Das Plattenladenüberleben
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Es gab eine Zeit, in der in jeder grösseren Schweizer Stadt an gefühlt jeder Ecke ein Musikladen stand. Doch um die Jahrtausendwende setzte das grosse Sterben ein: Einer nach dem anderen fiel dem Wandel der Zeit beziehungsweise der fortschreitenden Digitalisierung zum Opfer. Mit dem Aufkommen von Download-Portalen wie Napster brachen die Verkäufe von Tonträgern massiv ein. Onlinehändler wie Amazon oder in der Schweiz cede.ch mit ihren tiefen Preisen und Gratisversand machten den stationären Läden das Leben zusätzlich schwer. Und nicht nur der Konsum verlagerte sich ins Internet, sondern auch die Beratung. Neue Musik entdecken, Trends aufspüren, sich austauschen – für all das brauchte es plötzlich keine Fachgeschäfte mehr.
Wie schwierig das Überleben heute für Plattenläden ist, zeigen die Zahlen von IFPI Schweiz, dem Branchenverband der Schweizer Musiklabels. Seit dem Jahr 2000 sind die Erlöse aus dem Verkauf physischer Tonträger (CDs, Schallplatten, Musik-DVDs etc.) jedes Jahr rückläufig. Sie sanken von rund 373 Millionen Franken auf noch knapp 18 Millionen im Jahr 2023. Vinylverkäufe brachen schon in den 80er-Jahren mit der Markteinführung der CD ein, allein zwischen 1980 und 1990 von 117 auf rund 25 Millionen. In den Nullerjahren stürzten sie gar auf 0,4 Millionen ab.
Der Vinylboom ist ein «Büümchen»
Doch seit rund 15 Jahren feiert die Schallplatte ein Comeback, seit 2010 steigen die Erlöse langsam wieder an. Die vergangenen sechs Jahre wurden zwischen 4 und knapp 5 Millionen Franken mit Vinyl umgesetzt. Das ist zwar nichts im Vergleich zu früher, der oft erwähnte Vinylboom eher ein «Büümchen» (und womöglich schon wieder vorbei, doch dazu später). Aber immerhin.
Am Sinkflug der physischen Tonträger dürfte sich dennoch nichts ändern. In den vergangenen Jahren haben Streamingportale wie Spotify oder Apple Music dazu geführt, dass man für wenig Geld Zugriff auf eine schier unendliche Menge Musik erhält. Und die Erlöse steigen hier rasant: Während sie bei den Downloads in den vergangenen zehn Jahren (2014 bis 2023) von rund 61 auf knapp 10 Millionen zurückgingen, haben sie sich beim Streaming im gleichen Zeitraum von etwas über 10 auf über 200 Millionen mehr als verzwanzigfacht. Dass gerade unbekanntere Künstler:innen kaum etwas davon haben, steht auf einem anderen Blatt.
Dank des Anstiegs bei den digitalen Angeboten gab es auch bei den Gesamterlösen (physisch und digital) eine Trendwende: Nachdem sie seit 2000 kontinuierlich sanken, haben sie seit 2014 wieder deutlich zugenommen, von knapp 150 auf 234 Millionen, also um über 50 Prozent.
Nur noch zwei Handvoll übrig
Die Plattenladenlandschaft ist letztlich ein Spiegelbild dieser Entwicklungen. In der Ostschweiz sind zwei Handvoll Vinylshops verblieben: (noch) vier in St.Gallen, vier in Schaffhausen und jeweils einer in Winterthur und in Frauenfeld. Ausserdem gibt es das Studio Eins in Konstanz.
In der St.Galler Innenstadt war Klang und Kleid vor drei Jahren für kurze Zeit sogar der einzige verbliebene Plattenladen: 40 Jahre nach der Eröffnung schloss Z Records 2020, ein Jahr später verschwand auch Yesterday’s Music – vorübergehend. Und Bro Records war bereits 2009 nach St. Finden gezogen, Ende Januar 2025 schliesst er endgültig. Doch im Sommer 2022 eröffnete die Analog-Bar in der Engelgasse, wenige Wochen später kehrte auch Yesterday’s Music an neuem Standort in der Schwertgasse zurück. Auch die vier in Schaffhausen verbliebenen Vinylgeschäfte sind alle in den vergangenen zehn Jahren entstanden.
