, 9. Juli 2024
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«Da drin wird eine Haltung vertreten»

Zum 40-Jahr-Jubiläum der Grabenhalle hat Saiten drei Generationen zum Gespräch versammelt: Rosa Schwarz, die bei der Entstehung der Grabenhalle als alternatives Kulturlokal dabei war, Sascha Vujčin, seit 25 Jahren im Kollektiv, und Arion Gastpar, ebenfalls langjähriges Kollektivmitglied.

Arion Gastpar, Sascha Vujčin und Rosa Schwarz. (Bild: Andri Voehringer)

Saiten: Rosa, du hast die Gründung der Grabenhalle eng begleitet und warst auch in der IG Aktionshalle Graben dabei. Wie war es damals in St. Gallen? In welchem politischen und gesellschaftlichen Klima ist die Grabenhalle als Kulturlokal entstanden?

Rosa Schwarz: Eine Schwere lag über der Stadt. In der 68er-Bewegung gab es die Parole «Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren». Genauso war es in St. Gallen. Die Stimmung und die Gesellschaft waren verknorzt, konservativ, langweilig.

Was bedeutete das für das kulturelle Angebot?

Rosa: Die etablierte Kultur wurde gefördert, etwa das Stadttheater. Die alternative Kultur hingegen erhielt praktisch keine finanzielle Unterstützung. Es gab auch nur wenige Orte, an denen man etwas veranstalten konnte und die keinen exorbitanten Mietpreis hatten – und die man überhaupt bekommen konnte, wenn man etwas unkonventionell war. Gerade für die Jungen gab es eigentlich gar nichts. So entstand im Nachgang der 80er-Jugendbewegung eine wahnsinnige Aufbruchstimmung. Man wagte sich endlich, einfach mal «zu machen» und neue Wege zu gehen. So ist die IG Aktionshalle Graben entstanden. Als «mobile Aktionshalle» organisierte sie zunächst Konzerte an verschiedenen Orten wie dem Kolosseum. Diese Aufbruchstimmung fehlt heute. Ich hoffte, nach Corona komme wieder so eine Welle, aber bis jetzt ist sie ausgebleiben.

Wie war das organisiert? Und wie hast du dich daran beteiligt?

Rosa: Die IG selber machte am Anfang keine Veranstaltungen. Sie hat die Halle verwaltet, die Mitglieder – oder Externe – haben in Eigenregie Veranstaltungen gemacht. Einfach weil sie Bock hatten, ihre Lieblingsacts nach St. Gallen zu holen. Da gab es Konzerte diverser Stilrichtungen, Theater, Comedy und Satire, Tanztheater oder auch Kunstausstellungen. Es kamen immer wieder neue Leute hinzu, so ist das gewachsen. Ich fand, dass der Eingangsbereich, der damals bei den WCs war, viel zu schmuddelig war, also habe ich ihn jeweils geputzt. Andere Leute haben anderes erledigt. Es gab viel Eigeninitiative. Man hat angepackt und Dinge verändert, wenn etwas nicht wunschgemäss funktionierte. Ab 1991 habe ich das Büro neu organisiert. Bis 1996 verfeinerten wir laufend dessen Strukturen.

Sascha, du warst damals ein Teenager. Kannst du dich an diese Zeit und die ersten Jahre der Grabenhalle noch erinnern?

Sascha Vujčin: Nein, ich war erst ein paar Jahre später erstmals in der Grabenhalle. Als ich anfing auszugehen, gab es die «Grabe», das Goliath-Stübli oder das Filou. Was die Aufbruchstimmung betrifft: Damals gab es praktisch nichts, heute ist das Angebot im Vergleich riesig. Es ist viel schwieriger, etwas Neues anzustossen.

Arion Gastpar: Ich habe nicht das Gefühl, dass das Angebot an alternativer, subkultureller und unorganisierter Kultur heute zu gross ist und deshalb weniger Neues entsteht. Sondern es ist schwieriger geworden, etwas anzureissen, weil die Bewilligungspolitik restriktiver ist und Sachen sehr kontrolliert entstehen. Und man darf nicht vergessen: In den vergangenen Jahren ist in der Innenstadt auch vieles verschwunden und verdrängt worden, zum Beispiel das Rümpeltum, der Elektrokeller oder die Lego-Bar. Orte, die nicht professionell und nicht stark organisiert waren und an denen man noch wild sein konnte.

