Vier Wände, drei Spiegel, ein Schaufenster. Der Coiffeursalon von Daniel Markwalder am Sägegässlein im St.Galler Linsebühlquartier wird immer wieder als Ausstellungsraum genutzt. Momentan stellt Harlis Schweizer Hadjidj dort die Werke von Hassan Sandouka zwischen den Spiegeln und Scheren aus.
Der 26-jährige Künstler wohnt in Jerusalem und hat serbische sowie palästinensische Wurzeln. Sie beeinflussen seine Arbeit merklich. Während der letzten Monate hat er vermehrt den Schmerz über die Verluste seiner Heimat auf die Leinwand übertragen, ein Schmerz der seine Bilder oft düster und traurig, zuweilen auch sehr politisch werden lässt. Für die Ausstellung in St.Gallen wollte er bewusst etwas anderes zeigen, das Schöne am Zuhause-Sein, die glücklichen Momente im Alltag und Erinnerungen, nach denen er sich nicht selten sehnt.
Der Konflikt hinter den Farben
«Stories within» zeigt Alltagssituationen, wie Sandouka sie aus dem Haus seiner Grossmutter in Serbien kennt, Momente aus längst vergangenem Alltag in Jerusalem, palästinensisches Essen auf französischen Tischdecken in Paris. «Ich verwandle die Welt in unseren Häusern, zwischen vier Wänden, in eine Form des Widerstands, um das Erbe aufrechtzuerhalten, Erinnerungen an die einfachen Dinge wie nationale Gerichte zu bewahren und um unsere Identitäten lebendig zu halten» sagt Sandouka, den wir per Videoanfruf erreichen.
Mal schielt eine Katze gierig durch ein Fenster zu den auf einem Holztisch angerichteten Fischen. Auf einem anderen Bild steht eine üppige, rosa Blumenvase, anderswo ist ein reichhaltiges Frühstück auf einer bunten Tischdecke zu sehen. Es werde ihm aber wohl nicht gelingen, die Ruhe, die diese Szenen ausstrahlen, festzuhalten, meint Sandouka «egal wie sehr ich mich anstrenge». Der Konflikt schwelt merklich unter den bunten Acrylfarben und zwischen den Linien der Ölstifte. Gerade diese nicht sichtbare, drohende Düsternis hinter der Idylle zeichnet Sandoukas Werke aus.
Davon ist auch Harlis Schweizer Hadjidj überzeugt. Sie kennt den Künstler aus ihrer Zeit in Paris, wo er – wie sie 2024 – eine Residency der «Cité international des Arts» in Paris erhalten hatte. Einmal habe er für sie gekocht: Pancakes mit Orangenblütenglacé – «wie auf den Bildern».
Aus einer Künstlerfamilie stammend, hatte Harlis Schweizer Hadjidj vielleicht einen leichteren Zugang zur Kunst und dem Netzwerk, sie sei aber auch als Schweizerin in einer privilegierten Position und sieht es als selbstverständlich, Künstlern wie Sandouka eine Plattform zu vermitteln. Kunst aus Konfliktgebieten habe es nicht leicht. Doch gerade diese Stimmen seien wichtig.

Noch bis im September hängen die Werke von Hassan Sandouka in dem Salon. (Bild: Harlis Schweizer Hadjidj)

Haarskulptur von Daniel Markwalder. (Bild: Daniel Markwalder)
Haarsträubende Kunst
Eine Plattform bieten möchte auch Daniel Markwalder. Immer wieder stellt er die Werke von befreundeten oder lokalen Künstler:innen in seinem Salon aus. Ein Raum, der sich anbiete, sagt Hadjidj, selbst Kundin des Friseurs. Denn hier habe man Zeit und Lust sich umzuschauen. Markwalder ist selbst aber auch als Künstler aktiv. So stehen im Schaufenster zurzeit drei seiner Werke: drei Haartürme.
Was seltsam bis eklig anmuten kann, bezeichnen der Friseur und die Kunstvermittlerin als «soziales Werk» und «Zeitdokument». Das gesammelte Haar seiner Kund:innen presst Markwalder monatlich mit Haarlack und Hitze in einer Vase in Form. Aktuell stehen da also drei Monate Haar. Bizli wääh, aber gerade darum auch interessant.
Bei etwas längerer Betrachtung weicht der erste Ekel der Neugier. Die Skulpturen haben etwas Surreales an sich. Denn wen interessiert schon abgeschnittenes Haar? In der Regel niemanden. Beim Verlassen des Salons zählt das Haar, das den Kund:innen auf dem Haupt verbleibt, und nicht jenes, welches sie zurücklassen.
Die Türme sind nicht die ersten Haarkreationen des Friseurs und Künstlers. Zuletzt habe er einen Teppich daraus gemacht, erzählt Markwalder. Nun stellt er, Monat für Monat, seine Haartürme ins Schaufenster. So unberechenbar wie die Kunstobjekte selbst ist auch das Konzept des Künstlers: Noch wisse er nicht, ob es weiterhin Türme bleiben sollen und ob er sie stellt, legt oder hängt. Wenn die Sonne durch die Fensterscheibe fällt, kommen die Werke erst richtig zur Geltung. Dann leuchten die Farben und Konturen der einzelnen Haare besonders hell.
Bei näherer Betrachtung ist also höchstens noch die Kombination der unterschiedlichen Werke Sandoukas und Markwalders haarsträubend, aber selbst diese lässt sich erklären: Alltag. Wenn die Heimat kaputt geht, die Häuser und die Wände bröckeln, man nicht mehr sicher ist: Wo und wie lässt sich das Gefühl von Zuhause-Sein und Normalität noch finden? Vielleicht beim Kochen und Essen oder hinter den (Schau-)Fenstern, bei einem Haarschnitt in den vier Wänden eines Freundes.
«Stories within» : 4. April – 30. September, Dienstag bis Freitag, 9-18 Uhr, Haarwerk 18,
Apero und Talk am 30. April ab 19 Uhr
Hassan Sandouka zeigt auch Werke am 17. Mai während der offenen Ateliers von Harlis Schweizer Hadjidj, Hoseyn A. Zadeh und Claudia Züllig im Rahmen des Frühlingsfests im Dachatelier St. Gallen.
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