Das lange Latino-Wochenende

Seit ich 16 bin, will ich Spanisch lernen, habs aber nie über ein paar Brocken als Rucksacktouri in Kolumbien hinausgeschafft. An Portugiesisch – die zweite prägende Sprache Lateinamerikas – werde ich mich wohl wegen dessen Schwierigkeit sowieso nie heranwagen.
Für den nächsten Spanischversuch braucht es nun wenigstens keine klimaschädigenden Atlantikflüge mehr: Das Filmfestival Pantalla Latina (etwa: Lateinische Leinwand) zeigt nämlich Ende November im Stadtsanktgaller Kino Scala 16 Filme und 20 Kurzfilme aus insgesamt 16 Ländern des riesigen Subkontinents Lateinamerika.
Pantalla Latina:
21. bis 25. November, Kino Scala St.Gallen
pantallalatina.ch
Natürlich werden diese zeitgenössischen Filme im Originalton mit deutschen oder englischen Untertiteln gezeigt – so kommt man doch noch etwas zum Sprachstudium, verliert aber auch die Handlung der Filme nicht aus dem Blick. Das Festival ist eine exotische und schöne Gelegenheit, tief in Sprache und Kultur Lateinamerikas einzutauchen; und das mitten im novemberkalten St.Gallen.
Düstere Themen zuhauf…
Ein äusserst umfangreiches Programm tischen die Organisatoren dieses mittlerweile zehnten Pantalla Latina da auf. Ein normales Wochenende reicht für diese Anzahl Filme nicht aus, weshalb das Programm im Scala bereits am Mittwochabend startet. Zudem ist das Filmangebot äusserst vielseitig: Absurde Komödien, bittere Dramen, ein Animationsfilm sowie Dokumentar- und Kurzfilme flimmern über die lateinische Leinwand.
Natürlich hat Lateinamerika viele andere Facetten als jene der medial oft überpräsenten (Drogen-)Gewalt und der Migration, und doch sind es solche drängenden Themen, die viele Regisseure in ihrem Schaffen aufgreifen.
In La Jaula de Oro etwa suchen drei guatemaltekische Teenager ihr Glück auf der Flucht in Richtung USA. Doch nebst wenigen leichten Momenten begegnen ihnen vor allem brutale Grenzpolizisten und Verfolgung.
Vom ungewöhnlichen Blickwinkel eines Schleppers aus zeigt El Silencio del Viento die Mechanismen hinter den Fluchtbewegungen Lateinamerikas. Der Schlepper Rafito gerät dabei immer tiefer in den Strudel seines dreckigen Geschäftes. Regisseur Álvaro Aponte-Centeno wird am Festival vor Ort sein und vor der Vorstellung über seinen Film diskutieren.
Ein weiteres düsteres Kapitel schlägt der Dokumentarfilm Las Mujeres Deciden von Xiana Jago Tortajada auf. Diese ist eigentlich eine spanische Ärztin, die in Ecuador arbeitet. Dort ist sie schockiert über die hohe Zahl jugendlicher Schwangerschaften im Land. Als sie erfährt, dass viele der jungen Frauen Opfer von sexueller Gewalt wurden, entschliesst sie sich, einen Film darüber zu drehen. Tortajada wird ebenfalls in einem moderierten Gespräch in St.Gallen über ihr Werk und ihre Arbeit berichten.
Überhaupt ist das vielfältige Rahmenprogramm des Festivals erfreulich: In der Pantalla-Bar im Safranblau (gleich neben dem Scala) werden an jeweils verschiedenen Tagen Speisen und Getränke aus Ecuador, Peru oder Mexico aufgetischt, so dass man sich bereits geschmacklich auf die Filme einstimmen kann.
…und eine Portion kurze Leichtigkeit
Neben den vielen schwierigen Geschichten findet sich aber auch Leichtigkeit im diesjährigen Programm. Etwa die irre Komödie Relatos Salvajes, die in sechs Kapiteln zeigt, wie sich Menschen mit fiesen Racheakten aus absurden Situationen befreien.
Doch noch etwas lieblicher ist der einzige Animationsfilm des Festivals namens Anina über ein freches Schulmädchen, das seinen Namen nicht mag, weil dieser aus drei Palindromen (vorwärts und rückwärts gelesen identische Wörter) besteht.
Interessant ist auch die Märchenstunde für kleine «Pantalleros» ab sechs Jahren. Und natürlich die erwähnten Kurzfilme: Ganze 20 davon zeigt Pantalla Latina während des Festivals, das Publikum kann dabei seine Favoriten wählen, wobei am Sonntagabend dann der Publikumspreis für den besten Kurzfilm verliehen wird.
Dieser Beitrag erschien im Novemberheft von Saiten.