Datenklau rockt nicht

Der FDP-Stadtrats- und Präsidiumskandidat und Rektor Mathias Gabathuler hat Adressen von ehemaligen Schülerinnen und Schülern ohne deren Zustimmung für seinen Wahlkampf verwendet. Datenschützer beurteilen das Vorgehen als «unzulässig», Gabathuler räumt Fehler ein.
Von  Timo Posselt

Mathias Gabathuler beim Zmittag mit Saiten im «Schwanen» am 15. August 2020. (Bild: Ueli Steingruber)

Zum zweiten Mal muss sich der FDP-Kandidat für den St.Galler Stadtrat und das Stadtpräsidium gegen den Vorwurf verteidigen, dass er seine Funktion als Rektor der Kantonsschule am Brühl für den eigenen Wahlkampf nutzt. Schon 2019 bewilligte er als Rektor eine FDP-Wahlkampfveranstaltung an der eigenen Schule. Das war zwar politisch heikel, rechtlich jedoch unproblematisch.

Anders diesmal: Sein Wahlkampfkomitee soll Adressdaten ehemaliger Schülerinnen und Schülern für Gabathulers Stadtratswahlkampf verwendet haben – ohne deren Zustimmung.

«Wie kommen die an meine Adresse?»

Ungefragt erhalten Ende Mai Ehemalige der Kantonsschule am Brühl mit Wohnsitz in St.Gallen einen Brief in Gabathulers Namen: «Smart. Urban. Rockt.», prangt mit einem Porträt des 53-Jährigen über dem Schreiben, das Saiten vorliegt. «Die Konkurrenz ist gross und der Wahlkampf wird intensiv», heisst es weiter: «Kann ich auf Ihre aktive Unterstützung zählen?»

Beigelegt ist sowohl ein Einzahlungsschein wie ein Beitrittsformular für Gabathulers Unterstützungskomitee. Im Formular können die ehemaligen Schülerinnen und Schüler beispielsweise ankreuzen, ob sie sich damit einverstanden erklären, dass ihr Name im Zusammenhang mit seiner Kampagne erwähnt wird.

Als der ehemalige Schüler Giuliano Pasqualini den Brief öffnete, hatte er nur eine Frage: «Wie kommen die an meine Adresse?» Es wäre etwas Anderes gewesen, wenn ihn Gabathuler in der Funktion als Rektor angeschrieben hätte, aber darum sei es dem Stadtratskandidat offensichtlich nicht gegangen, sagt er. «Sondern um seinen persönlichen Wahlkampf.»

Auch Alice Weniger war einst Schülerin an der Kantonsschule am Brühl und wirft im Gespräch die Frage nach der Logik des Werbeschreibens auf: «Nur weil ich an einer Wirtschaftsschule war, soll ich jetzt FDP wählen?»

Yoro Tobler hatte wie Weniger und Pasqualini in seiner Schulzeit an der Kantonsschule am Brühl auch nie persönlichen Kontakt mit dem Rektor. Auch darum fragt sich Tobler: «Warum schickt die FDP gerade mir einen Spendenbrief?»

Er ruft beim Sekretariat der Partei an, ihm wird eine schriftliche Antwort am nächsten Tag versprochen. Ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle erklärt darin im Wortlaut des Geschäftsführers Christoph Graf:

«Einem Mitglied des überparteilichen Komitees lag eine gedruckte Broschüre mit verschiedenen Adressen vor. Diese Person hat sodann alle St.Galler Adressen abgetippt und uns zur Weiterverarbeitung zugestellt.»

Woher die Adressen stammen? Ob sie für politische Werbung verwendet werden dürfen? Solche Fragen werden im Parteisekretariat der St.Galler FDP offenbar nicht gestellt. Stattdessen wird die «Broschüre mit verschiedenen Adressen» zur «Weiterverarbeitung» angenommen, um damit hunderte Briefe an Ehemalige von Gabathulers Schule zu verschicken.

Ohne Wissen und Zustimmung des Vereins

In ihrem Antwortschreiben kommt die FDP auf den Ehemaligenverein der Kantonsschule am Brühl zu sprechen. Alle ehemaligen Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule werden nach Abschluss der Schule automatisch Mitglied des Vereins. Bis drei Jahre nach Schulabschluss ist die Mitgliedschaft kostenlos.

