Der internationale feministische Kampftag beginnt dieses Jahr in St.Gallen mit einer Enttäuschung: Die Demo wurde kurzfristig nicht bewilligt. Grund dafür sei eine «Grossveranstaltung», die die Kapazitäten der Polizei in der Stadt beanspruche. Welche das ist, wurde den Organisator:innen offenbar nicht mitgeteilt.
Das macht aber nichts, weil allen klar ist, dass am selben Tag der Kybun-Park voll belebt ist. Fussball also, nur «ein Spiel», das so viel Polizeiaufwand braucht, dass ein paar Hundert Menschen nicht demonstrieren gehen können. Die Organisator:in, die durch das Programm der Anlässe zum feministischen Kampftag führt, lässt sich von diesen «toxischen, männlichen Mackervereinen, denen man alles durchgehen lässt», nicht unterkriegen, und ist dafür umso lauter auf der Kundgebung in der Marktgasse.
Frauen* auf der Flucht
Das Programm beginnt mit einem Referat der Politischen Frauen Gruppe (PFG) im Palace. Dieses eröffnet Silvia Vetsch, die Leiterin des Frauenhauses in St.Gallen. Sie zählt Fakten zu Frauen und Mädchen auf der Flucht auf, die laut UNHCR weltweit 50 Prozent ausmachen, nennt exemplarisch die staatliche Unterdrückung von Frauen in Iran und Afghanistan, erläutert, wie Vergewaltigung als systematische Kriegswaffe eingesetzt wird, und spricht von der Gefahr sexualisierter Gewalt, welcher Frauen und Mädchen aktuell etwa in Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo ausgesetzt sind.
Tea-Vanja Radovanac ergreift als Nächste das Wort und hält als Vertreterin der NGO Brava (ehemals Terre des Femmes Suisse) das Referat zu geflüchteten Frauen in der Schweiz. Sie berichtet aus ihrem Arbeitsalltag und den Zuständigkeiten der Organisation. Frauen, denen auf der Flucht ausserhalb der Schweiz Gewalt angetan wurde, haben hier keinerlei Anspruch auf Leistungen der Opferhilfe. Hier setzt Brava an: Mit Beratungen, finanzierten Therapieplätzen oder Selbstverteidigungskursen will sie die offensichtlichen Lücken im Gesetz überbrücken.
Radovanac zeigt auf, wie das Dublin-Abkommen die EU-Aussengrenzen belastet. Sie kritisiert auch die Gewalt, die Frauen an diesen Erstkontakt-Stellen erfahren, wie diese zur Fluchterfahrung gehört und gleichzeitig bei den Asylanträgen in der Schweiz nicht berücksichtigt wird. Stattdessen droht die Rückführung an diese unsicheren und gefährlichen Grenzen.
Ihre Hauptkritik an der Schweiz gilt der Praxis, dass sie öfter als alle anderen Länder Europas den Bescheid «vorläufig aufgenommen», also den F-Ausweis ausstellt. Damit können Asylsuchende zwar beginnen Deutsch- und Integrationskurse zu besuchen, sie sind aber noch nicht als Flüchtling anerkannt und können weiterhin jederzeit des Landes verwiesen werden.

Bei Anhörungen im Asylverfahren ist es den Asylsuchenden erlaubt, eine Vertrauensperson mitzubringen. Die Vertreter:innen von Brava übernehmen oft diese Rolle. Gefragt sei hier weniger juristische Fachexpertise, erklärt Radovanac. Vielmehr gehe es darum, in den Anhörungspausen das Besprochene zu reflektieren und Tipps zu geben, welche Argumente für einen positiven Asylentscheid noch vorgebracht werden könnten. Wenn der Person auf der Flucht beispielsweise geschlechtsspezifische Gewalt angetan wurde oder diese sogar der Fluchtgrund war, die Betroffene das aber bei der ersten Anhörung nicht bereits erwähnt, wird es praktisch unmöglich, dass das Thema in späteren Anhörungen ernst genommen wird. Dabei ist hinlänglich bekannt, wie schwer es manchen fällt, über solch traumatische und schambehaftete Erlebnisse überhaupt reden zu können.
Begleitend zu ihrem Referat spielt Tea-Vanja Radovanac ein Video von geflüchteten Frauen ab, die ihren Alltag in Schweizer Asylheimen schildern: Die Hygieneeinrichtungen sind oft nicht geschlechtergetrennt, sie fühlen sich unsicher, sie dürfen ihre Zimmertüren nachts nicht abschliessen, weil theoretisch jederzeit die Abschiebung anstehen könnte und die Behörden darum durchgehend Zugang zum Zimmer verlangen. Zum Schlafen benötigen viele Medikamente.
