Das naive Urteil eines Touristen
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Der Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi war Anfang Jahr mit anderen Parlamentariern für sechs Tage in Eritrea. Geht es nach ihm, ist alles halb so wild: «Wir konnten uns weitestgehend ein unabhängiges Bild machen. Wir haben mit sehr vielen Eritreern absolut frei sprechen können», sagte er dem «St.Galler Tagblatt».
Ja, vielleicht konnte Aeschi sogar politische Fragen stellen. Ob er ehrliche Antworten bekam, ist aber eine andere Frage. Sogar er bemerkte, dass die Menschen ausgewichen sind «bei Fragen zum Wehrdienst respektive dem National Service».
Was haben sich die Parlamentarier wohl gedacht, als sie nach Eritrea gegangen sind, frage ich mich. Dass Menschen mitten in der Hauptstadt Asmara gefoltert werden und sie dabei zusehen können? Geht Herr Aeschi wirklich davon aus, dass die Leute, die seine Delegation herumgeführt haben, ihnen alles gezeigt haben – auch das, was sie nicht sehen sollten?
«Wir sind natürlich auch etwas neidisch geworden, als wir von Aeschis Reise gehört haben», sagte Alexandra Karle von Amnesty International Mitte Februar zum Zentral- schweizer Onlinemagazin «Zentral+». «Denn wir würden, zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen wie etwa der UNO oder dem Internationalen Roten Kreuz, auch gerne ins Land. Das lässt die eritreische Regierung allerdings nicht zu. Und das spricht ja auch dafür, dass ein Land etwas zu verbergen hat.»
Ich bin derselben Meinung wie Frau Karle: Diese Reise war pure Augenwischerei. Aeschis Partei und die eritreische Regierung haben gemeinsame Interessen: Erstere will ein Rückschaffungs-Abkommen, letztere will Gelder für die Entwicklungshilfe.
Aeschi hat keine Ahnung, wovon er spricht. Er hat genau das gesehen, was das Regime wollte. Wieso ist seine Delegation nicht nach Sawa gegangen, wo das Eritrean Military Education Camp ist und grausame Menschenrechtsverletzungen stattfinden? Ich habe Freunde, die dort gefoltert wurden. Selber bin ich dem nur per Familiennachzug entkommen. Zum Glück!
Nur weil Herr Aeschi ein paar Dörfer, die Hauptstadt und die Berge Eritreas besucht hat, kann er noch lange nicht über die politische Situation des Landes reden. Für mich ist er nicht mehr als ein Tourist, der einmal sechs Tage in meiner einstigen Heimat war. Es ist schlichtweg anmassend, rein aufgrund dessen über sie zu urteilen.
Yonas Gebrehiwet, 1996, ist mit 15 Jahren aus Eritrea in die Schweiz gekommen. Er wohnt in Rheineck und beendet im Sommer seine Ausbildung zum Textiltechnologen.