Ohne dass Tobler, der Ex-Schüler, seine kostenlose, automatische Mitgliedschaft im Ehemaligenverein erwähnt hätte, schreibt ihm die FDP zur ungefragten «Weiterverarbeitung» seiner Daten:

«Der Ehemaligenverein war diesbezüglich weder involviert noch hat er uns die Adressen herausgegeben (weder elektronisch noch hard copy). Er hat uns keine Erlaubnis erteilt, die Adressen seiner Mitglieder zu verwenden.»

Arnold Roth, Mutationsführer beim Ehemaligenverein der Kantonsschule am Brühl und zuständig für die Adressverwaltung, bestätigt:

«Wir haben weder Mitgliederadressen für politische Wahlwerbung herausgegeben noch die Zustimmung dafür erteilt.» Die Adressen seien lediglich «vereinsintern» einsehbar, so Roth. 2018 verschickte der Verein ein gedrucktes Mitgliederverzeichnis an alle Vereinsmitglieder, als Service für die ehemaligen Klassenkameradinnen und -kameraden. «Wenn die Vereinsmitglieder dieses weitergeben, entzieht sich das unserer Kontrolle.»

Roth betont, dass man sich beim Ehemaligenverein bewusst ist, wie heikel der Umgang mit Privatadressen ist. So verzichtet der Verein zum Beispiel darauf, die Mitgliederadressen im Internet zu publizieren.

Im Schreiben an den ehemaligen Schüler beschwichtigt die FDP:

«Im Nachhinein beurteilen wir den Übereifer des überparteilichen Komitees als etwas ungeschickt. Zudem hätten wir seitens Geschäftsstelle der FDP-Stadtpartei mehr Sensibilität mit diesen Daten zeigen sollen.»

Die FDP entschuldigte sich bei Tobler.

Datenschützer: «Unzulässig»

Jakob Schnider von der Fachstelle für Datenschutz der Stadt St.Gallen erklärt: «Wenn eine politische Organisation die Adressen von Vereinsmitgliedern für politische Zwecke verwendet, ist dies ohne die Zustimmung der Mitglieder grundsätzlich nicht zulässig.»

Er verweist auf das eidgenössische Datenschutzgesetz. Dort hält der nationale Datenschützer in einem Merkblatt zum Umgang mit Mitgliederdaten von Vereinen fest: Von jedem Mitglied muss vorgängig die Einwilligung eingeholt werden, ob Adressen oder andere Daten an Dritte weitergegeben werden dürfen.

Noch deutlicher wird Hugo Wyler vom eidgenössischen Datenschutz. Er hält fest, dass Personendaten, die im Kontext von Wahlen und Abstimmungen verwendet werden, «besonders schützenswert» sind. «Der Grundsatz der Transparenz müsste hier zwingend befolgt werden.»

Die Adressatinnen und Adressaten müssten also wissen, von wem sie angesprochen werden und «vor allem ausdrücklich dazu eingewilligt haben, dass ihre Adressen für politische Zwecke genutzt» werden.

Datenschützer Wyler weist darauf hin, dass Betroffene ihre Rechte auf zivilrechtlichem Weg geltend machen können. Effektiver sei jedoch das Recht auf Löschung: «Sie können verlangen, dass ihre Daten auf der Liste gelöscht werden.» Was im Fall des ehemaligen Schülers, der beim FDP-Sekretariat nachgefragt hat, schon geschehen ist.

Trotz des Fehlers im Parteisekretariat trägt FDP-Stadtratskandidat Mathias Gabathuler die politische Verantwortung für seine eigene Kampagne. Im Gespräch mit Saiten räumt er den unzulässigen Gebrauch der Daten ein und betont, dass es «keine aktive Initiative» von ihm war.

«In einem Wahlkampf läuft Einiges über die Geschäftsstelle ab. Da kann ich mich nicht um alle Details kümmern. Zwei Rückmeldungen hat es gegeben, wir haben uns dann entschuldigt.»

Offenlegung: Der Autor des Textes hat die Kantonschule am Brühl ebenfalls besucht. Er hat sie jedoch vor Gabathulers Antritt als Rektor abgeschlossen, erhielt aber ebenfalls den Brief.