Das Patriarchat zerfetzen! Aber wie?

Rund 200 Personen fanden sich am Samstag zum internationalen feministischen Kampftag in der St.Galler Marktgasse ein. (Bilder: bnc)

Für einen Anlass, der sich «internationaler feministischer Kampftag» nennt, ist es am 8. März in St.Gallen relativ ruhig geblieben. Trotz informativer Vorträge im gut besuchten Palace und ermutigender Demo-Parolen am Marktplatz.

Der in­ter­na­tio­na­le fe­mi­nis­ti­sche Kampf­tag be­ginnt die­ses Jahr in St.Gal­len mit ei­ner Ent­täu­schung: Die De­mo wur­de kurz­fris­tig nicht be­wil­ligt. Grund da­für sei ei­ne «Gross­ver­an­stal­tung», die die Ka­pa­zi­tä­ten der Po­li­zei in der Stadt be­an­spru­che. Wel­che das ist, wur­de den Or­ga­ni­sa­tor:in­nen of­fen­bar nicht mit­ge­teilt.

Das macht aber nichts, weil al­len klar ist, dass am sel­ben Tag der Ky­bun-Park voll be­lebt ist. Fuss­ball al­so, nur «ein Spiel», das so viel Po­li­zei­auf­wand braucht, dass ein paar Hun­dert Men­schen nicht de­mons­trie­ren ge­hen kön­nen. Die Or­ga­ni­sa­tor:in, die durch das Pro­gramm der An­läs­se zum fe­mi­nis­ti­schen Kampf­tag führt, lässt sich von die­sen «to­xi­schen, männ­li­chen Ma­cker­ver­ei­nen, de­nen man al­les durch­ge­hen lässt», nicht un­ter­krie­gen, und ist da­für um­so lau­ter auf der Kund­ge­bung in der Markt­gas­se.

Frau­en* auf der Flucht

Das Pro­gramm be­ginnt mit ei­nem Re­fe­rat der Po­li­ti­schen Frau­en Grup­pe (PFG) im Pa­lace. Die­ses er­öff­net Sil­via Vetsch, die Lei­te­rin des Frau­en­hau­ses in St.Gal­len. Sie zählt Fak­ten zu Frau­en und Mäd­chen auf der Flucht auf, die laut UNHCR welt­weit 50 Pro­zent aus­ma­chen, nennt ex­em­pla­risch die staat­li­che Un­ter­drü­ckung von Frau­en in Iran und Af­gha­ni­stan, er­läu­tert, wie Ver­ge­wal­ti­gung als sys­te­ma­ti­sche Kriegs­waf­fe ein­ge­setzt wird, und spricht von der Ge­fahr se­xua­li­sier­ter Ge­walt, wel­cher Frau­en und Mäd­chen ak­tu­ell et­wa in Go­ma im Os­ten der De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik Kon­go aus­ge­setzt sind. 

Tea-Van­ja Ra­do­va­nac er­greift als Nächs­te das Wort und hält als Ver­tre­te­rin der NGO Bra­va (ehe­mals Terre des Femmes Su­is­se) das Re­fe­rat zu ge­flüch­te­ten Frau­en in der Schweiz. Sie be­rich­tet aus ih­rem Ar­beits­all­tag und den Zu­stän­dig­kei­ten der Or­ga­ni­sa­ti­on. Frau­en, de­nen auf der Flucht aus­ser­halb der Schweiz Ge­walt an­ge­tan wur­de, ha­ben hier kei­ner­lei An­spruch auf Leis­tun­gen der Op­fer­hil­fe. Hier setzt Bra­va an: Mit Be­ra­tun­gen, fi­nan­zier­ten The­ra­pie­plät­zen oder Selbst­ver­tei­di­gungs­kur­sen will sie die of­fen­sicht­li­chen Lü­cken im Ge­setz über­brü­cken.

Ra­do­va­nac zeigt auf, wie das Dub­lin-Ab­kom­men die EU-Aus­sen­gren­zen be­las­tet. Sie kri­ti­siert auch die Ge­walt, die Frau­en an die­sen Erst­kon­takt-Stel­len er­fah­ren, wie die­se zur Flucht­er­fah­rung ge­hört und gleich­zei­tig bei den Asyl­an­trä­gen in der Schweiz nicht be­rück­sich­tigt wird. Statt­des­sen droht die Rück­füh­rung an die­se un­si­che­ren und ge­fähr­li­chen Gren­zen. 

Ih­re Haupt­kri­tik an der Schweiz gilt der Pra­xis, dass sie öf­ter als al­le an­de­ren Län­der Eu­ro­pas den Be­scheid «vor­läu­fig auf­ge­nom­men», al­so den F-Aus­weis aus­stellt. Da­mit kön­nen Asyl­su­chen­de zwar be­gin­nen Deutsch- und In­te­gra­ti­ons­kur­se zu be­su­chen, sie sind aber noch nicht als Flücht­ling an­er­kannt und kön­nen wei­ter­hin je­der­zeit des Lan­des ver­wie­sen wer­den. 