So unterschiedlich die einzelnen Läden funktionieren, sie haben einiges gemeinsam: Fast alle Inhaber:innen betreiben sie nebenbei. Sie beziehen woanders ihren Lohn (oder die AHV), die Shops sind nur an wenigen Tagen geöffnet. Es ist zudem nicht verwunderlich, dass praktisch alle Plattenläden auch – oder hauptsächlich – Secondhandware im Sortiment haben. Denn hat man das Glück, günstig an eine Privatsammlung mit Raritäten zu kommen, lässt sich damit gutes Geld verdienen.
Klang und Kleid: Vintage und Vinyl
Der 1993 eröffnete Laden Klang und Kleid, der sich heute an der St.Galler Kugel- bzw. Brühlgasse befindet und täglich geöffnet ist, verbindet seit jeher Vintage-Produkte mit Vinyl. Dieses habe schon immer einen wesentlichen Teil des Umsatzes ausgemacht, alleine davon hätte der Laden aber nie überleben können, sagt Mitgründer Pino Stinelli. «Überlebt haben wir dank der Produkte, um die es einen Hype gab, etwa die Vintage-Klamotten oder die Lavalampen in den 90ern. Ohne letztere gäbe es uns vielleicht gar nicht mehr.» Heute sind es die Hüte der letzten Schweizer Hutmanufaktur Risa, die Stinelli in einem Shop-in-Shop verkauft, die Geld bringen.
War Klang und Kleid in den 90ern einer der grössten Onlineshops der Schweiz mit zehntausenden von Produkten, ist heute ist nur etwa ein Drittel des Plattenangebots, das hauptsächlich Punk, Rock, Garage, Rockabilly, Surf-Musik und Soundtracks beinhaltet, über die Website erhältlich, der Rest ausschliesslich im Laden. «Ich will in erster Linie jenen eine Freude machen, die zu uns kommen, um zu stöbern.» Onlinebestellungen seien ausserdem aufwändig, Verpackung und Transport unökologisch.
Klang und Kleid hat mehrere Angestellte mit insgesamt rund 120 Stellenprozent. Stinelli hat jedoch in den letzten 20 Jahren nie einen Lohn bezogen. Mit der Onlineplattform Vadian.net hat er ein zweites Standbein.
Analog: Den Nerv der Zeit getroffen
Mit der Analog-Bar in der St.Galler Engelgasse scheinen Philipp Buob und Magdiel Magagnini den Nerv der Zeit getroffen zu haben: Buob hat schon früher Spuren in der St.Galler Plattenlandschaft hinterlassen. Anfang der Nullerjahre arbeitete er im Bro, ehe er 2006 zusammen mit Miggi Kundert Freshcuts eröffnete, anfangs als Shop-in-Shop im Klang und Kleid, ab 2008 als eigenes Geschäft an der Metzgergasse.
Doch der hauptsächlich auf elektronische Musik und DJs spezialisierte Laden hatte immer stärker damit zu kämpfen, dass viele DJs auf digitale Musik umstiegen. «Um als Player im Markt bestehen zu können, hätten wir ausbauen und wohl erneut umziehen müssen. Wir hätten also nochmal richtig viel Geld in die Hand nehmen müssen», sagt Buob. Auch wegen der Familiengründung sei ihm das finanzielle Risiko zu hoch gewesen. «Also sagten wir uns, wir ziehen uns erhobenen Hauptes und ohne Schulden zurück.» Freshcuts schloss 2011.
Jetzt also ein neues Konzept. Dient die Bar bloss dazu, um den Plattenladen zu finanzieren – obwohl es nur schon eine Herausforderung ist, eine Bar profitabel zu betreiben? Der Umsatz mit Vinyl allein würde vermutlich nicht reichen, räumt Buob ein. «Zumal wir Künstler:innen und Bands im Sortiment haben, die weniger bekannt sind und deren Platten man folglich nicht überall findet.» Buob spricht aber von einem «ganzheitlichen Konzept», bei dem beides untrennbar miteinander verbunden sei: «Einige kommen wegen der Musik und trinken dann etwas bei uns, andere wollen nur etwas trinken und entdecken dabei neue Musik.» So sorgfältig kuratiert das Plattensortiment auch ist, sieht Buob noch Entwicklungspotenzial: «Ein Plattenladen formt sich mit seinem Umfeld, das braucht Zeit.»
Das Team der Analog-Bar veranstaltet immer wieder auch Konzerte im St.Galler Kulturlokal Palace. Konzerte, die teilweise so nischig sind wie die Platten im Laden. «Wir wollen einen zusätzlichen kulturellen Beitrag leisten und Shows veranstalten, die sonst nicht stattfinden würden.»
