Der Bilderzauberer

Peter Liechti ist tot. Er starb am Freitag 63jährig an Krebs. Ostschweizer Stimmen zum Tod des grossen Film-Essayisten.
Von  Redaktion Saiten

Betroffenheit und Schmerz über den Tod von Peter Liechti sprechen aus allen Reaktionen von Freunden. Eine Berufskollegin mag keine grossen Worte machen: Die Nachricht habe sie wie ein Schlag getroffen. «Das ist einfach nur traurig». Liechti wusste um die Nähe des Todes, sein letzter, auf dem Schneidetisch liegender Film «Dedications» war die Auseinandersetzung mit seiner Krankheit – aber dass das Ende so rasch käme, hat dennoch alle erschüttert.

Einhellig auch die Würdigung seines Werks, wie sie stellvertretend Sandra Meier, die Leiterin des von Liechti einst mitbegründeten Kinok St.Gallen formuliert: «Peter Liechti war eine der ganz grossen Figuren des europäischen essayistischen Films.» Zu den herausragenden Werken des Ostschweizer Filmers gehören «Signers Koffer», «Hans im Glück», «Marthas Garten», «The Sound of Insects» und zuletzt «Vaters Garten»: sein wohl persönlichster Film. 2013 herausgekommen, gewann er den Schweizer Dokumentarfilmpreis und fand nicht nur an zahllosen Festivals, sondern auch beim Publikum höchste Anerkennung (Kulturplatz vom 24.4.2013).

Was Peter Liechti für das Kino überhaupt und für die Ostschweiz im besonderen bedeutet hat – hier erste Würdigungen.

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Was mich stets fasziniert hat, war Peter Liechtis Vielseitigkeit. Er war ein Virtuose des Bildes, aber auch der Worte, und hatte zudem ein sicheres Gespür für die Musik. Das findet man ganz selten, dass Filmemacher auf allen drei Gebieten so stark sind. Seine Themen kann man persönlich nennen – aber das ging zugleich weit darüber hinaus, wie bei «Vaters Garten»: Da entfaltet sich aus der privaten Auseinandersetzung mit den Eltern das Porträt einer ganzen Generation. Oder «Hans im Glück»: Vordergründig geht es um Liechtis Fussmärsche zurück in die Ostschweiz mit dem Ziel, das Rauchen aufzugeben – aber dahinter und darunter gibt es diverse Subtexte, der Film wird zur gültigen Auseinandersetzung mit der alten Heimat. Insofern war Peter Liechti nicht nur als Mitbegründer des Kinok, sondern auch inhaltlich «unser» Regisseur – in dem Sinn, als er sich immer wieder mit der Ostschweiz, mit der Landschaft und der Mentalität, auseinandergesetzt hat. Und wie kein zweiter hatte er die Gabe, der Ambivalenz der Gefühle – die Liebe zur Heimat und zugleich die Wut auf deren Enge – filmischen Ausdruck zu geben. Zugleich verhandeln seine Filme grosse Themen: die Kunst, die Natur, das Sterben, den Tod.

Noch ein weiteres: Immer wieder gibt es in seinen Filmen eigenartige Bilder, die im Gedächtnis bleiben, eine Art Seelenbilder, wie das Pferd in «The Sound of Insects» – Einsprengsel aus einer fremden Welt, die einen ganz neuen Blick eröffnen.

Sandra Meier ist Leiterin des Kinok St.Gallen

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5. April: Peter Liechti ist gestern Abend verstorben. Die telefonische Benachrichtigung hat mich hart getroffen. Ich kenne Peter seit seinen künstlerischen Anfängen in den 80er Jahren. Unser Kontakt hat sich in den letzten Jahren durch die Buchprojekte «Lauftext ab 1985» und »Klartext – Fragen an meine Eltern» intensiviert. Peter suchte nach Bildern und Klängen wie ein Insektensammler nach Unbekanntem und Unbenanntem. Peter war in allem ein musikalisch empfindender Mensch. Rhythmen, Klänge, Pausen, atemlose Solis, schmerzhafte Pausen, schrille Töne, mühsam erklimmbare Höhen und furchterregende Tiefen interessierten ihn leidenschaftlich. Peter konnte bitter-böse, zynisch-heiter, scharfsinnig-vernichtend, zielstrebig-mäandrierend, unerbittlich-heiter, aufsässig-treu, gnadenlos-ehrlich, laut, zärtlich und leise sein. Peter hatte von allem, was einen unvergesslichen Menschen ausmacht. Peter bleibt ein starker Teil eines stetig rotierenden Ganzen, eines alles verschlingenden und darum unsterblichen, universellen Geistkörpers. Lieber Peter, mit einer grossen Verneigung denke ich an dich auch in Zukunft.

