, 19. April 2015
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Champion zum zweiten

Einmal im Jahr treffen sich die bühnentauglichsten Grossmäuler des Landes zum poetischen Kräftemessen. Dieses Mal fanden die Slam-Meisterschaften in Zürich statt – und sie verliefen nicht eben erfolgreich für die Ostschweizer. Lisa Christ war für Saiten mit dabei.

Die Schweizermeisterschaften im Poetry Slam sind jeweils ein ausuferndes Fest, an dem vorgetragen, gerappt, gelesen, gestammelt, «Heavy Metal» gebrüllt, geweint, gelacht, gedisst und versöhnt, der Faden verloren und wieder gefunden wird. Es ist ein mehrtägiges Gelage der Sprache, bei dem Whiskey, Rum, Gin und natürlich Bier (aber vor allem Whiskey!) in rauen Mengen fliessen und die Selbstbeweihräucherung der Slam-Szene mit einem flirrenden Film geschmolzenen Glücks untermalen.

Genug geschwärmt. Es geht hier schliesslich um seriöse Dinge, nämlich um den Titel des Schweizermeisters im Poetry Slam 2015. Dieser wurde am Wochenende im Schiffbau Zürich in den Kategorien U20, Einzeln und Team vergeben – an glückliche, überwältigte und verdiente Sieger.

Als Nichtteilnehmende, jedoch involvierte Slampoetin war ich dabei, leider nicht überall – wegen Zweiteilungsunmöglichkeit. Deswegen werde ich ungeschönt wiedergeben, was mir zu Ohren gekommen ist, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Nun denn:

 

U20

02_u20_Olga LakritzZum Start am Donnerstagabend versammelte sich eine junge, gewiefte Mannschaft auf dem Parkett der Darbietung: Ladina Bösch, Olga Schmitz, Lukas Lehner, Sarah Altenaichinger, Max Kaufmann, Hannes Schraner, Jonas Balmer und Joël Perrin. Im finalen Stechen setzte sich Olga Schmitz (rechts) aus Zürich gegen ihre drei Mitstreiter durch. Sie entzückte ihr Publikum und gewann im letzten ihr möglichen Jahr den U20-Titel, der damit einen weiten Weg vor sich hat, nämlich nach Berlin, wo das 20-jährige Talent mittlerweile wohnt und schreibt.

 

Vorrunde 1

Am Freitag folgten die Solo-Vorrunden. In Runde eins, moderiert von Bas Böttcher und Daniela Dill, traten Surya Esser, Raphael Reift, Fabian Engeler, Sam Hofacher, Patti Basler, Laurin Buser, Raphael Kaufmann, Karlo Beyer, Hazel Brugger, Renato Kaiser, Amina Abdulkadir und Gregor Stäheli gegeneinander an. Als Bester der ersten Hälfte überzeugte Rafael Kaufmann, U20-Meister von 2010, mit seinem einnehmenden Thurgauer Dialekt. Die zweite Hälfte rollte Gregor Stäheli von hinten auf und drängte Laurin Buser aus Basel aus dem Rennen. Als Dritte qualifizierte sich Hazel Brugger, 2013er-Championesse, für den Einzelfinal.

Vorrunde 2

In Runde zwei, von Simon Chen trotz eher harziger Publikumsstimmung sehr souverän moderiert, traten an: Exil-Thurgauerin Martina Hügi, Diego Häberli, Michael Frei, Klaus Estermann, Valerio Moser, Marco Gurtner, Ivo Engeler, Dani Wirth, Kilian Ziegler, Mathieu Heinz und Remo Rickenbacher. Das Battle fand in der Matchbox statt, die sich als Slamlocation leider nicht anbietet. Unglücklicherweise setzte man die Zuschauer auf Tribünen links und rechts der (nicht erhöhten) Bühne und liess damit den Raum in Blickrichtung des Slammers einfach leer. Vermutlich handelte es sich um Feuerschutzmassnahmen, die dazu führten, dass eine unbequeme Situation entstand – für Zuschauer wie auch für die Slammer. Zudem waren die Ränge nicht ausverkauft, was noch ein paar weitere Löcher in die Halle riss. Wenigstens war es so heiss, als ob es voll gewesen wäre.

Die Texte aber waren sehr vielfältig. Häberli erzählte von seinen imaginären Kindern: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, kann man da nur sagen – der verrückte Text, vorgetragen wie man es von Häberli gewöhnt ist, war dann aber ein bisschen zu lang. Hügis Erklärung, wie ein Schäferhund eine Ehe entzweien kann, vermochte die Verhaltenheit im Publikum auch nicht ganz zu durchbrechen. Erst mit Gurtner und seiner lustig-inbrünstigen Reinszenierung des Zürcher Streetfoodfestivals brachen die Dämme allmählich. Er sicherte sich den Einzug ins Finale.

Die zweite Hälfte eröffnete Klaus Estermann mit einem Dada-Text, den er mit einem Lautgedicht abschloss. Kilian Ziegler gewann das Publikum wie gewohnt mit seinen surrealen Geschichten und Wortwitzen. Und das trotz detailliert hässlicher Beschreibung einer 15 Jahre alten Nabelschnur. Ebenfalls überzeugen konnte Michael Frei mit seiner berndeutschen Darbietung einer traurigen Liebesgeschichte. Von Gruppe zwei zogen also Gurtner, Ziegler und Frei ins Finale ein.

