Der beleidigte St.Galler Untergrund

Das Geothermie-Projekt geht ein bisschen weiter. Ein zweites Beben würde aber das Ende bedeuten.

Von  Andreas Kneubühler

Gegen 40 Medienvertreter nahmen an der Veranstaltung teil, an der über die Zukunft des grössten Pilotprojekts im Bereich erneuerbare Energien der Schweiz informiert wurde.

Die Kurzfassung: Das Vorhaben steht auf der Kippe. Und das wird noch lange der Fall sein.

Der St.Galler Stadtrat hat am Dienstag zwar bekannt gegeben, dass im Bohrloch weitergearbeitet werden kann. Das bedeutet allerdings nur ein vorläufiges Ja zum Projekt: Vor allem sollen nun weitere Informationen gesammelt werden. Geplant ist auch ein Produktionstest, der das Potenzial der Gas- und Wasservorkommen aufzeigen wird.

Danach folgt die grosse Pause.

Das Bohrloch wird verschlossen, die Arbeiten werden eingestellt. Die neuen Erkenntnisse werden ausgewertet. Irgendwann danach wird entschieden, ob das Geothermie-Kraftwerk realisiert werden kann. Denkbar sei ein Parlamentsbeschluss oder auch eine Volksabstimmung, sagte Stadtrat Fredy Brunner.

Unter anderem wird nun versucht, eine Messsonde «zu fangen», die bei den Ereignissen vom 20. Juli verloren ging. Sie befindet sich in einer Tiefe ab 4000 Metern und könnte nach dem Beben noch einige Zeit Daten gesammelt haben. Projektleiter Marco Huwiler beschrieb das geplante Vorgehen so:

«Möglichst sanft, um den Untergrund nicht zu beleidigen».

Die beiden entscheidenden Sätze der Medienorientierung lauteten aber:

«Das Restrisiko bleibt bestehen.»

«Bei einem weiteren Erdbeben wird der Stadtrat das Projekt stoppen.»

Hauptthema war denn auch die Gefahr weiterer Beben:

Stefan Wiemer, Leiter des Schweizerischen Erdbebendienstes bezifferte die Möglichkeit spürbarer Beben auf 10 bis 20 Prozent. Für ein zweites Beben in der Stärke von 3,5 bestehe ein Risiko von 1 bis 3 Prozent. Erstmals erwähnt wurde an der Pressekonferenz, dass es ungefähr an der gleichen Stelle schon einmal ein Erdbeben gegeben hat: Das Abtwiler Beben von 1835 mit einer Stärke von 4,7.

Der St.Galler Untergrund ist offenbar aktiver als gedacht.

Wiemer bezeichnete die Zone in rund 4500 Meter Tiefe als «kritisch vorgespannte Verwerfung». Sie gilt neu als «seismisch aktiv». Bei den Arbeiten im Bohrloch sei relativ wenig gemacht worden. «Doch der Untergrund hat ungewöhnlich stark regiert.» Eine Quantifizierung der Gefahren sei sehr schwierig, sagte Wiemer, «weil wir halt zu wenig wissen.»

Das bedeutet:

Das Risiko wird das St.Galler Geothermie-Projekt begleiten. Noch lange.

Bei vergleichbaren Vorhaben in Deutschland kam es häufig erst nach der Inbetriebnahme eines Kraftwerks zu Beben.