Comedia: Der Trick mit der Vielfalt
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Die Steinplatte mit der Textgravur von 1993 steht immer noch in meinem Werkstatt-Areal. Das Material Stein für das Plakat sollte das zehnjährige Bestehen der Comedia ironisch kommentieren: Es verlieh dem Jubiläum Ewigkeitsanspruch. Die Comedia war ja unser aller Projekt; Peter Kamm entwarf die Schrift, ich meisselte sie in Buntsandstein, Budaz Keller fotografierte und Röbi Baumgardt druckte schliesslich das Plakat zweifarbig.
Auch die 20-Jahr-Feierlichkeiten sind unvergessen. Die verstorbene Sabin Schreiber war in jener Zeit Mitarbeiterin in der Comedia. Sie war über die Berichterstattung in Saiten empört: Da wurden nur die Männer abgefeiert und die Leistungen der Frauen wieder einmal geschmälert. Aber statt sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen, kniete sie sich von da an erst recht in ihr Engagement beim Kulturmagazin.
Und jetzt also 30 Jahre. Wie steht es mit der Genossenschaftsbuchhandlung an der Katharinengasse heute? Gleich vorweg: Der Buchhandlung Comedia geht es gut. Vielleicht so gut wie noch nie, sagt Pius vom geschäftsführenden Dreierteam, dem ich im Hinterraum des Ladens zum Gespräch gegenübersitze. Zweimal stand die Comedia vor dem Konkurs. Heute aber hat die Kerngruppe mit Lea Aeple, Sandra Tschümperlin und Pius Frey (im Bild, zusammen mit Vince Heeb, Foto: Philipp Baer) antizyklisch den Dreh raus. Dabei droht Konkurrenz wie noch nie zuvor: Immer mehr Leute bestellen Bücher der Bequemlichkeit halber im Internet oder verzichten gar ganz auf das physische Buch und laden sich E-Books herunter, während finanzstarke Buchhandels-Monopolisten ihre Kunden in trendige Shops an bester Lage locken.
Die letzte ihrer Art
Der Trick heisst Vielfalt, verrät Pius. In dieser Stunde vor Ladenschluss an einem gewöhnlichen Wochentag zeigt sich das beispielhaft: Draussen im Geschäftsbereich bedient Vince Heeb eine Kundschaft, die sich die Klinke der altväterischen Ladentüre in die Hand gibt, vom jungen Langhaarigen bis zum angegrauten Intellektuellen auf der Suche nach einem Comicband, neu erschienenen Buch, der besonderen Musik-CD oder gar Vinyl-Schallplatte. Der buntgemischte Kundenkreis ist das Ergebnis über Jahre hinweg gepflegter Beziehungen.
Konstanz im Ladenteam gehört deshalb ebenfalls zum Erfolgsrezept, und Pius ist darunter das Leitfossil. Er war mit wechselnder Besetzung die ganze Zeit über dabei. Pius legt Wert auf die Feststellung, dass seit Bestehen noch nie so lange die gleichen Leute hinter dem Ladentisch waren wie jetzt.
War die Comedia bei ihrer Gründung noch Teil einer Bewegung von Kollektivbetrieben, so steht sie heute als Genossenschaftsbuchhandlung in der Deutschschweiz allein da. Manche Klippen mussten umschifft werden, um als nichthierarchisch strukturierter Betrieb bestehen zu können. Andere Buchhandlungen aus dem linken Spektrum gebärdeten sich früher geradezu als Zensurbehörde. Nur was nach Ansicht des Kollektivs ideologisch einwandfrei war, durfte in das Sortiment. Dieses Geschäftsmodell funktionierte nur so lange, wie eine gleichgesinnte Käuferschaft den Weg in den Laden fand.
Afrikaribik gegen Mainstream
Die Comedia setzte dem damaligen hochpolitisierten Klima von Beginn weg einen kulturellen Schwerpunkt entgegen. Der liegt – inzwischen schon zu einer eigentlichen Tradition geworden – in Afrika und in der Karibik, aber nicht bei irgendwelchem Mainstream-Ethno-Kitsch, sondern bei sonst von der Wahrnehmung weitgehend unterdrückter Literatur und Musik. Etwas bitter beklagt Pius die Tatsache, dass die Lesegemeinde Literatur von jenseits der Grenzen viel zu wenig wahrnehme. Nach seiner Meinung ist man hierzulande viel zu stark auf das einheimische Schaffen fixiert. Die Wertung der Schweizer Literatur sei oft höher, als sie es verdiene, da aus der Schweiz nur selten wirklich gute Texte kommen. Er lobt die NZZ, deren Feuilleton viele gute Bücher auch aus anderen Kulturen bespricht.
