Das kleine Universalmuseum im Appenzeller Vorderland

Einblick in die naturhistorische Sammlung des Museums Heiden. (Bild: pd/Museum Heiden)

Das Museum Heiden zeigt in seiner Dauerausstellung die Kurgeschichte des Dorfes und bietet Einblicke in ethnologische und naturkundliche Sammlungen.

Der Dorf­brand vom 7. Sep­tem­ber 1838 war bru­tal: Er ver­nich­te­te im Dorf­kern von Hei­den und in den nörd­li­chen Ge­mein­de­tei­len 129 Ge­bäu­de samt der Kir­che. 403 Men­schen ver­lo­ren ihr Ob­dach. Die Heid­ner:in­nen rap­pel­ten sich aber schnell wie­der auf und mach­ten sich, mit Un­ter­stüt­zung aus dem In- und Aus­land, an den Wie­der­auf­bau. In­nert zwei Jah­ren ent­stand das Dorf neu, in klas­si­zis­tisch-bie­der­mei­er­li­chem Stil. 

Und auch wirt­schaft­lich ging es bald auf­wärts: Hei­den wur­de zum Kur­ort mit eu­ro­päi­scher Aus­strah­lung. Von 1850 bis 1914 fand sich die eu­ro­päi­sche Haute­vo­lee zur Som­mer­fri­sche und zur me­di­zi­ni­schen Kur in Hei­den ein. Be­kann­te Ärzt:in­nen, ei­ne in­no­va­ti­ve Ho­tel­le­rie und Kur­ge­sell­schaft bil­de­ten die Grund­la­ge ei­ner mon­dä­nen Blü­te­zeit. Mit dem Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs fand sie ihr En­de. 

In der neu­en Dau­er­aus­stel­lung des Mu­se­ums Hei­den ist sie nun auf­er­stan­den. Ob­jek­te, Bil­der und Tex­te, Hör­sta­tio­nen und Mo­ni­to­re füh­ren in die­se Glanz­zeit der Ge­schich­te Hei­dens. Ei­ne an­spre­chend ge­stal­te­te Aus­stel­lung, von der man sich ger­ne mit­neh­men lässt. In der Li­ga der grös­se­ren und gros­sen Mu­se­en der Schweiz kann sie da­mit nicht mit­spie­len. Aber muss sie das? 

Auch die Aus­stel­lun­gen dort ha­ben ih­re Gren­zen, wir­ken zum Bei­spiel oft et­was über­in­sze­niert, ver­krampft und prä­ten­ti­ös, set­zen zu stark aufs Ze­le­brie­ren der Ob­jek­te, aufs Ani­mie­ren, Di­gi­ta­li­sie­ren. Da tut ei­ne Aus­stel­lung wie die in Hei­den gut. 

Ein­blick in Eth­no­lo­gie und Na­tur­ge­schich­te 

In ganz an­de­re Wel­ten ge­langt man ein Stock­werk hö­her: in die Eth­no­lo­gie und die Na­tur­ge­schich­te. Da steht man plötz­lich vor ei­nem prä­pa­rier­ten Amei­sen­bä­ren, ent­deckt Spee­re aus In­do­ne­si­en und Schau­käs­ten mit exo­ti­schen Schmet­ter­lin­gen und Kä­fern. Die Prä­sen­ta­ti­on stammt von 1952 und wur­de nur da und dort ak­tua­li­siert oder mit neu­en Ele­men­ten er­gänzt. Ein sol­ches «Mu­se­um im Mu­se­um» ist heu­te sel­ten und von gros­sem Reiz. 

Es er­zählt, wie man sich frü­her von der un­end­li­chen Fül­le der Welt – Men­schen, Tie­re, Mi­ne­ra­li­en – ein Bild ma­chen, die­se Fül­le ir­gend­wie ord­nen und ver­ste­hen woll­te. Keck nennt sich das Mu­se­um Hei­den seit neu­es­tem auch «Das (klei­ne) Uni­ver­sal­mu­se­um». An die über­bor­den­de, glo­ba­le Fül­le, die das In­ter­net bie­tet, reicht das nie her­an, da­für ist es sinn­li­cher und le­ben­di­ger. 

Neu­es­ten Da­tums ist die rie­si­ge Er­klär­gra­fik, die sich über ei­ne gan­ze Wand hin­zieht: «Von der Wun­der­kam­mer zum Mu­se­um.» Sie gibt in­struk­ti­ve Ein­bli­cke in die Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen der Ge­schich­te der Mu­se­en und dem «ko­lo­nia­lis­ti­schen Pro­jekt», das Eu­ro­pa über 500 Jah­re lang be­schäf­tig­te. Ko­lo­nia­lis­mus und Mu­se­ums­ge­schich­te, liest man dort, ent­wi­ckel­ten sich im Gleich­schritt und hat­ten viel mit­ein­an­der zu tun, ja be­ding­ten sich ge­gen­sei­tig. 