Yesterday’s Music: Mit viel Musik von gestern ins Heute
Yesterday’s Music ist wieder zurück in St.Gallen. Inhaber Thomas Spirig ist inzwischen pensioniert, die Ladenmiete kann er mit den Einnahmen decken. Im Yesterday’s Music findet sich ein grosses Angebot – fast ausschliesslich Secondhand-Vinyl, hauptsächlich Pop und Rock aus den 70er- und 80er-Jahren. Obwohl man solche gebrauchten Scheiben auch auf Plattformen wie Discogs findet, laufe der Laden gut, sagt Spirig. «Ich könnte sogar davon leben, wenn ich täglich geöffnet hätte. Aber dann müsste ich auch aktiver Werbung machen, darauf habe ich keine Lust.» Er verkauft auch nichts online, obwohl er im Lager so viele Platten hat, dass sie gar nicht alle in den Laden passen: «Wenn jemand eine Platte will, muss er in mein Geschäft kommen.»
Die Schliessung vor drei Jahren sei nicht aus finanziellen Gründen erfolgt, sagt Spirig, der den Anfang der 90er-Jahre eröffneten Laden 2016 übernommen hatte. «Ich hatte schon damals meine eigene Firma und wollte den Vinylshop nicht mehr allein führen, fand aber keinen Partner. Deshalb gab ich den Laden auf.» Nur kurze Zeit später fand sich doch jemand, der das Geschäft zusammen mit Spirig führen wollte. Die Zusammenarbeit funktionierte jedoch nicht wie geplant, der Partner war nach kurzer Zeit wieder weg. Heute ist Thomas Spirig am gleichen Punkt wie 2021. «Wenn ich niemanden finde, höre ich eher früher als später wieder auf.»
Underground Records: In Frauenfeld Wurzeln geschlagen
Vor 15 Jahren eröffnete Marco Heim seinen Plattenladen in einem Keller in seinem Heimatort Wängi – deshalb der Name Underground Records. Anfangs verkaufte er vor allem jene Platten, die er als DJ nicht mehr brauchte, aber auch sonstige Second-Hand-Ware. Doch aus dem Zweck wurde irgendwann Leidenschaft. Er investierte mehr und mehr Zeit und Geld in seinen Laden. 2015 konnte er sich im Musikfachgeschäft Musicum in Wil günstig einmieten. Als Musicum 2016 nach Rickenbach zog, richtete sich Heim provisorisch im Geschäft seines Vaters ein. Im Sommer 2017 bezog er schliesslich sein heutiges Ladenlokal in der Nähe des Bahnhofs Frauenfeld.
Heim arbeitet Teilzeit als Springer, von Mittwoch bis Samstag ist er nachmittags im Laden. «Mein Teilzeit-Lohn reicht gerade zum Leben, und mit dem Laden verdiene ich so viel, dass ich die Miete bezahlen und regelmässig in Neuanschaffungen und in die Kultur investieren kann», sagt der 42-Jährige. Einmal im Monat legt samstags ein DJ in seinem Laden auf, der für ihn auch ein Treffpunkt ist. Einen Lohn zahlt er sich nicht aus. Hätte er eine Familie oder müsste er für den Plattenladen drauflegen, könnte er ihn sich nicht mehr leisten, obwohl die Miete sehr fair sei.
In den vergangenen Jahren habe sich das Kaufverhalten der Kund:innen stark verändert. Früher hätten Musikliebhaber:innen einen Plattenladen besucht, um in den Vinylregalen zu stöbern, interessante Funde im Laden anzuhören, sich über die Musik auszutauschen und beraten zu lassen, sagt Heim. «Heute wissen die meisten ganz genau, was sie suchen. Sie haben das Album schon auf Spotify gehört, dort auch weitere Hörtipps bekommen, und wenn die Platte nicht da ist, schauen sie bestenfalls noch schnell die passende Genre-Kiste durch und gehen dann wieder.»
