«Das mindeste an Würde»

Ein Wunschvorlage ist das neue Asylgesetz nicht. Wieso es trotzdem besser ist, am 5. Juni Ja zu stimmen, darüber diskutierte Nationalrat Balthasar Glättli mit Tilla Jacomet, Leiterin der Rechtsberatungsstelle des Heks, am Mittwoch im St.Galler Katharinensaal. von Nina Rudnicki
Von  Gastbeitrag
Balthasar Glättli (links), Kaspar Surber und Tilla Jacomet (Bild: Nicole Wagner)

«Wenn ich Eritreer oder Syrer wäre, würde ich für das neue Asylgesetz stimmen», sagte der Balthasar Glättli, grüner Nationalrat aus Zürich. «Käme ich hingegen aus einem sicheren Land wie dem Kosovo würde ich dagegen stimmen, weil ich bei einer Annahme der Revision schneller weg wäre.»

Es ist diese Aussage, die das Dilemma der Asylpolitik auf den Punkt bringt: Das neue Asylgesetz bringt zwar wichtige Verbesserungen mit sich – etwa die unentgeltlichen Rechtsvertreter –, hat aber auch Verschärfungen zur Folge. Darum hat die Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht im Katharinensaal in St.Gallen zu einer Pro- und Contra-Diskussion rund um die Asylgesetzrevision eingeladen, über die am 5. Juni abgestimmt wird.

Durch die Revision sollen Asylverfahren effizienter, konsequenter, rechtsstaatlicher und fairer werden, so die Botschaft von Bund und Parlament. Die SVP hat gegen die Beschleunigung der Asylverfahren das Referendum ergriffen.

Keine Wunschvorlage

Aber was ist fair, wenn es um Einzelschicksale geht? Und wie sinnvoll ist es, alle Asylsuchenden in Bundeszentren unterzubringen? Wo werden diese überhaupt liegen und wer soll sie betreiben? Und was bringen die unentgeltlichen Rechtsvertreter, die den Asylsuchenden von Anfang an zur Seite stehen sollen? Darüber diskutierte Moderator und Woz-Journalist Kaspar Surber mit Balthasar Glättli und Tilla Jacomet, Leiterin der HEKS-Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende St.Gallen-Appenzell.

Neu sollen Asylverfahren in maximal 140 Tage abgeschlossen sein. Innerhalb weniger Wochen bekommt ein Asylsuchender so seinen Entscheid oder wird in das erweiterte Verfahren versetzt.

«Ist es überhaupt möglich, innerhalb von 20 Tagen einen richtigen Entscheid zu fällen?», fragt Surber. Worauf Glättli als erstes klarstellt, dass das neue Asylgesetz keine Wunschvorlage von links-grün sei. Etwa weil die Rekursfrist von abgelehnten Asylsuchenden verkürzt würde. Hingegen zeige der Testbetrieb in Zürcher Zentrum, dass durch die unentgeltlichen Rechtsvertreter die Qualität der Asylgesuche gestiegen sei und es weniger Fehlentscheide gegeben habe.

«Natürlich kann man in zwanzig Tagen einen richtigen Entscheid fällen», sagt Jacomet. «Man kann auch in einem Tag einen richtigen Entscheid fällen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.» Die kostenlose Rechtsberatung für Asylsuchende sei für alle Beteiligten ein grosser Vorteil. Wobei sie natürlich auch die Bedenken verstehe, ob die Unabhängigkeit der vom Staat bezahlten Anwälte gegeben sei. «Aber generell lässt sich sagen, das jede Firma ein Qualitätscontrolling macht, bevor ihre Produkte auf den Markt gehen. Wieso sollte das beim Staat anders sein? Der Rechtsschutz ist ein Qualitätscontrolling der Asylentscheide.»

«Geschichten verändern sich»

Sehr oft werde in Asylverfahren versucht, Personen an Details aufzuhängen, sagt Glättli, der während sieben Jahren als Geschäftsführer bei Solidarité sans frontières arbeitete. «Aber Geschichten verändern sich mit der Zeit. Man erzählt Dinge nach einigen Jahren anders als nach einem Monat.» Daher sei es umso wichtiger, dass die Rechtsberatung von Anfang an dabei sei.

Ein typisches Beispiel ist laut Jacomet die Befragung einer Asylsuchenden, die vergewaltigt wurde. «Es kann passieren, dass bei der Befragung Männer dabei sind und die Asylsuchende ihre Geschichte nicht gleich erzählt wie wenn sie nur von Frauen befragt worden wäre», sagt sie. Das sei ein Verfahrensfehler, der durch eine Rechtsberatung verhindert werden könne. Nicht umsonst verzeichne die Rechtsberatung beim Heks eine hohe Erfolgsquote.

«Wir sind zu über 50 Prozent erfolgreich, wenn wir in derart begründeten Fällen Rekurs einreichen.» Durch die beschleunigten Verfahren würden die Asylsuchenden zudem an Transparenz und Information gewinnen. «Sie wüssten viel schneller woran sie sind. Und jemandem reinen Wein einzuschenken, ist für ihn das mindeste an Würde», sagt Glättli.

«Genau», erwidert Jacomet. «Das wichtigste ist aber, dass es nicht immer wieder eine neue Revision braucht. Sondern dass die Fachleute einfach ihre Arbeit machen könnten. Dass wir Asylbewerber als Menschen betrachten, nicht als Nummern. Und dass wir die bürokratischen Hürden abschaffen. Dann wäre ich zufrieden.»