Chic-bunter Afrofuturismus
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Black Up hiess 2011 das Debutalbum von Shabazz Palaces, bestehend aus Rapper Palaceer Lazaro und dem Multi-Instrumentalisten und Produzenten Tendai «Baba» Maraire. Auf dem Hybrid aus Hip Hop, Dub, Jazz und Electronica machte das Duo aus Seattle auf die Missstände der afroamerikanischen Gesellschaft zu Beginn der 2010er-Jahre aufmerksam – und fand nicht nur in der Hip Hop-Gemeinde eine Zuhörerschaft: Black Up landete auf etlichen Jahresbestenlisten und läutete eine neue Ära des schwarzen Selbstbewusstseins ein.
Nun ist das zweite Album da. Lese Majesty heisst es und gleich zu Beginn wird mit Dawn in Luxor eine Schlacht bis zum Morgengrauen geführt in der Stadt der Paläste. Die letzte Stunde der Thronbesetzer hat geschlagen, die Picassos, Maybachs und das Gold (They Come In Gold) haben ihren Glanz verloren, und «Money», der Glaubensspruch des Kapitalismus’, der später bei Motion Sickness als monotoner Loop auftaucht, verursacht nur Schwindel und Übelkeit. Denn Lese Majesty kommt aus dem Lateinischen (Laesa Maiestas) und bedeutet mehr als nur Königsbeleidigung: Es ist eine Kampfansage an den König, den Gott, den Staat und das Kapital.
Die Palaststürmer brechen auf psychedelischen Ambient- und Synthesizerflächen gen Himmel auf. Es folgt eine Reise in den sonisch-kosmischen Raum, aufgeteilt in sieben Suiten und 18 Stücke. Dabei treiben Bruchteile und Metafetzen der afrikanischen und afroamerikanischen Geschichte am Space-Ship vorbei, vieles bleibt fragmentarisch, rätselhaft. Nur die tiefen Beats geben die Fahrtrichtung an. Auf diesem Trip rücken Insignien ins Bild, die die afroamerikanische Gegenwart mit einer mythischen Vergangenheit rückbinden: Ägypten, schwarze Hengste, Kopfbedeckungen und Ketten – auf dem Foto zum Album führt Rapper Palaceer Lazaro zwei Pythons an der Leine.
Parliament, Perry und Monáe
Das Album Lese Majesty mitsamt den Videoclips des Hip Hop- Duos ist ein Beispiel dafür, wie afroamerikanische Kultur es – im Gegensatz zur weissen Avantgarde – immer wieder schafft, das Neue nicht als Bruch mit dem Alten zu denken, sondern als Brücke. Das mythische Ägypten und das Seattle der Gegenwart, Echo-Raps gepaart mit sanften Soulstimmen und dem verschleppten Beat der Maschinen: Alles passt zusammen. Die Ikonografie ihres chic-schockigen, bunten Afrozentrismus ist bekannt: Funk-Acts wie Parliament hievten die Motherships, die zu einem imaginären Afrika reisen sollten, auf ihre LP-Cover. Dub-Musiker wie Lee Perry kündeten vom Planet Dub, die Soulsängerin Janelle Monáe posierte als Kleopatra mit goldenen Wolkenkratzern auf der Mütze für ihr Album The ArchAndroid.
Der Hohepriester des Afrofuturismus aber wurde schon vor langer Zeit in einer anderen Dimension geboren – 1993 ist er angeblich für Ungläubige gestorben: Sun Ra. 1914 tauchte der selbsternannte Wiedergänger des ägyptischen Sonnengottes erstmals als Baby im amerikanischen Alabama auf und wird seitdem mit seinem Raumschiff als Gesandter von Outer Space in aller Welt sehnlichst erwartet. 1974 setzte ihm der Blaxploitationfilm Space is the Place ein fantastisches Denkmal – das Palace hat eine gleichnamige Partyreihe und auch Shabazz Palaces berufen sich auf den Alien-Drag Sun Ra und seinen Afrofuturismus. Es geht dabei um eine Queerness of Color, um eine Fluchtbewegung aus der weissen, schlechten Gegenwart.
Das Schwarz-Sein in Frage stellen
Sun Ras Space-Ship ist ohne das Slave-Ship nicht zu denken. Die berühmt-berüchtigte Mittelpassage, die die Route des Menschenhandels zwischen Afrika, Amerika und der Karibik bezeichnet, ist die Voraussetzung für den sogenannten Schwarzen Atlantik; dieser wiederum beschreibt den Transferraum afroamerikanischer Kultur. In der Metapher des Black Atlantic sind all die Geschichten eingeschrieben, die vom Motherland Afrika, den Plantagen und den Ghettos in den Inner Cities handeln und heute noch im afroamerikanischen Bewusstsein mitschwingen.
Es mag gute Gründe geben, das Denken in Hautfarben, in Afrozentrismen und in Blackness auch von schwarzer Seite her anzuzweifeln. Auch Lazaro rappt auf New Black Wave von post-schwarzen Zuständen – dennoch werden Pluto und Saturn in den gleichen Zeilen mit dem Shabazz Palaces-Raumschiff angesteuert. Einem Raumschiff, das in Space Is The Place mit nichts anderem als Musik angetrieben wird – Musik, die bei Sun Ra, dem Mystiker und Erneuerer des Jazz, mit Vorliebe aus dem Moog-Synthesizer kam oder von seinem ausserirdischen Arkestra gespielt wurde. Der Maschinenraum, mit dem das Hip Hop-Duo aus Seattle sein Space-Ship antreibt, heisst Protect and Exalt Labs, analoges und digitales Instrumentarium komplex miteinander verknüpft – Erwähnung findet es schon beim Abflug auf dem Opener des Albums.
Sun Ra war ein Vorkämpfer für einen schwarzen Universalismus, in dem das Schwarz-Sein selbst permanent in Frage steht. Shabazz Palaces tun dies mit Lese Majesty dezidiert im Jahre 2015.
Shabazz Palaces: Mittwoch, 15. April,
20 Uhr, Palace St.Gallen.
Infos: palace.sg, bandcamp.com