Rosa Schwarz, 1957, arbeitete von 1991 bis 1996 im Büro der Grabenhalle. Sie war schon zuvor an der IG Aktionshalle Graben beteiligt und organisierte Veranstaltungen. Von 1985 bis 1994 engagierte sie sich in der Anti-Apartheid-Bewegung, ausserdem beim Frauenstreiktag 1991 und bis 1996 in der Gewerkschaft Verkauf Handel Transport Lebensmittel. Von 1990 bis 2020 war sie Mitarbeiterin in verschiedenen Betrieben der Stiftung Suchthilfe, unter anderem im Bienenhüsli. Sie ist in St. Gallen aufgewachsen und lebt heute in Amriswil.

Arion Gastpar, 1989, ist als freiberufliche Illustratorin und Kunstvermittlerin tätig. Sie ist seit 17 Jahren Kollektivmitglied der Grabenhalle, früher in der Bargruppe, heute in der Programm- und der Politgruppe.

Sascha Vujčin, 1968, betreut seit Mitte 1999 das Büro der Grabenhalle und war seit der Gründung der Programmgruppe 1997 – damals noch als externer Veranstalter – an den Sitzungen der IG Aktionshalle Graben, was quasi sein Anfang im Kollektiv war. Von 1993 bis 2005 war er Schlagzeuger der St.Galler Punkband Tüchel.

Rosa: Das klingt wie ein Rückschritt.

Fehlt denn auch das Bedürfnis nach neuen wilden Freiräumen?

Arion: Nein, das glaube ich nicht, im Gegenteil. Aber ich habe das Gefühl, viele befriedigen dieses Bedürfnis woanders. St. Gallen hat einen Ruf, und dieser ist berechtigt: Es ist eine Wirtschaftsstadt, in der kreative Leute nur wenig Raum bekommen, ausser man fügt sich perfekt ins System ein. Das ist in anderen Städten anders.

Sascha: Auch ich finde, dass es auf jeden Fall mehr Raum für kreative Prozesse braucht. Ich denke, dass der Stadt durchaus bewusst ist, dass das Bedürfnis da ist, und mit den Zwischennutzungen hat sie auch versucht, diesbezüglich Hand zu bieten. Um dann etwas Längerfristiges auf die Beine zu stellen, ist sehr viel Aufwand und Durchhaltewille gefragt.

Sascha, du bist seit über 25 Jahren bei der Grabenhalle dabei und hast so manchen Wandel miterlebt. Wie hat sie sich in all den Jahren verändert?

Sascha: Zum einen wurde die ganze Infrastruktur verbessert: eine neue Bar, eine fest installierte Soundanlage, Garderobe, Duschen im Backstage und so weiter. Zum anderen ist sie strukturierter geworden. Es gab zwar schon früher interne Gruppen für verschiedene Bereiche, aber am Ende machten fast alle fast alles. Inzwischen gibt es für die einzelnen Gruppen Pflichtenhefte sowie «Regeln» und Aufgaben für die Mitarbeitenden. Auch der Umgang untereinander ist viel besser geworden. Bei den ersten IG-Sitzungen hatte ich mich gesträubt, hinzugehen, weil sich alle nur gestritten und angeschrien haben. (lacht)

Wie hat sich der Stellenwert der Grabenhalle als Kulturinstitution verändert? Als du Ende der 90er dazugekommen bist, gab es in St.Gallen beispielsweise noch kein Palace und noch kein Kugl.

Sascha: Die kulturelle Vielfalt in St. Gallen ist heute grösser. Für die Stadt ist das gut. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Grabenhalle dadurch verloren hat. Ihr Stellenwert war schon damals hoch, und zwar in der ganzen Schweiz. Das ist auch heute noch so. Das sieht man beispielsweise daran, woher die Gäste an unsere Konzerte kommen. Ausserdem haben die Stadt und die Behörden unseren Stellenwert erkannt. Die Kommunikation mit ihnen ist im Vergleich zu früher ein sehr angenehmes, respektvolles Miteinander.

Arion, du bist seit 17 Jahren im Kollektiv – dein halbes Leben. Was macht für dich die Grabenhalle aus?

Arion: Ich war damals auf der Suche nach einem Job. Der grosse Unterschied war für mich, dass es in der Grabenhalle keine:n Chef:in gab – und bis heute nicht gibt –, sondern alle die gleiche Verantwortung und den gleichen Stellenwert haben. Das fand ich sehr wichtig und schön, gerade in dem Alter. Es war eine andere Welt als jene, die man kannte und die einem erst noch bevorstand. Diese Besonderheit ist gleich geblieben. Ich denke, dass viele genau deshalb zu uns ins Kollektiv kommen. Es gibt den Leuten sehr viel Raum, um ihre Ideen einzubringen, mit anderen zusammenzuarbeiten, kreativ zu sein und so zu wachsen. Diese Chance bekommt man andernorts kaum. Wenn wir neue Mitglieder für das Kollektiv suchen, ist das ein wichtiger Punkt: Wir wollen nicht einfach Leute, die einen Job suchen, sondern die sich einbringen und mitgestalten wollen. Das ist essenziell für die Grabenhalle, damit es weitergeht.

