gur als ei­ne, die nie­man­dem weh tut. Für mich wä­re es zu streng, ge­fäl­lig sein zu müs­sen.» 

«Man spürt mich als Per­son mehr als frü­her» 

Die sechs Songs sind für Ba­sil Kehl «eher ei­ne Samm­lung von lo­sen Tracks als ein Ge­samt­kunst­werk». Man kann auch sa­gen: To­ti Chatz ist mu­si­ka­lisch viel­schich­tig und sti­lis­tisch di­vers – und macht ge­nau des­halb Spass. Un­ter dem Strich ist die EP sehr pop­pig, elek­tro­nisch ab­ge­schmeckt und mit Aus­flü­gen zu Trap, Hip-Hop, 80er-Pop. «Dies­mal ha­be ich es ge­schafft, Pop-Me­lo­dien mit Tex­ten zu ver­bin­den, die et­was Krat­zi­ges, Dre­cki­ges, Sper­ri­ges ha­ben, in de­nen man mich als Per­son mehr spürt als frü­her.» Er ha­be sel­ber das Ge­fühl ge­habt, dass es ge­ra­de bei Kon­zer­ten oft ei­ne Dis­kre­panz ge­ge­ben ha­be zwi­schen der Fi­gur Ba­sil in den Songs und je­ner, die da­zwi­schen zum Pu­bli­kum spricht. «Jetzt kommt es mehr zu­sam­men.» 

Wie auf dem Al­bum Aber ir­gen­döp­pis zwü­sche­di­ne von 2022, das nach dem Aus­stieg des lang­jäh­ri­gen Key­boar­ders Lu­kas Senn wäh­rend Co­ro­na ge­wis­ser­mas­sen als So­lo­pro­jekt ent­stan­den war, hat Ba­sil Kehl al­le Songs sel­ber ge­schrie­ben, ein­ge­spielt und pro­du­ziert. Schlag­zeu­ger Mir­co Glanz­mann (Frai­ne, Yes I’m Very Ti­red Now) hat die Band im Som­mer ver­las­sen, seit­her sind Dachs ein Duo – zu­min­dest auf der Büh­ne. Peer Füg­lis­tal­ler kommt hin­zu, wenn es dar­um geht, die fer­ti­gen Songs live um­zu­set­zen. Ba­sil Kehl schliesst je­doch nicht aus, dem Dachs bald ei­nen drit­ten Fuss hin­zu­zu­fü­gen. Dann aber mit je­man­dem am Syn­the­si­zer, nicht am Schlag­zeug: «Ich ha­be je län­ger je we­ni­ger Lust, auf der Büh­ne so vie­le In­stru­men­te zu spie­len. Ich wür­de lie­ber nur sin­gen und prä­sen­ter sein.» 


Dachs: To­ti Chatz (Mou­thwa­te­ring Re­cords/Ira­sci­b­le) ist am 8. No­vem­ber di­gi­tal er­schie­nen. 
Live: 14. De­zem­ber, Gra­ben­hal­le St.Gal­len; Sup­port: Bin­go Hall Ri­ver Boys