Das grosse Schmelzen

«Astral Sleaze» nennen Barbara Signer und Nathalie Price Hafslund ihre Ausstellung im Kornhaus Rorschach und verbinden damit Alltag und Anderswelt, Matsch und Schönheit.
Von  Kristin Schmidt

Wer hat nicht schon davon geträumt, zu fliegen. Nicht mit Gerätschaften, Maschinen oder von Schanzen herunter, sondern Arme ausbreiten und los. Einfach so, ohne Kraftanstrengung, leicht dahin. Barbara Signer und Nathalie Price Hafslund haben diesem Traum sein Bild gegeben oder vielmehr: seinen Film. Der Himmel ist gleissend blau, die Wüste hügelig und mittendrin gleitet durch die Lüfte eine junge Frau. 

Auf das Woher und Wohin kommt es nicht an, einzig auf den Zustand: schwerelos, schwebend. «Komm, wir gehen mitfliegen», sagt ein Kind. Zwei Teppiche liegen bereit – vielleicht lässt sich in Bauchlage auf dem flauschigen Untergrund das Erdenschwere abwerfen oder zumindest vergessen: Das Kornhaus Rorschach wird zur Traumstation.

Leichtsinn und Tiefsinn

Und Träume wurzeln bekanntlich in der Realität. Manchmal schlagen sie von dort ins Unheimliche aus, oft ins Surreale, und manchmal könnte auch alles so gewesen sein. Zwischen diesen Polen, zwischen Alltag, Albtraum und Anderswelten, bewegen sich die Arbeiten von Barbara Signer und Nathalie Price Hafslund. Beiden Künstlerinnen gelingt die Synthese aus Leichtigkeit und Tiefsinn, aus Weltgewandtheit und Ortsbezug.

Zentrale Arbeit ist ein Kreis aus Glacéblöcken oder das, was davon inzwischen übrig ist: etwas Fett und etwas Farbstoff. Die Sommerlust ist dahin geschmolzen. Sie hat sich erst in wackelige Menhire, dann in ein pastoses Gemälde und schliesslich in eine glitschige Masse verwandelt. Ihre Zwischenstufen wirken wie zuckerzerfressene Zähne oder wie geplatzte Adern in verwesendem Fleisch, dort nämlich, wo die eigens gegossenen, roten Sorbetaugen unter der Frühsommerhitze ihre Form verloren und sich in roten Farbströmen aufgelöst haben.

«Astral Sleaze», bis 17. Juni, Kornhaus Rorschach, Sa und So 11-18 Uhr.
So 10. Juni 11 Uhr: Textcollage von Ralf Bruggmann.
So 17. Juni 11 Uhr. Finissage.

kulturfruehling.ch

Diese Nähe der Installation zur Malerei ist keinesfalls zufällig und setzt sich in A Picture of a Woman Looking at a Picture (Twilight Zone) von Barbara Signer fort. Der doppeldeutige Titel zitiert einerseits die in den 1950ern gestartete Fernsehserie. Andererseits spielt er an auf das Sujet der Frau inmitten moosbewachsener Steine. Sie schiebt ein Rasterbild hin und her, so dass ein Moiré-Effekt entsteht – das Bild ist also in zweifachem Sinne ein bewegtes Bild.

Bewegte Bilder thematisiert auch Natalie Price Hafslund – am letzten Ort, an den grosse Darsteller dieser Bilder gelangen. Mit der Handkamera hat sie den «Hollywood Forever Cemetery» gefilmt. Auch hier hat die Sache mehr als nur eine Seite. Die Düsternis des Todes klingt zwar durch den Verzicht auf Farbe an, aber die Old Time Music, die schnellen Bildwechsel, die wacklige Tour von Grabstein zu Grabstein nehmen dem Thema alle Schwere, und wenn plötzlich aus einer frisch ausgehobenen Grube eine Schaufel auftaucht, wirkt dies eher surrealistisch als bedrohlich.

In der Einzelschlafzelle

Barbara Signer und Nathalie Price Hafslund gelingt es, bestehende und neue Arbeiten nahtlos zu einem grossen Ganzen zusammenzufügen. Entstanden sind die früheren Werke bei einem Aufenthalt in der kalifornischen Mojave-Wüste bei Joshua Tree. Das Umfeld dort ist ein besonderes, ein künstlerisches. Andrea Zittel, in den 1990er Jahren in der Kunstwelt international präsent mit ihren Miniwohnzellen, führt dort ihre «Experiments in Living» weiter und lädt Kunstschaffende ein, die Einzelschlafzellen temporär zu bewohnen.

Barbara Signer und Nathalie Price Hafslund haben eine Zeitlang in der Wüste verbracht und sie intensiv genutzt. Viele Arbeiten tragen Spuren jener kargen Landschaft in sich. Aber sie vertragen sich auch mit dem Wasser, mit dem See: Die beiden Künstlerinnen haben in der Woche vor der Ausstellung Quartier bezogen im Kornhaus Rorschach. Sie haben ihre früheren Arbeiten analysiert, weiterentwickelt und so Rorschach etwas näher an die grosse weite Welt gerückt.

Damit ist nach der Finissage zumindest im Kornhaus vorläufig Schluss: «Astral Sleaze» ist die letzte von 17 Ausstellungen, die Elisabeth und Thomas Krucker unter dem Titel Kulturfrühling seit 2010 hier veranstaltet haben.