Wie jung ist denn die Grabenhalle nach 40 Jahren?

Arion: Im Moment gibt es gerade wieder einen Generationenwechsel, etwa bei der Bargruppe. Es ist wichtig, dass man irgendwann Platz macht, ihnen Raum gibt und nicht auf den eigenen Ideen und Vorstellungen für die Grabenhalle beharrt. Junge sollen ihre Ideen einbringen und umsetzen können, ohne dass die Älteren zu viel dreinreden. Das war auch für mich der Grund, die Bargruppe zu verlassen. Jetzt bin ich in der Programm- und der Politgruppe. Die Politgruppe haben wir vor ein paar Jahren ins Leben gerufen, weil es wieder relevant wurde, die Grabenhalle als politischen Raum zu sehen.

Das hat auch dazu geführt, dass es innerhalb des Kollektivs zwei Lager gibt: Ein politisches und ein eher unpolitisches, das einfach Konzerte veranstalten will. Wie funktioniert das?

Arion: Es entstanden viele Diskussionen über Themen, die für einen Teil des Kollektivs zu jener Zeit nicht wichtig waren: Wie hoch ist der Männeranteil auf der Bühne? Wer bespielt die Grabenhalle? Und vor allem: Wer fehlt? Für einen Kulturort, der Verantwortung tragen will, sind diese Fragen aber wichtig. Inzwischen sind wir auf eine Ebene gekommen, auf der wir auch über solche Themen gut reden können. Das führt heute zu Entscheiden, die vor wenigen Jahren wohl noch ganz anders ausgefallen wären. Weil man anders miteinander reden kann, aber auch weil sich die Leute einander angenähert haben.

Zum Beispiel die Absage an Knöppel vor einem Jahr, die in der ganzen Deutschschweiz medial zum Thema wurde. Wie kontrovers wurde das im Kollektiv diskutiert?

Arion: Was heisst kontrovers … Darüber haben wir sehr intensiv diskutiert, auch sehr emotional. Aber es war fast allen Kollektivmitgliedern klar, dass wir diese Sache für uns klären müssen und dieser Diskussion nicht aus dem Weg gehen können. Bei diesem Thema mussten wir als Grabenhalle einen Konsens finden. Als Kollektiv haben wir in dieser Diskussion einen riesigen Weg gemacht. Er hat mit teilweise wenig Respekt einander gegenüber angefangen und respektvoll geendet.

Rosa: Es ist sehr gut, wenn es gelingt, so weit zu kommen.

Arion: Wahrscheinlich sind immer noch nicht alle der gleichen Meinung.

Sascha: Nein, aber man respektiert und akzeptiert diese Entscheidung. So ist es eben in einem Kollektiv. Man diskutiert darüber und stimmt ab.

Arion, du sprichst von Konsens. Ist nicht gerade die Grabenhalle, die seit der Gründung für Toleranz und für das Zusammenkommen unterschiedlicher Meinungen steht, der Ort, der so etwas wie Knöppel aushalten muss? Andere Konzertlokale wie das Rathaus für Kultur, Salzhaus, Gare de Lion oder Schüür, die allesamt auch eine klare Haltung zu Diskriminierung und Sexismus haben, konnten das im Fall von Knöppel ja auch.

Arion: Das Aushalten geht in beide Richtungen. Man kann auch sagen: Wenn eine Band seit Jahren dieselbe Schiene fährt und den gesellschaftlichen Wandel verpennt hat, dann gibt es vielleicht irgendwann Kulturlokale, zu deren Werten sie nicht mehr passt. Und dann haben wir die Freiheit, das zu sagen. Das muss die Band akzeptieren.

Auch wenn es eine Band ist, die das auf ironische Art macht?

Arion: Es ist wichtig, dass unsere Gäste sehen, dass wir uns sehr stark damit auseinandersetzen, was hier passiert und was für Worte auf unserer Bühne Raum bekommen, was gesellschaftlich hierhin passt und was nicht. Das hat viele Diskussionen ausgelöst, die, wie gesagt, sehr wichtig und auch sehr anstrengend sind.