Linke Betriebswirtschaftslehre
Wenn es in all den Jahren im linken Buchhandel etwas zu lernen gab, dann dies, dass Geschäftsdenken nicht grundsätzlich etwas Schlechtes ist. Eine Schliessung wegen betriebswirtschaftlicher Inkompetenz nützt niemandem ausser den Monopolisten. Aber der Umgang mit den Zahlen muss gelernt sein. Beistand erhält die geschäftsführende Kerngruppe der Comedia vom Verwaltungsrat der Genossenschaft. Auch schon rettete die Beratung eines Buchhalters den Laden vor dem Untergang. Die Gruppe erkannte, dass eine Planung über längere Zeit unmöglich ist. Flexibilität und grösstmögliche Vielfalt ist als betriebswirtschaftliche Grundregel die Devise. Das stellt hohe Anforderungen an die Drei, die ihr Letztes geben, jedoch ohne sich schonungslos selbst auszubeuten. Der Gesamtarbeitsvertrag für den Detailhandel stellt unerschütterlich die Richtlinie für die Angestellten der Comedia- Genossenschaft dar.
Da wenig Geld vorhanden ist, muss sich die Crew sehr genau überlegen, welche Ankäufe wirtschaftlichen Erfolg erzielen. Dazu ergänzen sich die Drei mit ihren verschiedenen Interessensgebieten bestens: Fussball, Kinder- und Jugendbücher, Philosophie, Soziologie, Krimis et cetera. An den gemeinsamen Besprechungen zu den neuen Einkäufen hinterfragen sie sich wechselseitig und minimieren damit das Risiko von Ladenhütern. Nichts ist im Buchhandel wirtschaftlich schädigender und entsprechend ärgerlich als unverkaufte Bücher, die nach zwei Jahren in den Ramschkisten landen.
Die Monopolisten im Buchhandel verzichten immer mehr auf das spezielle Fachwissen des Buchhändlerberufes. In letzter Zeit suchen die grossen Läden in den Stelleninseraten vermehrt nur noch Detailhandelsangestellte. Das Berufsbild verändert sich in Richtung reiner Verkäuferinnen oder (seltener) Verkäufer, die im Laden die stapelweise vorhandenen Bestseller einpacken und einkassieren. Von Beratung ist da keine Rede mehr.
Gemischtwarenladen zum Glück
In die Comedia gehen Jugendliche ihre Mangas posten. Später im Studium kaufen sie dort ihre Fachbücher. Einzelne der im Quartier in grosser Zahl arbeitenden Banker kommen in den Laden, um sich eine hippe Grafic Novel auszusuchen. Die Comedia ist an Veranstaltungen wie jüngst der Meienberg-Ausstellung präsent, zum Palace besteht eine enge Beziehung. Für Pius erfüllt seine Buchhandlung einen kulturellen Auftrag, ohne dass die Gesellschaft sie dafür speziell entlohnt. Ganz Geschäftsmann, wünscht er sich deshalb als Gegenleistung öfters mal einen grösseren Auftrag für Schulbücher.
Der junge Langhaarige mit dem Fantasy-Motiv auf dem schwarzen T-Shirt holt sich kurz vor Ladenschluss noch eine Packung Magic-Sammelkarten. Er trifft sich am Feierabend mit seinem Spielkreis. Später versteigert er vielleicht die Karten zu Höchstpreisen im Internet. Wenn sich die Kundengruppe der Verehrer der hohen Literatur auch daran stören mögen: Die Comedia ist eben auch ein Gemischtwarenladen.
Von Oktober bis Dezember feiert die Comedia mit einer Reihe von Anlässen ihr 30-Jahr-Jubiläum. Zum Auftakt: Lesung mit Alain Mabanckou aus «Zerbrochenes Glas»: Freitag, 25. Oktober, 20 Uhr. Moderation: David Signer.
Mehr zum Bücherherbst 2013: im Oktoberheft von Saiten.