Zu ent­de­cken gibt es in die­sem Mu­se­um aber noch man­ches mehr. Er­wähnt sei­en nur das klei­ne Schau­la­ger mit Ob­jek­ten zur Kur­ort-Ge­schich­te und zur bür­ger­li­chen Wohn­kul­tur oder die Ma­te­ria­li­en zu Le­ben und Werk des ge­nia­len Ka­ri­ka­tu­ris­ten, Jour­na­lis­ten und Re­dak­tors Carl Böck­li (1889–1970), be­kannt als «Bö».

Sam­meln in Hei­den

Wie kommt ein Orts­mu­se­um im Ap­pen­zel­ler Vor­der­land zu sol­chen Ob­jek­ten? Ge­sam­melt wird in Hei­den seit über 150 Jah­ren: 1859 kauf­ten die Hei­de­ner Le­se­ge­sell­schaf­ten ei­ne ers­te na­tur­kund­li­che Samm­lung ein. Da­zu ka­men bald Schen­kun­gen von Tex­til­kauf­leu­ten aus Hei­den, die in der wei­ten Welt tä­tig wa­ren. 

1874 be­gann der His­to­risch-An­ti­qua­ri­sche Ver­ein Hei­den mit dem Sam­meln von Ar­chi­va­li­en und Ob­jek­ten zur Wohn- und All­tags­kul­tur des «bür­ger­li­chen» Hei­den seit dem 19. Jahr­hun­dert. Das Un­ter­brin­gen und die Prä­sen­ta­ti­on der Samm­lun­gen war über vie­le Jah­re et­was aben­teu­er­lich, wie das bei sol­chen Samm­lun­gen oft der Fall war. Selbst­be­wusst sprach man aber vom «Na­tur­his­to­ri­schen Mu­se­um» und vom «His­to­ri­schen Mu­se­um». 

Ab 1950 zo­gen bei­de Mu­se­en in das neue Post­ge­bäu­de am Kirch­platz um und er­hiel­ten dort schritt­wei­se mehr Raum. 2010 wur­de ein Raum für Son­der­aus­stel­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen er­öff­net. 2024 wur­de das Mu­se­um nach ei­nem zeit­ge­mäs­sen Kon­zept um­fas­send neu­ge­stal­tet. Bei­de Mu­se­en wer­den heu­te vom «His­to­risch-An­ti­qua­ri­schen Ver­ein» ge­führt. 

An­de­re Zei­ten

Ge­lei­tet wird das Mu­se­um seit fünf Jah­ren vom Eth­no­lo­gen Mar­cel Zünd. Da­zu kommt ein Netz­werk von Hel­fer:in­nen, Part­ner:in­nen und Sym­pa­thi­sant:in­nen. Und mit dem ÖV ist es bes­tens er­reich­bar. Das Post­au­to hält di­rekt vor der Mu­se­ums­tü­re. Reiz­voll ist aber auch die Fahrt mit der Ror­schach-Hei­den-Bahn. Vom Bahn­hof Hei­den sind es bis zum Mu­se­um ein paar Mi­nu­ten.

Die neue Dauerausstellung zeigt, wie sich der Kurort gewandelt hat. (Bild: pd/Museum Heiden)

Doch noch ein­mal zu­rück zur neu­en Dau­er­aus­stel­lung über die Kur­ge­schich­te Hei­dens. Sie bleibt nicht beim En­de die­ser «gros­sen Zeit» 1914 ste­hen. Sie zeigt auch, wie man da­nach ver­such­te, sich den ver­än­der­ten Zei­ten und Rei­se­ge­wohn­hei­ten an­zu­pas­sen. Man zeig­te sich hier ein­falls­reich, ver­such­te es bei­spiels­wei­se mit dem mit­tel­stän­di­schen Gäs­te­seg­ment, mit dem Ta­ges- und Wo­chen­end-Tou­ris­mus, mit be­son­de­ren The­ra­pien oder Fe­ri­en­la­gern für Kin­der. 

Ei­ne lang­fris­ti­ge Zu­kunft hat­te das al­les nicht. Nach den 1980er-Jah­ren brach die einst stol­ze Ho­tel­le­rie in Hei­den fast voll­stän­dig ein. Was dach­te man dar­über in Ror­schach? Gut mög­lich, dass da und dort ei­ne ge­wis­se Scha­den­freu­de mit­schwang. Ror­schach hat­te im 19. Jahr­hun­dert näm­lich eben­falls ver­sucht, zum Kur­ort zu wer­den. Dass es da­mit schei­ter­te, hat­te we­sent­lich mit dem Auf­stieg Hei­dens und der Ein­wei­hung der Ror­schach-Hei­den-Bahn 1875 zu tun.

«Das (klei­ne) Uni­ver­sal­mu­se­um», Dau­er­aus­stel­lung: April bis Ok­to­ber, mitt­wochs bis frei­tags je­weils von 13 bis 16 Uhr, sams­tags und sonn­tags von 11 bis 16 Uhr, Mu­se­um Hei­den.

Öf­fent­li­che Füh­rung: 4. Mai, 14 Uhr. Wei­te­re Füh­run­gen ab Ju­ni.

In­ter­na­tio­na­ler Mu­se­ums­tag: 18. Mai, 10 Uhr.

Mu­se­um Hei­den «Ko­lo­ni­al»: 22. Mai, 19 Uhr.

mu­se­um-hei­den.ch