, 29. September 2015
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Dringender Regulierungsbedarf

Die Datensammelwut überrollt uns, Regulierung ist dringend. Darüber waren sich die Teilnehmer am Datenschutz-Podium im Palace – Ständerat Paul Rechsteiner, Datenschützer Hanspeter Thür und Markus Wirrer vom St.Galler E-Commerce-Dienstleister Namics – absolut einig.

Mit Tschernobyl und Fukushima hat die Kernenergie ihre Super-GAUs erlebt, mit der Weltfinanzkrise und der von Edward Snowden aufgedeckten NSA-Affäre passierte dem Internet das gleiche. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte Hanspeter Thür bestätigte die Analogie: «Die Finanzkrise wurde massiv durch das Internet und Computersoftware gesteuert», sagte er. «Und bei der NSA-Affäre war es allein schon das Ausmass, das einem Super-GAU gleichkommt.»

Moderator Carlos Hanimann von der WOZ stieg beim Datenschutz-Podium am Montag im Palace mit dem Verweis auf die beiden anstehenden und umstrittenen Schweizer Überwachungsgesetze – das Nachrichtendienstgesetz (NDG) und das Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) – in das Thema ein.

Von Trojanern und Kabelaufklärung

Das NDG ist laut Thür einiges heikler als das BÜPF. Damit könne ohne Strafverdacht recherchiert werden. Die Anwendung des BÜPF hingegen setze eine Strafverfolgung voraus. Harmlos sei dieses Gesetz trotzdem nicht, weil es den Einsatz sogenannter Staatstrojaner erlaube, die in der Lage seien, die gesamte PC-Kommunikation zu verfolgen. Weil nicht klar sei, welche Fähigkeiten sonst noch in den Trojanern steckten, tue sich hier ein ernsthaftes Problem auf.

Am gravierendsten beim NDG ist für Rechsteiner die Kabelaufklärung. Damit könne die gesamte Kommunikation im Internet überwacht werden. Die Anbieter (Post-, Telefon- und Internetdienste) seien verpflichtet, dem Geheimdienst die Infos zu liefern. Was der Geheimdienst in punkto Überwachung im Inland nicht dürfe, sei ihm hingegen im Ausland gestattet. Das sei erschreckend, meinte Rechsteiner. Er rechnet damit, dass gegen beide Gesetze – NDG und BÜPF – das Referendum ergriffen wird.

Für Wirrer ist an den von den eidgenössischen Räten verabschiedeten Gesetzen besonders stossend, dass die Internetprovider dem Staat speziell herausgefilterte Daten liefern müssen. Damit könnten Adressen von Personen ausfindig gemacht werden. Dies geschehe über Stichwortfilter, mit denen der gesamte Internetverkehr durchgecheckt werden könne, sagte der Datenspezialist. Das Perfide an den Trojanern sei, dass sie nicht nur im Computer, sondern auch in anderen Geräten aktiv würden.

Snowden-Kommission soll Umgang mit Daten demokratisieren

Die Schweiz habe keine Lehren aus den Snowden-Enthüllungen gezogen, sagte Rechsteiner. Mit einem Vorstoss im Ständerat hat er zumindest bewirkt, dass der Bundesrat zur Datenbearbeitung und Datensicherheit eine Expertenkommission – die sogenannte Snowden-Kommission – einsetzen muss.

Snowdens Enthüllungen leiteten einen politischen Prozess Richtung Demokratisierung beim Umgang mit Daten ein, sagte der SP-Politiker. Jetzt sei auch im Parlament ein Demokratisierungsschub in Sachen Staatschutz in Gang gebracht worden. Noch habe man aber die datenschützerischen Risiken des Internets nicht recht verstanden. Deshalb müssten Wissenschaftler und Fachleute beim Aufbau eines demokratischen Regelwerks für den Datenverkehr zu Rate gezogen werden. Das sei die Aufgabe der Snowden-Kommission.

Datenschutz ist kein Verfolgungswahn

Thür warnte davor, Datenschutz als Verfolgungswahn aufzufassen. Es sei die nötige Massnahme, das durch die neuen technischen Möglichkeiten eröffnete, freie Herumschnüffeln der Geheimdienste einzudämmen. Heute könne von diesen Diensten der gesamte Internetverkehr abgefangen und analysiert werden. Es sei möglich geworden, die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden.

Auch die Internetanbieter seien durch die Überwacher betroffen, meinte Wirrer. Trojaner würden als Surferüberwachung das Monotoring der Firmen zur Eliminierung des Netzmissbrauchs stören, weil sich nun auch der Staat illegal einniste. Die Anbieter müssten Burgen bauen, damit niemand unerlaubt in ihre Systeme eindringen könne. Nun sei die Politik gefordert, hier für Abhilfe zu sorgen.

Eine Situation faustischen Ausmasses

Für Rechsteiner hat das Datenschutzproblem auch eine philosophische Dimension: Die Technik laufe dem Menschen je länger je mehr davon und beginne ihn zu dominieren. Es brauche deshalb dringend eine weltumspannende Regulierung des Internets. Die Schweiz sei hier mit den einschlägigen Organisationen in Genf besonders gefordert. Neben dem Staat müssten auch die Wirtschaft und die Gesellschaft in das Regelwerk einbezogen werden.

Für Thür bringt das Internet und die von Computern geschaffene künstliche Intelligenz die Menschheit in eine Situation faustischen Ausmasses. Die technische Entwicklung eile der gesetzlichen voraus. Wenn keine Regeln mehr gelten würden oder machbar seien, werde die Entwicklung sehr gefährlich.

Für Wirrer ist die Schaffung von allgemein verbindlichen Regeln im Datenschutz nötig, aber schwierig umzusetzen. Die Diskrepanz zwischen dem, was die Leute wollten und dem, was beispielsweise die Security als Settlement voraussetze, sei riesig. Zudem hinke die mit Regeln erwirkte Standardisierung immer den aktuellen Erfordernissen hinterher.

Aus dem Internet lässt sich nicht wie aus der Kernenergie aussteigen

Datenschutz braucht Regeln. Das zeigte auch die anschliessende Diskussion im Publikum. Welche Regeln aber erforderlich wären, wurde nicht klar. Die Leute fühlen sich durchs Sammeln von Daten über sie ungleich oder gar nicht belästigt. Auch die Gefahreneinschätzung der Cyberspace-Überwachung ist noch immer recht unterschiedlich.

Obwohl es im Internet auch Super-GAUs gegeben hat wie bei der Kernenergie, kommt heute wohl niemand auf die Idee analog der Energiewende auch eine Kommunikationswende und gleichsam dem Atomausstieg den Internetausstieg zu fordern.

 

Auf dem Titelbild: der Fichenfritz von Felix Kuhn.
Mehr zum Thema Überwachung: digitale-gesellschaft.ch, grundrechte.ch

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