Bei An­hö­run­gen im Asyl­ver­fah­ren ist es den Asyl­su­chen­den er­laubt, ei­ne Ver­trau­ens­per­son mit­zu­brin­gen. Die Ver­tre­ter:in­nen von Bra­va über­neh­men oft die­se Rol­le. Ge­fragt sei hier we­ni­ger ju­ris­ti­sche Fach­ex­per­ti­se, er­klärt Ra­do­va­nac. Viel­mehr ge­he es dar­um, in den An­hö­rungs­pau­sen das Be­spro­che­ne zu re­flek­tie­ren und Tipps zu ge­ben, wel­che Ar­gu­men­te für ei­nen po­si­ti­ven Asy­l­ent­scheid noch vor­ge­bracht wer­den könn­ten. Wenn der Per­son auf der Flucht bei­spiels­wei­se ge­schlechts­spe­zi­fi­sche Ge­walt an­ge­tan wur­de oder die­se so­gar der Flucht­grund war, die Be­trof­fe­ne das aber bei der ers­ten An­hö­rung nicht be­reits er­wähnt, wird es prak­tisch un­mög­lich, dass das The­ma in spä­te­ren An­hö­run­gen ernst ge­nom­men wird. Da­bei ist hin­läng­lich be­kannt, wie schwer es man­chen fällt, über solch trau­ma­ti­sche und scham­be­haf­te­te Er­leb­nis­se über­haupt re­den zu kön­nen. 

Be­glei­tend zu ih­rem Re­fe­rat spielt Tea-Van­ja Ra­do­va­nac ein Vi­deo von ge­flüch­te­ten Frau­en ab, die ih­ren All­tag in Schwei­zer Asyl­hei­men schil­dern: Die Hy­gie­ne­ein­rich­tun­gen sind oft nicht ge­schlech­ter­ge­trennt, sie füh­len sich un­si­cher, sie dür­fen ih­re Zim­mer­tü­ren nachts nicht ab­schlies­sen, weil theo­re­tisch je­der­zeit die Ab­schie­bung an­ste­hen könn­te und die Be­hör­den dar­um durch­ge­hend Zu­gang zum Zim­mer ver­lan­gen. Zum Schla­fen be­nö­ti­gen vie­le Me­di­ka­men­te. 

Sta­ti­sches Pa­ro­len­ru­fen in der Markt­gas­se

Nach ei­ner kur­zen Fra­ge­run­de mit dem Pu­bli­kum und an­schlies­sen­dem klei­nen Ape­ro geht es ge­mein­sam auf den Weg zur Kund­ge­bung. Die kur­di­sche Mu­sik und die «Jin, Jyan, Azadi!»-Ru­fe (Frau­en, Le­ben, Frei­heit), die über die Markt­gas­se tö­nen, hört man schon von Wei­tem. Ein Ruf, der seit den Pro­tes­ten im Iran 2022 von fe­mi­nis­ti­schen Be­we­gun­gen welt­weit auf­ge­nom­men und zur in­ter­na­tio­na­len Pa­ro­le wur­de. 

Das Vul­va­dra­chen­kol­lek­tiv, der FIN­TA Treff SG, die PFG, das Ni una Me­nos Kol­lek­tiv Zü­rich und der Kur­di­sche Frau­en­ver­ein SG ha­ben sich hier ver­sam­melt, um ih­re Re­den zu hal­ten. Sie spre­chen von stei­gen­den Fe­mi­zid­ra­ten, der Zu­nah­me an Fäl­len pro­ble­ma­ti­schen Er­näh­rungs­ver­hal­tens, un­be­zahl­ter Ca­re Ar­beit, der Pink Tax (wenn Frau­en* für das glei­che Pro­dukt mehr be­zah­len, nur weil es pink ist) und dem Ver­such rech­ter Kräf­te, ei­ne re­strik­ti­ve Asyl­po­li­tik als Schutz­mass­nah­me für «ein­hei­mi­sche» FIN­TA-Per­so­nen dar­zu­stel­len.