Sascha: Es gibt viele andere Veranstaltungen, die wir nicht zulassen, weil sie nicht in die Grabenhalle passen, beispielsweise von irgendwelchen Partyveranstalter:innen aus Zürich. Solche Sachen werden halt nicht so heiss gekocht wie die Absage an Knöppel. Der einzige andere Fall war jener von Flows Powers, den wir 2018 ausgeladen hatten.

Rosa: Wir haben in den 90ern einmal die Halle für eine Veranstaltung nicht freigegeben, weil sich herausgestellt hatte, dass eine politische Partei dahintersteckte. Es ist ja bis heute so, dass das nicht erlaubt ist, und das ist richtig. Jedenfalls standen dann eines Tages zwei Typen mit Machopose in der Türe zum Büro. Es war eine Drohung, aber das hat mich nicht so beeindruckt. Nach einem Disput und meinem «Raus hier!» sind sie wieder gegangen.

Rosa, hast du die Diskussion um Knöppel mitbekommen?

Rosa: Nur am Rand. Aber ich finde es wichtig, nicht immer zu allem Ja zu sagen. Sonst verwässert man, wofür die Halle steht. Jeder Anlass muss passen. Denn es hat eine Aussenwirkung, was an einem solchen Ort passiert.

Arion: Wenn ich in all den Jahren neue Personen eingearbeitet habe, insbesondere FINTA-Personen, war mir immer wichtig, ihnen mitzugeben, dass sie sich in der Grabenhalle nichts gefallen
lassen müssen. Dass sie sich wehren und Nein sagen können –
und dass wir hinter ihnen
stehen. So ist das bei weitem nicht überall.

Rosa: Das ist ein Punkt, auf den ich überall, wo ich gearbeitet habe, den Finger draufhielt. Es ist wichtig, dass sich alle, die in einem Betrieb arbeiten und ihn am Leben erhalten, wohlfühlen können.

Reden wir noch über die aktuelle Situation. Mit welchen Herausforderungen sieht sich die Grabenhalle heute konfrontiert?

Arion: Kultur nicht nur nach dem Umsatz zu werten, sondern danach, was sie in der Gesellschaft auslöst. Was macht sie mit den Menschen, was ist der gesellschaftliche, der immaterielle Wert? Das ist insbesondere in Zeiten, in denen gespart werden muss, wichtig.

Sascha: Es ist schwieriger geworden, das Programm zu füllen. Früher konnten wir viele Veranstaltende gar nicht berücksichtigen, weil wir so viele Anfragen hatten. Ein weiterer Punkt ist, genügend Leute in die Halle zu bringen. Mir fällt auf, dass die Entdeckungslust abgenommen hat. Die Leute gehen seltener eine Band schauen, die sie nicht kennen, sondern ausgewählte Sachen. Bei unserer Reihe Kleines Konzert zum Beispiel, bei denen viele richtig gute Bands dabei waren und sind, die kaum jemand kannte, kamen früher bis zu 80 Besucher:innen. Das gibt es heute nicht mehr. Was die Programmgruppe betrifft, ist es schwierig, regelmässig grosse, bekannte Bands zu buchen. Es gibt Jahre wie das vergangene, wo wir doch die eine oder andere grössere Band an Land ziehen konnten, auch mit Schweiz-exklusiven Konzerten. Dann gibts Jahre wie dieses, wo kaum Angebote reinflattern.

Rosa: Diese Herausforderung hatten wir früher auch. Deshalb habe ich mit ein paar anderen Frauen einmal die Kinderfasnacht organisiert, um den Kindern und Eltern die Grabenhalle näherzubringen. Wir dachten, es würde kaum jemand kommen. Am Schluss war die Halle an beiden Tagen pumpenvoll – eine Wahnsinnsstimmung.

Sascha: Um die Jungen, die etwa dem Talhof entwachsen, in die Grabenhalle zu holen, haben wir vor zwei Jahren eine neue Party-
reihe gestartet. Und wir buchen auch jüngere Bands, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Leider sind diese Konzerte nicht so gut gelaufen. Das ist einerseits sehr schade für die Bands, andererseits wird es früher oder später auch zu einem finanziellen Problem.

Arion: Wir haben beispielswiese vor der Hallenbeiz neuerdings das FINTA-Lab. Dort geht es darum, dass junge Menschen in einem niederschwelligen Rahmen lernen aufzulegen, ohne Publikum und in Ruhe, bevor die Veranstaltung beginnt. Solche Angebote sind mega wichtig. So lernen junge Leute DJing, sie connecten, tauschen sich aus und kommen in Kontakt mit der Grabenhalle. Und wir sind immer noch konsumfrei, auch das ist wichtig für die Jungen.