Vinylpunkt: Verkaufsort für eigene Plattensammlung
Den Vinylpunkt hat Peter Meyer vor sieben Jahren eröffnet. Damals war er 57 Jahre alt, arbeitete Vollzeit in der Autobranche. Seine Frau, mit der er im Kanton Schwyz wohnt, habe ihn gebeten, die riesige Plattensammlung aus der Wohnung zu schaffen. So sei die «spontane Idee» eines eigenen Plattenladens entstanden. In Schaffhausen übernahm er eine freie Laden- fläche in der Neustadt, «ohne einen Plan zu haben». Angst, als Quereinsteiger im serbelnden Musikbusiness bloss Geld zu verbrennen, habe er nicht gehabt. «Ich habe das als Hobby betrachtet, und jedes Hobby kostet mich Geld.» Er zahle sich bis heute keinen Lohn aus, und die Miete sei so niedrig, dass er das finanzielle Risiko habe eingehen können, selbst wenn er sie aus dem eigenen Sack bezahlen müsste.
Später reduzierte Meyer sein Pensum auf 80 Prozent, um sich intensiver um den Plattenladen kümmern zu können. Seit kurzem ist er pensioniert. Den Vinylpunkt möchte er jedoch noch nicht aufgeben – im Gegenteil, er überlegt, den Laden künftig an vier statt an drei Tagen zu öffnen. Rückblickend würde er alles gleich machen: «Ich habe in diesen sieben Jahren so viele tolle Kontakte geknüpft und so viele gute Gespräche geführt, das wiegt alles auf.»
Halt de Lade: Mehr Quartiertreffpunkt als Plattenladen
Nur ein paar Meter weiter befindet sich Halt de Lade. Es ist mehr ein Quartierladen als ein Plattenladen, ja ein Quartiertreffpunkt. Im hinteren Teil des kleinen Geschäfts, das am Donnerstag- und Freitagabend sowie am Samstagnachmittag geöffnet ist, findet sich eine gut sortierte Vinylsammlung. Die meisten LPs sind neu, es hat aber auch gebrauchte.
Hinter dem Laden steht ein Verein. Das etwa zehnköpfige Kollektiv, von dem einige auch im Kulturlokal Tap Tab aktiv sind, führt den 2016 eröffneten Laden ehrenamtlich und teilt die Einsätze untereinander auf. Einer von ihnen ist René Albrecht, Schlagzeuger der Schaffhauser Mundart-Soul-Gruppe Min King. Halt de Lade sei entstanden, um Menschen mit gleichen Interessen zusammenzubringen. Der Umsatz reiche, um die Miete zu begleichen, sagt Albrecht. Den grössten Teil davon machen Getränke aus, Vinyl ist, rein finanziell gesehen, ein Nebenprodukt – aber ein liebevoll gepflegtes. «Wir haben keinen Druck, solange wir die Miete reinholen.»
Quo Vadis: Plattenladen und Wohnung in einem
Ein Kuriosum ist das Geschäft Quo Vadis von Ernesto Wieser, zu finden im ersten Stock eines Geschäfts- und Wohnhauses in der Vorstadt. Im vorderen Teil befindet sich der Laden, im hinteren der Wohnbereich, abgetrennt durch Regale. Für Wieser hat das den Vorteil, dass er nur eine Miete bezahlen muss.
Zum Plattenladen kam der passionierte Musikliebhaber eher durch Zufall: Ein Freund hatte seine Schulden bei Wieser mit seiner Vinylsammlung beglichen, darunter viele Erstpressungen. «Erst als ich sie verkaufen wollte, habe ich gemerkt, welchen Wert sie haben können.» Das Sortiment ist seither von 300 auf rund 5000 Platten (und CDs) angewachsen.
Die meisten sind gebraucht, es finden sich aber auch neue darunter, auch von aktuellen Künstler:innen. Obwohl der Laden täglich geöffnet ist und er jedes Jahr etwas mehr Umsatz macht, kann Wieser davon allein nicht Leben, sondern übernimmt sporadisch auch andere Jobs. In drei Jahren wird er pensioniert, will Quo Vadis aber weiterführen.
Meltingpoint: Die Musik teilen
Vor zwei Jahren haben Ralf Harms und seine Partnerin Christa Baumann den Meltingpoint an der Webergasse in Schaffhausen eröffnet. Auch an dessen Ursprung stand die Auflösung der eigenen Plattensammlung: «Jedes Mal, wenn wir umgezogen sind, mussten wir passende neue Regale bauen. Und wir haben uns immer wieder gefragt, warum wir das eigentlich tun – und wozu diese riesige Sammlung dient», sagt Baumann. Und liefert die Antwort gleich nach: «Weil wir gerne mit Leuten über Musik reden und diese mit ihnen teilen wollen.» So entstand die Idee, ein eigenes Vinylgeschäft zu eröffnen. Rund 4000 Platten wanderten von der Stube in den Shop, der Anteil an neuem Vinyl wächst seither kontinuierlich.