Die Re­den sind wü­tend, vol­ler Kampf­geist, aber auch et­was theo­re­tisch-ana­ly­tisch. Die Red­ner:in­nen un­ter­strei­chen die Be­deu­tung von In­ter­sek­tio­na­li­tät und ver­bin­den den Fe­mi­nis­mus mit an­ti­ko­lo­nia­len und an­ti­im­pe­ria­lis­ti­schen Kämp­fen. Klas­se, Her­kunft, Ge­sund­heit, Al­ter, Iden­ti­tät – all dies wird mit­ge­dacht, um so die Be­we­gung weg von ei­nem le­dig­lich «weis­sen Fe­mi­nis­mus» und so­mit «neo­li­be­ra­ler Kack­scheis­se» zu brin­gen, wie es Le­an­dra vom FIN­TA Treff SG tref­fend for­mu­liert. Der An­spruch auf in­ter­na­tio­na­le Ver­net­zung und So­li­da­ri­tät steht im Mit­tel­punkt: «So­li­da­ri­tät ist nicht nett ge­mein­te Theo­rie, son­dern Wi­der­stand, Schutz und ei­ne ver­damm­te Re­vo­lu­ti­on!»

Zwi­schen den Re­den nut­zen die Ver­an­stal­ter:in­nen die Zeit, um doch noch et­was De­mo­stim­mung auf­zu­bau­en und den Teil­neh­mer:in­nen et­was Bei­fall zu ent­lo­cken. Pa­ro­len wie «ho­we­ver I dress, whe­re­ver I go, yes me­ans yes and no me­ans no»; «Ge­gen Ma­cker und Se­xism – fight the Power, fight the sys­tem» oder «Aler­ta, Aler­ta, An­ti­se­xis­ta» wer­den von den über 200 Teil­neh­mer:in­nen mit­skan­diert.

Und dann doch noch ein Mann im Zen­trum

Dass dann vor der letz­ten Re­de des kur­di­schen Frau­en­ver­eins sich ein Mann mit Ve­lo mit­ten in den De­mo­kreis ver­irrt und mit Teil­neh­mer:in­nen ir­gend­ei­ne Dis­kus­si­on über die Gra­ben­hal­le an­fängt, passt ins Stim­mungs­bild. War­um soll es auch nur ei­nen Tag im Jahr ei­ne Kund­ge­bung ge­ben, in der die Män­ner nicht ir­gend­wie doch noch im Mit­tel­punkt ste­hen?

Das Awa­re­ness­team küm­mert sich um ihn, und die Mo­de­ra­to­rin lässt al­le wis­sen, dass die Po­li­zei mitt­ler­wei­le ein­ge­trof­fen sei. Sie weist auch dar­auf hin, dass sie für die Kund­ge­bung 150 Fran­ken Bus­se zah­len müs­sen, weil eben die­se Be­am­ten jetzt vor Ort sind. Und ob­wohl sie ei­gent­lich zu spät ka­men, um ih­re Ar­beit zu tun und den Ve­lo­kauz weg­zu­schi­cken, wie sie es sonst mit «Ge­gen­de­mons­trant:in­nen» zu tun pflegt. Haupt­sa­che Prä­senz mar­kiert! 

Wäh­rend die kur­di­sche Frau­en­grup­pe ab­schlies­send ein Lied an­stimmt, vorm Va­di­an tanzt und ein paar Zet­tel mit Pa­ro­len an ein Git­ter be­fes­tigt, löst sich die Ver­samm­lung lang­sam auf. Die meis­ten zieht es in den Schwar­zen En­gel – zur Über­brü­ckung bis spä­ter am Abend die So­li­par­ty in der Gra­ben­hal­le be­ginnt. Dort wird ei­ne Kol­lek­te für Wo­men’s Ho­pe auf­ge­stellt, ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, die sich für die Ge­bur­ten­hil­fe in Af­gha­ni­stan ein­setzt. 

Was bleibt nach die­sem «Kampf­tag»? Ob­wohl das Pa­lace voll war und si­cher an die 200 Men­schen den Re­den an der Kund­ge­bung ge­lauscht ha­ben, bleibt es doch re­la­tiv ru­hig. Der sta­ti­schen De­mo am fi­xen Ort oh­ne Um­zug man­gelt es an Be­we­gung, das ge­mein­sa­me Laut­sein, die In­ter­ak­ti­on blei­ben ab­ge­se­hen von den Sprech­chö­ren auf der Stre­cke. Und aus­ser­dem: Wie ge­nau wird denn jetzt das Pa­tri­ar­chat zer­fetzt? Wie kön­nen wir die Si­tua­ti­on für ge­flüch­te­te Frau­en ver­bes­sern? Wie sen­ken wir die Fe­mi­zid­ra­te in der Schweiz? Wie stei­gern wir die Rech­te von mehr­fach mar­gi­na­li­sier­ten Per­so­nen und ma­chen die­se sicht­ba­rer? Die Ant­wor­ten dar­auf sind al­les an­de­re als ein­fach. In­ter­sek­tio­na­le So­li­da­ri­tät ist si­cher­lich ein gu­ter An­fang. Und viel­leicht et­was we­ni­ger Ma­cker­fuss­ball.