Das Geschäft mit Liebe und Angst

Wie sicher ist ein Kindersitz? Atmet das Baby in seinem Bettchen noch? Was kostet das perfekte Date? Werbung arbeitet auch in Familien- und Liebesdingen mit Versprechungen und mit Ängsten. Wie kommen wir aus der ganzen Nummer wieder raus?
Von  Veronika Fischer

Ich stehe in einem Geschäft für Babybedarf und suche nach einem Kindersitz für meinen vierjährigen Sohn. Im Internet hab ich ein Modell gefunden zu einem guten Preis, aber meine Credos sind «support your local business» und «Schiesse keine Milliardäre ins All», drum geh ich ins nächste Geschäft.

Ich frage die Verkäuferin, welchen Sitz sie mir empfehlen könne. Sie zeigt unvermittelt auf einen, der das zehnfache von meinem Wunschmodell kostet. Also frage ich nach einem günstigeren Sitz. Das Gesicht der Verkäuferin wird streng. Günstigere Modelle haben sie schon, aber ich solle doch bitte an die Sicherheit des Kindes denken. Bei einem Unfall … sie spricht nicht weiter, wir beide haben Bilder im Kopf, die uns verstummen lassen.

Zuhause checke ich online die Sicherheit der Autositze im Vergleich. Beide schneiden ähnlich gut ab. Was passiert hier also? Es ist ein Spiel mit der Angst. Und das beginnt, bevor ein Mensch überhaupt existiert.

Die Angstmacherei beginnt schon in der Schwangerschaft

In der Schwangerschaft taucht sie zum ersten Mal auf: die Angst, das Kind zu verlieren. Sie schleicht sich ein in die Gedanken, in die Träume, setzt sich fest. Sie wächst. Und sie wird gefüttert. Beim Gynäkologen werden den Frauen Werbebroschüren für Nahrungsergänzungsmittel in die Hand gedrückt. Noch ein extra Ultraschall? Oder doch vielleicht gleich ein Kaiserschnitt? Der ist laut Statistik supersicher und bringt einer Geburtsstation gleich noch das Zehnfache einer natürlichen Geburt ein. Ausserdem ist er planbar und geht im Regelfall um einiges flotter über die Bühne. Wirtschaftlich gesehen also die bessere Variante.

Und es zieht sich weiter. Die Ängste und die Produkte, die einem Sicherheit versprechen, sind unzählig. Matratzen, die eine Überprüfung der Babyatmung garantieren. Babyphones mit Videoüberwachung. Kinderwagen für ein Monatsgehalt. Qualität und Sicherheit haben eben ihren Preis – so könnte man denken. Das mag für regionale und fair produzierte Dinge sehr wohl zutreffen. Oft wird aber übersehen, dass die Produktionsverhältnisse von günstigen und teureren Vergleichsmodellen ähnlich sind. Gerade Markenartikel kommen oftmals aus Fabrikhallen und entstehen unter Arbeitsbedingungen, die nicht zu unterscheiden sind von den No-Name-Produkten. Und trotzdem suggeriert der hohe Preis höhere Sicherheit.

Eine gute Mutter oder ein guter Vater ist also, wer ein gutes Produkt kauft und bereit ist, den entsprechenden Preis zu bezahlen: so die logische Konsequenz, mit welcher die Werbeindustrie spielt.

Romantische Liebe ist kaum trennbar vom Konsum

Dass Liebe und Fürsorge unmittelbar mit kapitalistischen Aspekten in Verbindung gebracht werden, ist auch in anderen Bereichen der Liebe so. In der romantischen Liebe ist das Konzept, dem wir aktuell nachleben, stark mit Konsumverhalten verbunden. Von der roten Rose zum ersten Date über das schicke Restaurant bis hin zum Diamantring und der Flitterhochzeit sind romantische Gesten mit entsprechenden Produkten verknüpft. Diese haben sogar Symbolcharakter, und man erkennt sofort den Kontext. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn auf Instagram ein Foto eines Ringes am Finger einer Frau gepostet wird: Weitere Worte sind gar nicht notwendig, alle flippen aus – yes!!!

Eva Illouz hat in ihrem Buch Der Konsum der Romantik (habe ich in Saiten schonmal erwähnt und wiederhole die Leseempfehlung gern an dieser Stelle) aufgezeigt, dass Liebesbeziehungen, wie wir sie heute führen, aus einem Pingpongspiel mit dem kapitalistischen System, in welchem wir derzeit leben, entstanden sind. Der Ursprung der Dating-Kultur ist gleichen Datums wie der von Fastfood-Restaurants und Autokinos.

Wer erfolgreich daten wollte, brauchte ein Auto. Wer eine erfolgreiche Ehe führen wollte, brauchte ein Eigenheim, eine Waschmaschine und einen Rasenmäher. Wir alle kennen die Klischees, wir alle leben sie zum Teil bewusst, zum Teil unbewusst, die einen mehr, die anderen weniger. Aber komplett befreit vom Zusammenhang von Liebe und Konsum sind wir alle nicht. Selbst wenn wir es schaffen, eine romantische Beziehung ohne kapitalistische Einflüsse zu leben, so findet diese Beziehung in unserer Freizeit statt und ist somit als Gegenpol der Erwerbsarbeit zu sehen. Okay, vermutlich gibt es doch Auswege: Liebesbeziehungen an Arbeitsplätzen, arbeitslose Liebende oder einfach keine Liebe.

Letzteres würde aber bedeuten, dass wir allein und einsam leben. Eine Idee, gegen die eine ganze Werbeindustrie mit einem massiven Aufgebot ankämpft. Eines der beliebtesten Motive in Werbespots sind glückliche Paare und Kernfamilien. Als Horrorvision werden hingegen Personen gezeigt, die alleine in dunklen Wohnungen sitzen. Auch hier greift das Spiel mit der Angst.

Happy dank Werbung? Oder glücklich konsumfrei?

Vielleicht ist die Lösung tatsächlich ganz einfach: Geld verdienen und Sicherheit kaufen, dann klappts auch mit der Liebe und den Kindern und wir sind «happy ever after»? Nette Idee – aber wenn wir jede Angst mit einem materiellen Ding kompensieren, entstehen garantiert neue Ängste und wir brauchen noch mehr Dinge. Und was wir auf diesem Weg verlieren, ist der Umgang mit der Menschlichkeit. Ängste gehören zu unserem Leben dazu. Man kann sie nicht wegkaufen, es gilt sie auszuhalten. Die Angst vor der Einsamkeit. Vor einem Verlust. Vor Krankheit, Schmerzen und dem Tod. Es ist eine Urangst. Und je besser wir lernen, diese zu ertragen und mit ihr durchs Leben zu gehen, desto kleiner wird sie.

«Feeling a sense of love and awe for life without needing anything from outside of us is freedom», sagt Meditationsguru Joe Dispenza. Wer also frei ist von Konsum und äusseren Angeboten, ist bereit für unabhängige und echte Liebe. Klingt nach hartem Zen-Buddhismus und Minimal-Living.

Was wäre denn die Konsequenz, wenn wir alle aufhören würden zu konsumieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich James B. MacKinnon mit seinem gerade erschienenen Buch Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen. Laut Kundenbewertungen ein bahnbrechendes Buch voller Erkenntnisse. Ich wollte es mir kaufen, aber das verbietet sich ja von selbst. Von daher werde ich die Methode einfach ausprobieren. Vielleicht macht jemand mit?

Dieser Beitrag erschien im Januarheft von Saiten.