Harms und Baumann arbeiten beide, das Plattengeschäft betreiben sie als Hobby. Auch deshalb ist der schmucke Laden (noch) nur am Freitag- und Samstagnachmittag geöffnet. Und sie schaffen es, ihn mehrheitlich kostendeckend zu führen. «Es ist schön, dass wir nicht den Druck haben, davon leben zu müssen», sagt Baumann.
Ventilator Records: Der einzige «richtige»
In Winterthur ist hingegen nur noch ein einziges Plattengeschäft übriggeblieben: Ventilator Records am Lagerplatz im ehemaligen Sulzer-Areal. Der 2021 in der Altstadt eröffnete Laden Hi-Fi Records ist bereits wieder Geschichte. Und von allen hier aufgezählten Plattenläden ist Ventilator der einzige «richtige», sprich: an fast allen Wochentagen geöffnet, hauptsächlich mit neuem Vinyl im Angebot und hauptberuflich betrieben.
Angefangen hatte es damit, dass Vasco Saxer überschüssige Singles aus Sammlungen, die er auf Online-Auktionsplattformen für sich selbst gekauft hatte, weiterverkaufte. «Da merkte ich, dass man damit Geld verdienen kann, wenn man es richtig macht.» Vor 15 Jahren eröffnete er einen kleinen Laden im Obergeschoss, «mit einer Kiste Schallplatten», später zog er ins heutige Ladenlokal, wo aktuell über 25’000 Tonträger stehen. «Die erste Hälfte dieser 15 Jahre brauchte ich, um den Laden sortimentsmässig professionell aufzustellen. Seither geht es darum, das Angebot zu erweitern und zu verbessern. Es ist wichtig, auch eine Breite zu haben.» Alle Titel sind auch auf Discogs erhältlich. Rund 20 Prozent aller Platten verkauft er auf dem Onlinemarktplatz. «Viele merken erst dadurch, dass ich auch einen Laden habe.»
Als er mit Ventilator Records startete, arbeitete Saxer bei Radio Stadtfilter als Musikredaktor, war DJ, organisierte den Nachwuchsbandwettbewerb Band-it. «Mit meinen Einkünften konnte ich den Laden lange quersubventionieren. Aber ich musste immer mehr Zeit ins Geschäft investieren. Also fing ich an, eins nach dem anderen aufzugeben, bis am Ende nur noch Ventilator Records übriggeblieben ist.» Seit fünf Jahren ist sein Laden seine Hauptbeschäftigung. «Für mich reicht es, aber wenn ich eine Familie und Kinder hätte, würde es nicht gehen. Es liegt nicht viel drin.»
Das Ende der Fahnenstange?
Es wird befürchtet, dass der Peak beim Vinyl-Revival bereits erreicht beziehungsweise überschritten ist. In der Schweiz sind die Erlöse seit 2021 gesunken, von 4,8 auf 4,5 (2022) und 4,3 Millionen (2023). Für 2024 kann die IFPI noch keine Angaben machen. Wie das Portal «Billboard» aber kürzlich berichtete, brachen die Vinyl-Verkäufe in den USA in diesem Jahr um ein Drittel ein. Vasco Saxer von Ventilator Records sagt: «Das letzte halbe Jahr war nicht überragend, es dümpelt ein bisschen vor sich hin.»
Das könnte auch mit den gestiegenen Preisen zu tun haben. Zum einen hat die Musikindustrie Schallplatten als Geldquelle angezapft, zum anderen ist die Vinylproduktion infolge der Inflation teurer geworden. Das wirkt sich direkt auf die Plattenläden aus: Die Einkaufspreise sind deutlich gestiegen, und die Ladenbetreiber:innen können mit ihren Margen nicht endlos mitziehen, weil sie sonst auf den LPs sitzenbleiben. Viele der Befragten bestätigen, dass sie bei gewissen Neuerscheinungen aufgrund des Preises darauf verzichten, sie ins Sortiment zu nehmen.
Es ist deshalb wahrscheinlich, dass als Folge des kurzzeitigen Aufschwungs kaum neue Plattenläden entstehen werden. Und das Überleben wird für die Bestehenden bestimmt nicht einfacher. «Mir bleiben noch zehn Jahre bis zur Pensionierung», sagt Vasco Saxer. «Ich hoffe, ich kann das noch durchziehen.»