, 18. August 2016
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Das Scheppern des Heiligen Geists

Mit Musik von Notker bis heute sind am Mittwoch in der St.Galler Kathedrale die Appenzeller Bachtage eröffnet worden. Das Programm der Basler Madrigalisten hatte es in sich – religionspolitisch.

«Und also ward da das ampt der heiligen mäss durch den wichbischoff von Costentz und von der küniglichen maiestat organisten und sengern sollichermass und so loblich, costlich und herlich angefangen und volbracht, das darvon nit ist ze schriben.»

So aus dem Häuschen schilderte Diebold Schilling, Autor der berühmten spätmittelalterlichen Schilling-Chronik, seine musikalischen Eindrücke 1507 am Reichstag in Konstanz, wo er mit einer eidgenössischen Delegation zu Gast war. Was die «senger» unter anderem aufführten, war die dreichörige Motette «Spiritus sanctus assit» von Heinrich Isaac, dem Hofkomponisten des Königs Maximilian I., um dessen Machtpolitik sich am Reichstag alles drehte.

Soundtrack zum Kampf

Am Mittwochabend eröffnet Heinrich Isaacs Stück die Appenzeller Bachtage. In der Kathedrale St.Gallen teilen sich die Basler Madrigalisten in drei je vierstimmige Kleinensembles auf: Zwei sind im Wechselgesang vorne im Altarraum postiert, das dritte antwortet, für die meisten Zuhörer unsichtbar, von ganz hinten. Eine Klangchoreographie, die ihren Reiz hat  – wenn man den Text des Stücks ausser Acht lässt.

Tut man das jedoch nicht, dann scheppert Isaacs Heiliger Geist ziemlich; nicht musikalisch, aber politisch. Das Stück ist ein Jubelgesang auf Maximilian und auf den Papst Julius, von dem sich der deutsche König (am Ende vergeblich) damals noch erhofft, zum Kaiser gekrönt zu werden wie zuvor schon sein Vater Friedrich III. Angerufen werden dann die weiteren «Edlen des Reichs», «ihr Kurfürsten, ihr Erzbischöfe und alle Priester, du ganzer kirchlicher Stand und ihr Führer der Waffen, ihr mächtigen Landgrafen und Markgrafen und wer sonst noch anwesend ist als Lenker des Volkes». Der Appell lautet: «Haltet Rat», «stützt die Kirche», damit die «überheblichen Völker» gezügelt werden und «der Feind des Reiches falle unter den gerechten Waffen».

Was musikalisch subtil und für heutige Ohren archaisch daherkommt, ist im Kern ein martialischer Aufruf gegen die Feinde des Römischen Reichs deutscher Nation: damals die Franzosen und die Türken. Um diese in Schranken zu halten, hatte Maximilian seine Reichsführer nach Konstanz zusammengetrommelt, und Heinrich Isaac lieferte den Soundtrack dazu.

Lange her, andere Zeiten – trotzdem hätte man im Programmheft zu diesen Hintergründen gerne etwas gelesen. Mag sein, dass das Klassikpublikum (in den vordersten Reihen der vollbesetzten Kathedrale die aktuellen «Lenker des Volkes», Regierungsvertreter, Geldgeberinnen und sonstige Honoratioren) weniger am Text als am Wohlklang interessiert ist. Aber die Veranstalter der Bachtage, mit der J.S.Bach-Stiftung und Ex-Bankier Konrad Hummler an der Spitze, haben ausdrücklich die Ambition, reflektierte Programme zu bieten und Musik historisch zu verorten.

Das Eröffnungskonzert, dem Heiligen Geist in allen Varianten gewidmet, wurde denn auch als Brückenschlag der Konfessionen angekündigt – vom St.Galler Klostermann Notker und dessen Pfingstsequenz über die Choralerneuerung des Reformators Luther, die wiederum unter anderen Johann Sebastian Bach geprägt hat, bis zu zeitgenössischen choral-basierten Kompositionen von Reger, dem Tschechen Petr Eben oder dem Briten Jonathan Harvey.

Musikgeschichtlich mochte der Brückenschlag geglückt sein – migrationsgeschichtlich wäre ein Bezug zwischen der damaligen «Türkengefahr», die Maximilian umtrieb, zur heutigen Islamophobie nahegelegen. Auch in Petr Ebens atmosphärisch dichter Vertonung des Hymnus «Spiritus mundus adunans» wurde dann nochmal das «Siegeszeichen Christi durch die ganze Welt» getragen und damit «die durch Sprachen und Gebräuche geteilte Welt geeinigt». Aus einer interreligiös reflektierten Haltung schwer zu goutieren…. Aber vielleicht ist, mit Diebold Schilling gesprochen, «darvon halt nit ze schriben».

Nächtlicher Trost mit Reger

Musikalisch zum Höhepunkt wurde schliesslich nicht Notkers etwas fragil gesungene Pfingstsequenz und auch nicht Bachs Motette «Der Geist hilft unserer Schwachheit auf», deren kontrapunktisches Feingeflecht im Riesenraum der Kathedrale mehr zu erahnen als durchhörbar war. Sondern Max Reger. Von ihm sang das sechzehnköpfige Profi-Vokalensemble unter Raphael Immoos die drei Chöre «Trost», «Zur Nacht» und «Abendlied», traumhafte Klangminiaturen in klanglicher Vollendung in einer erstmals zu hörenden Orgelfassung. Gekrönt wurden sie durch Regers ausladende Fantasie über den Choral «Wie schön leuchtet der Morgenstern»; der junge Organist Johannes Lang tauchte sie in einen berückenden melancholischen Dämmerungsschleier.

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Den Schluss machte Jonathan Harveys clusterreiche Anrufung des «Holy Ghost» – und hier nun wehte der Geist packend und 16stimmig, gewissermassen für alle Religionen und Konfessionen, durch den Katheralenraum.

Bach für alle

An den Bachtagen, dem alle zwei Jahre stattfindenden Kleinfestival, geht das Programm bis Sonntag weiter mit Bach in Privathäusern des Appenzellerlands, mit der Kantate BWV 80 «Ein feste Burg ist unser Gott», mit Akademien, einer Bach-Choreographie mit Jugendlichen von Royston Maldoom (heute um 16 Uhr im Lindensaal Teufen) oder einem samstagabendlichen Fusion-Projekt «ChorAll» im Zeughaus Teufen.

Infos: bachstiftung.ch

Bilder: Bachstiftung

 

1 Kommentar zu Das Scheppern des Heiligen Geists

  • Gabriele und Jean-Pierre Barbey sagt:

    Gut Peter, dass wenigstens Saiten diesen Hummlerreinwaschanlass ein bisschen schärfer beleuchtet. Es ist halt so, wir Kulturmenschen kleben letztlich alle – wenigstens mit einem Fühlerchen – an Hummlerschen (und ähnlichen) Honigtöpfen. Dass wir es wissen, macht uns das Leben nicht leichter, aber darüber schreiben hilft vielleicht.
    Dank & Gruss, Gabi & Jean-Pierre

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