Josef Felix Müller ist Künstler und Vexer-Verleger – den hier wiedergegebenen Text schrieb er auf seinem Blog.

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Er ist schonungslos; schonungslos aufmerksam, schonungslos sorgfältig, schonungslos engagiert, schonungslos konsequent, schonungslos ehrlich. Mit Peter Liechti reden bedeutet, alles Floskelhafte abzulegen. Substanz ist gefragt, Direktheit, Augenhöhe, Selbstreflexion, Eigenverantwortlichkeit. Das macht jede Begegnung mit ihm zu einer Bereicherung, die bleibt. Herausforderung, Herzlichkeit und Humor sind seine steten Begleiter. In gesteigertem Ausmass prägt dies seine Filme. Mit «Dedication», dem Projekt über das eigene Sterben, hat er ein Vorhaben aufgegriffen, dass mir allein schon beim Lesen des Gesuchs um Fördermittel die Tränen in die Augen getrieben hat, Tränen der Ergriffenheit über diese Schonungslosigkeit und diesen bevorstehenden und jetzt Tatsache gewordenen Verlust. Gleichzeitig hat er mich zum Lachen gebracht. Peter Liechti ist gegangen. Schonungslos. Aber er lässt sehr viel zurück. Danke, Peter.

Ursula Badrutt Schoch leitet die Kulturförderung des Kantons St.Gallen

 

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Signers Koffer – Unterwegs mit Roman Signer, 1996 (Filmstill)

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Marthas Garten, 1997 (Filmstill)

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Hans im Glück – Drei Versuche, das Rauchen loszuwerden, 2003 (Filmstill)

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«The Sound of Insects» – Bericht einer Mumie, 2009 (Filmstill)

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Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern, 2013 (Filmstill)

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Liechti war ein sehr genauer Beobachter. Und sehr konsequent im Willen, den Fragen, die ihn beschäftigten, auf den Grund zu gehen. Er war gegenüber sich selber absolut ehrlich und der Sache verpflichtet. Grandios ist für mich, wie er für jeden seiner Filme eine je neue Form gefunden hat. Er hat sich im Grunde jedesmal neu erfunden aus dem Drang heraus, dem Filmthema formal gerecht zu werden. Das macht ihn zum Meister der filmischen Umsetzung. Seine Arbeiten waren in seinem persönlichen Kosmos angesiedelt oder davon inspiriert, erhielten aber zugleich immer eine universelle Aussage. Meinen liebsten Liechti-Film könnte ich nicht nennen, weil jeder ein neues Blatt aufschlägt. Sehr nahe ist mir «Vaters Garten» gegangen – die Grösse seiner Versöhnlichkeit den Eltern gegenüber hat mich tief beeindruckt. Mit derselben Konsequenz und Rigorosität hat er bis zu seinem Tod an «Dedications» gearbeitet – ich hoffe sehr, dass jemand, der ihm nahestand, diesen Film fertigstellen kann.

Margrit Bürer ist Leiterin des Ausserrhoder Amts für Kultur und Filmfachfrau

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Ich habe in unterschiedlichen Funktionen als Assistent bei zwei Filmen von Peter Liechti mitgearbeitet, bei «Marthas Garten» und «The Sound of Insects». In der Arbeit war Peter perfektionistisch, auch streng, wenn nicht genau das gemacht wurde, was ihm vorschwebte. Er hat nichts dem Zufall überlassen, war unerbittlich, aber nie böse. Ich habe ihn bewundert für die Klarheit seines Blicks – er wusste genau, welche Bilder er wollte, auch wenn er die Kamera nicht dabei hatte. In «The Sound of Insects» kommt alles zusammen, was ihn auszeichnete: das Experiment, die unglaubliche Geschichte, die er erzählen will, die Perfektion auch auf der Soundebene. Für mich war Peter Liechti der Bilderzauberer.

Franco Carrer ist Leiter Projektion und Technik im Kinok St.Gallen

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Texte und Bilderzusammenstellung: Peter Surber/Katharina Flieger

Anlässlich des Todes von Peter Liechti strahlt das SRF einige seiner Filme aus: «The Sound of Insects» (9. April), «Signers Koffer» und «Hans im Glück» (beide am 13. April)