Bunte Tischdecken, die es zu wahren gilt – um jeden Preis

Im St.Galler Coiffeursalon Haarwerk 18 Manufaktur stellt zurzeit ein palästinensischer Künstler seine Werke aus. Sonst durchzogen von Düsterheit, fokussiert Hassan Sandouka in den aktuellen Werken auf das Schöne: Essen auf bunten Tischdecken und ein Gefühl von Zuhause. Daneben gibts Haarskulpturen vom Salonbesitzer.

Hassan Sandouka zeigt im Haarwerk 18 seine Werke (Bild: Hassan Sandouka)

Vier Wän­de, drei Spie­gel, ein Schau­fens­ter. Der Coif­feur­sa­lon von Da­ni­el Mark­wal­der am Sä­ge­gäss­lein im St.Gal­ler Lin­se­bühl­quar­tier wird im­mer wie­der als Aus­stel­lungs­raum ge­nutzt. Mo­men­tan stellt Har­lis Schwei­zer Had­jidj dort die Wer­ke von Hassan San­dou­ka zwi­schen den Spie­geln und Sche­ren aus.

Der 26-jäh­ri­ge Künst­ler wohnt in Je­ru­sa­lem und hat ser­bi­sche so­wie pa­läs­ti­nen­si­sche Wur­zeln. Sie be­ein­flus­sen sei­ne Ar­beit merk­lich. Wäh­rend der letz­ten Mo­na­te hat er ver­mehrt den Schmerz über die Ver­lus­te sei­ner Hei­mat auf die Lein­wand über­tra­gen, ein Schmerz der sei­ne Bil­der oft düs­ter und trau­rig, zu­wei­len auch sehr po­li­tisch wer­den lässt. Für die Aus­stel­lung in St.Gal­len woll­te er be­wusst et­was an­de­res zei­gen, das Schö­ne am Zu­hau­se-Sein, die glück­li­chen Mo­men­te im All­tag und Er­in­ne­run­gen, nach de­nen er sich nicht sel­ten sehnt.

Der Kon­flikt hin­ter den Far­ben

«Sto­ries wi­thin» zeigt All­tags­si­tua­tio­nen, wie San­dou­ka sie aus dem Haus sei­ner Gross­mutter in Ser­bi­en kennt, Mo­men­te aus längst ver­gan­ge­nem All­tag in Je­ru­sa­lem, pa­läs­ti­nen­si­sches Es­sen auf fran­zö­si­schen Tisch­de­cken in Pa­ris. «Ich ver­wand­le die Welt in un­se­ren Häu­sern, zwi­schen vier Wän­den, in ei­ne Form des Wi­der­stands, um das Er­be auf­recht­zu­er­hal­ten, Er­in­ne­run­gen an die ein­fa­chen Din­ge wie na­tio­na­le Ge­rich­te zu be­wah­ren und um un­se­re Iden­ti­tä­ten le­ben­dig zu hal­ten» sagt San­dou­ka, den wir per Vi­deo­an­f­ruf er­rei­chen.

Mal schielt ei­ne Kat­ze gie­rig durch ein Fens­ter zu den auf ei­nem Holz­tisch an­ge­rich­te­ten Fi­schen. Auf ei­nem an­de­ren Bild steht ei­ne üp­pi­ge, ro­sa Blu­men­va­se, an­ders­wo ist ein reich­hal­ti­ges Früh­stück auf ei­ner bun­ten Tisch­de­cke zu se­hen. Es wer­de ihm aber wohl nicht ge­lin­gen, die Ru­he, die die­se Sze­nen aus­strah­len, fest­zu­hal­ten, meint San­dou­ka «egal wie sehr ich mich an­stren­ge». Der Kon­flikt schwelt merk­lich un­ter den bun­ten Acryl­far­ben und zwi­schen den Li­ni­en der Öl­stif­te. Ge­ra­de die­se nicht sicht­ba­re, dro­hen­de Düs­ter­nis hin­ter der Idyl­le zeich­net San­dou­kas Wer­ke aus.

Da­von ist auch Har­lis Schwei­zer Had­jidj über­zeugt. Sie kennt den Künst­ler aus ih­rer Zeit in Pa­ris, wo er – wie sie 2024 – ei­ne Re­si­den­cy der «Ci­té in­ter­na­tio­nal des Arts» in Pa­ris er­hal­ten hat­te. Ein­mal ha­be er für sie ge­kocht: Pan­ca­kes mit Oran­gen­blü­teng­la­cé – «wie auf den Bil­dern».

