Chancenlos: Der Protest gegen den Kulturplafond

Der Kanton St.Gallen gibt sich erstmals eine Kulturförderstrategie. Das Achtjahres-Programm kommt im Februar ins Parlament. Kritisiert wurde in der Vernehmlassung vor allem die Plafonierung der Kulturgelder.
Von  Peter Surber
St.Gallen erhoffts, der Aargau bekommts: Die alte Reithalle Aarau wird momentan zu einem Haus für Theater, Tanz, Musik und Zirkus umgebaut, nach einem Projekt der St.Galler Architekten Barao Hutter. (Bild: pd)

«Ein vielfältiges Kulturschaffen und ein attraktives Kulturangebot in allen Regionen des Kantons, die Überlieferung des kulturellen Erbes sowie ein zeitgemässes Staatsarchiv und eine leistungsfähige neue Bibliothek»: So fasst die Regierung die kulturpolitischen Ziele für die Jahre 2020 bis 2027 zusammen. Die erste kantonale Kulturförderstrategie ist ein Auftrag des neuen Kulturgesetzes. Voraussichtlich in der Februarsession wird das (dannzumal noch alte) Kantonsparlament darüber beraten.

Kultur vor Ort und Netzwerke

Die Strategie sieht Kulturförderung und Pflege des Kulturerbes nicht isoliert, sondern im Kontext der gesellschaftlichen Megatrends: hin zu einer heterogeneren, mobileren und digitaler ausgerichteten Gesellschaft. Kulturförderung habe in diesem Umfeld ein doppeltes Ziel: zum einen die Stärkung der «Kultur vor Ort», zum anderen die Stärkung «kultureller Netzwerke».

Starkes Gewicht hat in der Strategie auch das Stichwort der kulturellen Teilhabe. Im übrigen beschreibt das Papier in erster Linie den Status quo, die heutige Förderlandschaft. Die vollständige Fassung ist auf der Kantonsrats-Seite nachzulesen.

Die Vernehmlassung habe gezeigt, dass die Zielsetzungen auf breite Akzeptanz stossen, schreibt die Regierung diese Woche in ihrer Medienmitteilung. Beteiligt haben sich rund 30 Parteien, Gemeinden und Organisationen. Die Ziele und strategischen Stossrichtungen würden allseits begrüsst, insbesondere die Weiterentwicklung der regionalen Förderorganisationen, die Weiterentwicklung der kantonalen Kulturstandorte (Konzert und Theater St.Gallen, Lokremise St.Gallen, Schloss Werdenberg, Kunst(zeug)Haus Rapperswil-Jona, Altes Bad Pfäfers) sowie die Förderung der kulturellen Teilhabe und die geplante Stärkung des Bibliothekswesens.

Kein Gehör für ein Kulturprozent

Mehrere Stellungnahmen kritisierten laut der Regierung hingegen die ungenügenden finanziellen und personellen Ressourcen in der kantonalen Kulturpolitik: zwei politische Parteien und zwei kulturelle Interessengruppen hätten «die Aufhebung der Plafonierung der Staatsbeiträge im Kulturbereich sowie die Einführung eines Kulturprozents bzw. eines Kulturkredits von mindestens einem Prozent des Gesamtbudgets» gefordert. Ansonsten gebe es keinen Spielraum für notwendige Weiterentwicklungen, für eine angemessene Honorierung der Kulturschaffenden, für jüngere Kultur und für Neues.

Zu diesen kritischen Stimmen gehörte die neu gegründete Interessengemeinschaft IG Kultur Ost. In ihrer Anfang September veröffentlichten Stellungnahme war der «Ersatz» der Kulturplafonierung durch ein Kulturprozent eine zentrale Forderung.

Vergeblich allerdings: Allfällige Zusatzausgaben seien nicht Thema der Kulturförderstrategie, sondern Sache der Budgetberatungen des Kantonsrats, hält die Regierung fest.

Andere Vernehmlassungsbeiträge griffen eine alte Forderung auf: Lotteriefondsgelder sollten nicht dazu verwendet werden, den Jahresbeitrag an Konzert und Theater St.Gallen sowie reguläre archäologische Aufgaben zu bezahlen. Diese Kosten müssten durch den ordentlichen Staatshaushalt übernommen werden, die Verwendung von Lotteriefondsgelder für gesetzliche Aufgaben widerspreche der Bundesgesetzgebung.

Auch dieses Anliegen sei «finanzpolitisch als nicht realistisch einzustufen»; zudem entspreche die heutige Lösung langjähriger Praxis, heisst es in der Strategie trocken.

Aufgenommen wurden hingegen die Forderung der IG und anderer Vernehmlassungspartner, dass professionelle Kunstschaffende angemessen honoriert werden müssten. Das Thema war jüngst auch an der kantonalen Kulturkonferenz diskutiert worden. Die Formulierung im Papier ist allerdings defensiv: Man wolle prüfen, inwiefern die mit Leistungsvereinbarungen des Kantons ausgestatteten Kulturinstitutionen und -organisationen «zu verpflichten sind, Kulturschaffende angemessen zu entlöhnen». Ebenso sei für alle Jahresbeiträge mit Leistungsvereinbarung eine periodische Teuerungsanpassung «zu prüfen».

Konkret: Das Haus für die Freien

«Prüfen» will der Kanton gemeinsam mit der Stadt auch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das freie Theater, «besonders in der Stadt St.Gallen». Damit kommt die Förderstrategie des Kantons auf eine Linie mit dem neuen Kulturkonzept der Stadt St.Gallen, welches der Stadtrat nächsten Montag der Öffentlichkeit präsentieren wird: Darin ist ein «professionell geführtes Haus mit Arbeits- und Aufführungs-, Ausstellungs- und Koproduktionsräumen für die freie Szene» als eine von zahlreichen Massnahmen explizit aufgeführt. Für erste Abklärungen soll dafür im städtischen Budget 2020 ein Betrag von 20’000 Franken bereitgestellt werden.

Das «Haus für die Freien» steht damit definitiv auf der politischen Agenda – in Stadt und Kanton St.Gallen.

Im Juni 2018 sagten die Aarauer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Ja zum Umbau der Alten Reithalle. Damit erhalten Kanton Aargau und Stadt Aarau ein schweizweit einmaliges Mehrspartenhaus für Schauspiel, Tanz, Figurentheater, klassische Musik, zeitgenössischen Zirkus und Kinder- und Jugendtheater. Im Bild: eine Produktion des Theaters Marie in der noch unrenovierten Alten Reithalle Aarau. (Bild: Theater Marie)