Die Grabenhalle bekommt seit 2020 von der Stadt St.Gallen einen jährlichen Betriebsbeitrag von 222’000 Franken, dazu kommen für die Programmgruppe 19’000 Franken von der Stadt und 30’000 Franken vom Kanton. Kurz nach der Erhöhung kam Corona, danach der Krieg in der Ukraine. Das alles hat vieles verändert und verteuert. Entspricht dieser Beitrag noch den finanziellen Realitäten, mit denen ihr euch konfrontiert seht?

Sascha: Im Moment reicht es gerade noch.

Arion: Aber dadurch, dass alles teurer geworden ist, von den Gagen über die Reisen bis zum Strom, bräuchte es auch eine Erhöhung der Kultursubventionen.

Sascha: Derzeit läuft ausserdem die Diskussion, dass bei Konzerten pro Musiker:in eine Gage von 500 bis 700 Franken gezahlt werden soll. Wenn wir das umsetzen müssten, würde der Betrag nicht mehr reichen, bei weitem nicht.

Inwiefern ist denn die Grabenhalle auch heute noch ein besonderer Freiraum, ein einzigartiges soziokulturelles Biotop, und nicht einfach ein Kulturlokal wie viele andere?

Arion: Ich hoffe, dass die Grabenhalle für viele Menschen ein Safe Space sein kann. Wir haben unser Manifest und man weiss: Wir heissen dich in der Halle willkommen, du kannst sein, wer du bist, solange du respektvoll mit anderen umgehst.

Sascha: Ich habe auch das Gefühl, dass sich die Leute bei uns aufgehoben fühlen.

Rosa: Ich lebe zwar nicht mehr in St. Gallen, aber ich muss sagen: Von aussen hört man wenig bis gar nichts von der Grabenhalle. Sie ist nicht mehr im Gespräch. Ich habe das Gefühl, es ist zu wenig bekannt, wofür sie steht, und dass dieser Prozess schon länger angefangen hat. Das ist schade. Gezielte Eigenwerbung könnte hilfreich sein.

Sascha: Das hat auch damit zu tun, dass sie lange Zeit das einzige Lokal dieser Art weit und breit war. Wenn etwas lief, dann in der Grabenhalle. Heute ist das Angebot viel, viel grösser, nicht nur in St. Gallen.

Rosa: Für die Halle wäre es trotzdem gut, wenn wieder ein Schub kommen würde, woher auch immer.

Sascha: Ich sehe anhand der Vorverkaufsliste, dass bei grossen Acts immer noch ein beachtlicher Teil unseres Publikums nicht aus der Region kommt. Das zeigt, dass wir in die ganze Schweiz und über die Landesgrenzen ausstrahlen. Wenn diese Leute diesen Aufwand nicht auf sich nehmen würden, Konzerte bei uns zu besuchen, würden auch bald die Angebote der Agenturen verstummen. Und dann verschwindest du sehr schnell von der Schweizer Kulturlandkarte.

Rosa: Es ist eine Ostschweizer Krankheit, das, was weiter weg ist, spannender zu finden als das, was vor der Türe passiert.

Wofür steht die Grabenhalle heute? Was ist vom Geist jener Zeit übriggeblieben?

Rosa: Die alten Werte sind immer noch da, die Grabenhalle hat sie nicht aufgegeben. Das gefällt mir.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Grabenhalle?

Rosa: Dass sie noch lange besteht und dass eine neue Aufbruchstimmung kommt. Nicht nur von der Halle selbst, sondern auch aus der Szene. Dass die Leute weiterhin einen solchen Ort wollen und ihn zu schätzen wissen.

Sascha: Dass die Grundidee wie auch die Grundwerte erhalten bleiben. Dass sich die Grabenhalle positiv weiterentwickelt, dass weiterhin Veranstaltende verschiedener kultureller Genres bei uns Platz finden und dadurch den Besuchenden eine möglichst interessante, abwechslungsreiche Kulturvielfalt geboten werden kann. Und dass auch in 40 Jahren noch Musiker:innen mit ihren Instrumenten auf der Bühne stehen und keine KI.

Arion: Ich wünsche mir, dass sie wild bleiben kann und nicht allzu konform sein muss. Dass sich der Platz vor der Halle mit der Zeit entwickeln kann und dass er belebt wird, wenn die Parkplätze und die Autos eines Tages weg sind. Und dass sie schön politisch bleibt. Das ist ein wichtiger Punkt: Dass klar ist, da drin wird eine Haltung vertreten.

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