Statisches Parolenrufen in der Marktgasse
Nach einer kurzen Fragerunde mit dem Publikum und anschliessendem kleinen Apero geht es gemeinsam auf den Weg zur Kundgebung. Die kurdische Musik und die «Jin, Jyan, Azadi!»-Rufe (Frauen, Leben, Freiheit), die über die Marktgasse tönen, hört man schon von Weitem. Ein Ruf, der seit den Protesten im Iran 2022 von feministischen Bewegungen weltweit aufgenommen und zur internationalen Parole wurde.
Das Vulvadrachenkollektiv, der FINTA Treff SG, die PFG, das Ni una Menos Kollektiv Zürich und der Kurdische Frauenverein SG haben sich hier versammelt, um ihre Reden zu halten. Sie sprechen von steigenden Femizidraten, der Zunahme an Fällen problematischen Ernährungsverhaltens, unbezahlter Care Arbeit, der Pink Tax (wenn Frauen* für das gleiche Produkt mehr bezahlen, nur weil es pink ist) und dem Versuch rechter Kräfte, eine restriktive Asylpolitik als Schutzmassnahme für «einheimische» FINTA-Personen darzustellen.
Die Reden sind wütend, voller Kampfgeist, aber auch etwas theoretisch-analytisch. Die Redner:innen unterstreichen die Bedeutung von Intersektionalität und verbinden den Feminismus mit antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfen. Klasse, Herkunft, Gesundheit, Alter, Identität – all dies wird mitgedacht, um so die Bewegung weg von einem lediglich «weissen Feminismus» und somit «neoliberaler Kackscheisse» zu bringen, wie es Leandra vom FINTA Treff SG treffend formuliert. Der Anspruch auf internationale Vernetzung und Solidarität steht im Mittelpunkt: «Solidarität ist nicht nett gemeinte Theorie, sondern Widerstand, Schutz und eine verdammte Revolution!»

Zwischen den Reden nutzen die Veranstalter:innen die Zeit, um doch noch etwas Demostimmung aufzubauen und den Teilnehmer:innen etwas Beifall zu entlocken. Parolen wie «however I dress, wherever I go, yes means yes and no means no»; «Gegen Macker und Sexism – fight the Power, fight the system» oder «Alerta, Alerta, Antisexista» werden von den über 200 Teilnehmer:innen mitskandiert.
Und dann doch noch ein Mann im Zentrum
Dass dann vor der letzten Rede des kurdischen Frauenvereins sich ein Mann mit Velo mitten in den Demokreis verirrt und mit Teilnehmer:innen irgendeine Diskussion über die Grabenhalle anfängt, passt ins Stimmungsbild. Warum soll es auch nur einen Tag im Jahr eine Kundgebung geben, in der die Männer nicht irgendwie doch noch im Mittelpunkt stehen?
Das Awarenessteam kümmert sich um ihn, und die Moderatorin lässt alle wissen, dass die Polizei mittlerweile eingetroffen sei. Sie weist auch darauf hin, dass sie für die Kundgebung 150 Franken Busse zahlen müssen, weil eben diese Beamten jetzt vor Ort sind. Und obwohl sie eigentlich zu spät kamen, um ihre Arbeit zu tun und den Velokauz wegzuschicken, wie sie es sonst mit «Gegendemonstrant:innen» zu tun pflegt. Hauptsache Präsenz markiert!
Während die kurdische Frauengruppe abschliessend ein Lied anstimmt, vorm Vadian tanzt und ein paar Zettel mit Parolen an ein Gitter befestigt, löst sich die Versammlung langsam auf. Die meisten zieht es in den Schwarzen Engel – zur Überbrückung bis später am Abend die Soliparty in der Grabenhalle beginnt. Dort wird eine Kollekte für Women’s Hope aufgestellt, eine Organisation, die sich für die Geburtenhilfe in Afghanistan einsetzt.
Was bleibt nach diesem «Kampftag»? Obwohl das Palace voll war und sicher an die 200 Menschen den Reden an der Kundgebung gelauscht haben, bleibt es doch relativ ruhig. Der statischen Demo am fixen Ort ohne Umzug mangelt es an Bewegung, das gemeinsame Lautsein, die Interaktion bleiben abgesehen von den Sprechchören auf der Strecke. Und ausserdem: Wie genau wird denn jetzt das Patriarchat zerfetzt? Wie können wir die Situation für geflüchtete Frauen verbessern? Wie senken wir die Femizidrate in der Schweiz? Wie steigern wir die Rechte von mehrfach marginalisierten Personen und machen diese sichtbarer? Die Antworten darauf sind alles andere als einfach. Intersektionale Solidarität ist sicherlich ein guter Anfang. Und vielleicht etwas weniger Mackerfussball.