Das Konsulat im Schlussspurt
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Verwandlungswunder Nummer eins: Die Bar im Hochparterre, bisher ein unspektakulärer Tresen, der jeweils während der Nextex-Ausstellungen bedient war, ist nicht wiederzuerkennen. Vom Bartisch über die Hocker bis zu den üppigen Wandverkleidungen ist alles neu. Michael Bodenmann und Barbara Signer haben den Raum von Kopf bis Fuss neu gestaltet für ihre Ausstellung «Work Life Balance» – heute Donnerstag abend wird die Bar vom Zürcher Kunstraum Hamlet bedient; der Bericht zur Ausstellung auf saiten.ch folgt.
Verwandlungswunder Nummer zwei: Der Archivraum im ersten Stock, vorher eine vernachlässigte Abstellkammer mit verschmierten Wänden, zeigt sich über Nacht blendend weiss gestrichen wie am ersten Tag. Der Pinsel ist noch feucht, die Tür verschlossen – am Samstagabend wird das Publikum mitkriegen, was in der jüngsten «white box» passiert.
Die zwei Beispiele zeigen: Das Haus blüht noch einmal richtig auf. Dabei ist den Nutzerinnen und Nutzern im Kulturkonsulat an der Frongartenstrasse, darunter auch Saiten, bekanntlich auf Ende Juni gekündigt worden. Das Haus wird abgebrochen und weicht einem Büroneubau der Besitzerin, der Ärzte-Ausgleichskasse Medisuisse. Kein Grund für die Kunstschaffenden aber, den Bettel vorzeitig hinzuwerfen. Im Gegenteil.
Der Gegenbeweis ist erbracht
«épisodes culturels #14 + 15: Le Grand Finale» heisst es an diesem Samstagabend, 14. März. Es ist ein doppelter Schlusspunkt. Zum einen gilt es langsam Abschied zu nehmen vom Konsulat. Und zum zweiten vom Format der «épisodes culturels». Nach fünf Jahren und 15 Episoden schliessen Ann Katrin Cooper und Tobias Spori die vielfältige Veranstaltungsserie ab.
Gestartet hatten die beiden die Idee damals aus einem Frust, wie Ann Katrin Cooper sagt. Mit ihrem Panorama Dance Theater hatten sie ein Festival auf der St.Galler Kinderfestwiese geplant. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, «alles war total gut geklärt», doch dann beurteilten die Geldgeber von Stadt und Kanton die Infrastrukturkosten als zu hoch.
Der Frust war da, die Probleme blieben: zum einen der Vorwurf, es gebe sowieso zu wenig Künstler und Ensembles. Und zum andern die real existierende Raumnot. «Also traten wir den Gegenbeweis an»: Zwei Wochen nach der Absage ging die erste «Episode» über die Bühne der Grabenhalle, der Frust war weg, das Ziel, sich künstlerisch zu vernetzen, ein erstes Mal erreicht.
Das glückte auch in den nächsten Jahren, nicht zuletzt dank der unkonventionellen Spielorte: Eine Kirche, das Volksbad, Restaurants oder die Marktgasse wurden bespielt, die Kunsthalle wurde zum Theaterraum, ebenso die Hauptpost-Bibliothek. Andere Episoden führten aus der Stadt hinaus, auf die Burg Hohenrätien, ins Kloster Magdenau oder ins Zeughaus Teufen. Auch das Kulturkonsulat war bereits einmal Spielort – und wird es jetzt wieder.
Hauptsache aber: Die personellen Konstellationen wechselten, jedesmal kamen andere Kunstschaffende und andere Sparten hinzu. Musikerinnen, Fotografen, Bildende Künstler, Artistinnen, Performer, Schauspielerinnen entwickelten gemeinsam eine Episode, gingen auf die immer wieder andern Räume ein, wirbelten Ausdrucksmittel und Medien durcheinander.
«Das Lustvolle, Inspirierende hat immer überwogen», sagt der Tänzer Tobias Spori. So im Volksbad: 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, und am Schluss landen Akteure wie Publikum im Wasser. Oder in der nachtdunklen Hauptpostbibliothek, zwischen deren Regalen sich die Künstlerin Andrea Vogel ihren Weg auf Skiern suchte und Kora-Klänge ertönten.
Über die fünfjährige Arbeit mit den «Episodes» hätten sich Kooperationen entwickelt, die Bestand haben. Das kommt jetzt auch dem samstäglichen Abschluss zugute.
Das Grand Finale samt Untergang
Das Motto im Konsulat heisst «Le Grand Finale». Beteiligt sind rund zwei Dutzend Kunstschaffende, unter anderem Angela Galmarini (Tanz), Kurt Söldi (Trompete), Helen Prates de Matos (Szenografie), Anna von Schrottenberg (Texte), Silvan Stephan (Video), die Kulturkosmonauten (Performance), Marwa Ines Boughrif (Praktikum) und Cooper und Spori, die das Ganze inszenieren.
Le Grand Finale: 14. März ab 19 Uhr, Kulturkonsulat, Frongartenstrasse 9, St.Gallen
Versprochen sind Untergangsszenarien – passend zum «Untergang» des ehemaligen Konsulats, mit dem auch einer der letzten Reste des einst vitalen, heute rotbeteppichten Quartiers verschwindet. «Wo steuern wir hin? Kopflos in den Untergang? Oder in eine bessre Zukunft? Allein oder gemeinsam? Reflektiert oder taub?» Solche Fragen wollen die Performances am Samstag in Gang bringen.
«Die alten Häuser, inzwischen fast komplett verschwunden, hätten viel erzählen können. Die heutigen Geschäftshäuser rundherum erzählen uns nichts», sagt Ann Katrin Cooper und gibt gleich das Motto ihrer Vernetzungsarbeit, im Konsulat wie in den Trainings mit den migrantischen Kulturkosmonauten, dazu: «Wenn wir zukunftsfähig sein wollen, müssen wir viel mehr als heute gemeinsam tun und die Diversität nutzen.»
Allerdings: Das Grand Finale ist erst der Anfang vom Ende. Noch wird im Konsulat gearbeitet, und noch ist der ultimative Schluss in einiger Ferne: Am 19. Juni soll die Finalissima stattfinden.