Aus ei­ner Künst­ler­fa­mi­lie stam­mend, hat­te Har­lis Schwei­zer Had­jidj viel­leicht ei­nen leich­te­ren Zu­gang zur Kunst und dem Netz­werk, sie sei aber auch als Schwei­ze­rin in ei­ner pri­vi­le­gier­ten Po­si­ti­on und sieht es als selbst­ver­ständ­lich, Künst­lern wie San­dou­ka ei­ne Platt­form zu ver­mit­teln. Kunst aus Kon­flikt­ge­bie­ten ha­be es nicht leicht. Doch ge­ra­de die­se Stim­men sei­en wich­tig.

Noch bis im September hängen die Werke von Hassan Sandouka in dem Salon. (Bild: Harlis Schweizer Hadjidj)

Haarskulptur von Daniel Markwalder. (Bild: Daniel Markwalder)

Haar­sträu­ben­de Kunst

Ei­ne Platt­form bie­ten möch­te auch Da­ni­el Mark­wal­der. Im­mer wie­der stellt er die Wer­ke von be­freun­de­ten oder lo­ka­len Künst­ler:in­nen in sei­nem Sa­lon aus. Ein Raum, der sich an­bie­te, sagt Had­jidj, selbst Kun­din des Fri­seurs. Denn hier ha­be man Zeit und Lust sich um­zu­schau­en. Mark­wal­der ist selbst aber auch als Künst­ler ak­tiv. So ste­hen im Schau­fens­ter zur­zeit drei sei­ner Wer­ke: drei Haar­tür­me.

Was selt­sam bis ek­lig an­mu­ten kann, be­zeich­nen der Fri­seur und die Kunst­ver­mitt­le­rin als «so­zia­les Werk» und «Zeit­do­ku­ment». Das ge­sam­mel­te Haar sei­ner Kund:in­nen presst Mark­wal­der mo­nat­lich mit Haar­lack und Hit­ze in ei­ner Va­se in Form. Ak­tu­ell ste­hen da al­so drei Mo­na­te Haar. Biz­li wääh, aber ge­ra­de dar­um auch in­ter­es­sant.

Bei et­was län­ge­rer Be­trach­tung weicht der ers­te Ekel der Neu­gier. Die Skulp­tu­ren ha­ben et­was Sur­rea­les an sich. Denn wen in­ter­es­siert schon ab­ge­schnit­te­nes Haar? In der Re­gel nie­man­den. Beim Ver­las­sen des Sa­lons zählt das Haar, das den Kund:in­nen auf dem Haupt ver­bleibt, und nicht je­nes, wel­ches sie zu­rück­las­sen.

Die Tür­me sind nicht die ers­ten Haar­krea­tio­nen des Fri­seurs und Künst­lers. Zu­letzt ha­be er ei­nen Tep­pich dar­aus ge­macht, er­zählt Mark­wal­der. Nun stellt er, Mo­nat für Mo­nat, sei­ne Haar­tür­me ins Schau­fens­ter. So un­be­re­chen­bar wie die Kunst­ob­jek­te selbst ist auch das Kon­zept des Künst­lers: Noch wis­se er nicht, ob es wei­ter­hin Tür­me blei­ben sol­len und ob er sie stellt, legt oder hängt. Wenn die Son­ne durch die Fens­ter­schei­be fällt, kom­men die Wer­ke erst rich­tig zur Gel­tung. Dann leuch­ten die Far­ben und Kon­tu­ren der ein­zel­nen Haa­re be­son­ders hell.

Bei nä­he­rer Be­trach­tung ist al­so höchs­tens noch die Kom­bi­na­ti­on der un­ter­schied­li­chen Wer­ke San­dou­kas und Mark­wal­ders haar­sträu­bend, aber selbst die­se lässt sich er­klä­ren: All­tag. Wenn die Hei­mat ka­putt geht, die Häu­ser und die Wän­de brö­ckeln, man nicht mehr si­cher ist: Wo und wie lässt sich das Ge­fühl von Zu­hau­se-Sein und Nor­ma­li­tät noch fin­den? Viel­leicht beim Ko­chen und Es­sen oder hin­ter den (Schau-)Fens­tern, bei ei­nem Haar­schnitt in den vier Wän­den ei­nes Freun­des.

 

«Sto­ries wi­thin» : 4. April – 30. Sep­tem­ber, Diens­tag bis Frei­tag, 9-18 Uhr, Haar­werk 18, 
Ape­ro und Talk am 30. April ab 19 Uhr
Hassan San­dou­ka zeigt auch Wer­ke am 17. Mai wäh­rend der of­fe­nen Ate­liers von Har­lis Schwei­zer Had­jidj, Ho­seyn A. Zadeh und Clau­dia Zül­lig im Rah­men des Früh­lings­fests im Dach­ate­lier St. Gal­len.
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