Vorrunde 3

In der dritten Vorrunde traten Remo Zumstein, der letztjährige Champion Christoph Simon, Stefan Weisskopf, Thomas Kowa, Fehmi Taner, Fatima Moumouni, Jenifer M. Unfug, Elia Schmitter, Pierre Lippuner, Hans-Jürg Zingg, Manuel Diener und Désirée Koller an. Zingg konnte mit seinen Geschichten aus dem Wörtersack überzeugen und setzte sich damit gegen den Fragenkatalog von Thomas Kowa und Dieners Text zum Thema Freiheit durch. Auch Titelverteidiger Christoph Simon zog zusammen mit Zumstein ins Finale, der sich als dritter Berner qualifizierte. Knapp vorbei schrammte Fatima Moumouni mit ihrem Beitrag über Pathos – einer der wenigen ernsten Beiträge in dieser Runde.

 

Teamfinal

05_Team_Das Helvetische DreieckDas Teamfinale fand in der grossen Halle des Schiffbaus statt, verdammt gross, aber Klasse, wenn gefüllt. Um 21 Uhr war sie voll und die Stimmung entsprechend gut. Das eingespielte Moderatorenduo Etrit Hasler/Patrick Armbruster führte durch den Abend bis hin zu einem fulminanten Sieg – aber soweit sind wir noch nicht. Zur Einstimmung stürmte nämlich das Team LSD (Liebe statt Drogen), bestehend aus Micha Ebeling und Volker Strübig, die Bühne. Die beiden Berliner heizten die Stimmung mit einem Text über die Liebe zum Slam (Bam!) kräftig an.

Der Team-Wettbewerb war lanciert: Pink im Park aus St.Gallen (Pierre Lipuner und Fabian Engeler) überraschte mit einer enormen Entwicklung in Sachen Verständlichkeit, Synchronität und Dramaturgie und erzielte in der ersten Hälfte die Höchstwertung –  noch vor den zweifachen Titelverteidigern vom Team Interrobang (Valerio Moser und Manuel Diener), die sich jedoch mit konstant solider Leistung gegen die Agile Liga (Ziegler, Brugger und Reichling) und das Team Gegensprechanlage (Damian Funk und Matthieu Heinz) durchsetzten. In der zweiten Hälfte überzeugte der poetisch-bildhafte Textbeitrag des Teams Zum goldenen Schmied (Fatima Mouomouni und Laurin Buser) mit Technik und Strip und Inhalt. Zusammen mit dem Helvetischen Dreieck (Sven Hirsbrunner und Dominik Muheim) zog es ins Stechen ein.

Leider war vom Wandel des Ostschweizer Pink im Park-Teams nicht mehr viel übrig im Finale – die Geschichte von Robert und Baum, welche die Welt vor Kühen in Kraftfahrzeugen retten, war teilweise nicht sehr verständlich. Wirklich überzeugen konnten nur die Titelverteidiger von Interrobang (im Bild) mit einer neu aufgerollten Geschichte über Tell sowie das Team vom Helvetischen Dreieck, das von Konversationen auf der Parkbank und vor allem von Markus erzählte. Markus, der alles kann, Markus, den alle mögen, den wir alle kennen und alle hassen. Damit hatten sie den Nagel auf den Kopf getroffen und das Publikum im Sack: Schweizermeister-Team 2015.

 

Einzelfinal

IMG_0708Gekämpft wurde hier in Dreiergruppen. In der ersten Gruppe setzte sich Christoph Simon mit einer wasserfesten Anleitung zum Parkbänke-Klauen durch gegen Hans-Jörg Zingg und Gregor Stäheli. Dann dominierte Hazel Brugger als einzige Finalistin über Kilian Ziegler und Michael Frei. Zieglers Ottergeschichte unterhielt das Publikum zwar gut, vermochte aber nicht gegen die amüsante Bösartigkeit von Bruggers Text über die eigene Pubertät anzukommen. In Gruppe Nummer drei schliesslich gewann Remo Zumstein mit seinen Wortspielen rund ums Essen gegen Raphael Kaufmanns WG-Casting im Thurgauer Dialekt und Marco Gurtner.

Im Finale performte einzig Brugger nicht wie erwartet, sondern spontan und improvisiert, was der Veranstaltung ein Stück Offenheit und Vielfalt zurückgab, die man sonst oft vermisst. Ihre Performance blieb trotzdem hinter den Beiträgen von Simon und Zumstein zurück. Diese gefielen dem Publikum gleichermassen. So sehr gleichermassen, dass die Moderatoren Reichling/Chen nach mehrmaligem Ausklatschen auf den Notfallplan zurückgreifen und die Jury beordern mussten. Diese entschied sich knapp mit 3 zu 4 Stimmen für den letztjährigen Sieger Christoph Simon (rechts beim Jubeln) und hinterliess einen sichtlich gerührten und ebenfalls enorm bejubelten Remo Zumstein auf einem knappen zweiten Platz, der ganz nahe am Thron gebaut ist.

 

Bilder: Matthias Nüesch, Eki.Pix.

 

 

 

 

 

 

 

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