Bunker, Beton, Bilder
In der Ausstellung «Concrete» des Winterthurer Fotomuseums wird es ganz klar: Architekturfotografie will viel mehr als nur darstellen. Bilder und Text von Georg Gatsas
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Hier im Fotomuseum Winterthur erblicke ich sie also wieder, die Fotografien von Paul Virilios Studie der Bunkerarchäologie. Der Autor W. G. Sebald hatte die Bilder des französischen Philosophen unverfroren und ohne Namensnennung für seinen Roman «Austerlitz» übernommen und seinen Protagonisten beim blossen Anblick des Bunkers krank und schwindlig werden lassen.
«Concrete» heisst die in zwei Ausstellungstrakten unterteilte Schau zum 20-jährigen Jubiläum des Fotomuseums in Winterthur. Die von Thomas Seelig kuratierte Ausstellung ist dabei nicht chronologisch geordnet, sondern setzt die Schwerpunkte vielmehr auf klug ausgedachte Gegenüberstellungen und thematische Felder.
Im ersten Teil der Ausstellung gewährt die Ausstellung unter anderem fotografische Blicke in die Materie der Bauten selbst: Stein, Stahl und Glas. Im zweiten Teil werden dann die Stadtentwicklungen von Winterthur, Zürich (Zürich-West!), Venedig, Paris, Berlin, New York City, Kalkutta, Chandigarh zueinander gestellt.
Schnell wird klar: Fotografie dient niemals nur der optimalen Darstellung von Gebäuden. Sie halten die Bauten zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, der Blick durch die Linse wird auf die Historie der Architektur und auf den Verfall und Zerstörung ihrer Werke gelenkt. Aber vielmehr noch sind sie Ausdruck des Fotografen oder eines vorherrschenden Systems, sie verfolgen deshalb stets einem Zweck und bedienen sich dabei verschiedener Mittel.
Die Fotografie von Jerry Torrens («Anschlag auf das World Trade Center») und die am gleichen Ort von vielen Zeugen simultan geschossenen Bilder und Filme haben sich unauslöschlich in unser Gedächtnis eingebrannt. Bemerkenswert auch Dan Graham und Robin Hursts Gemeinschaftsarbeit «Private ‹Public› Space: The Corporate Atrium Garden», die 1987 in den USA entstanden ist, aber an den Schweizerischen Novartis Campus erinnert. Robert Venturi & Denise Scott Browns Abbildungen aus dem Bildarchiv Las Vegas Studio wecken Erinnerungen an die Wüstenstadt, obwohl man vielleicht gar nie da war.
Heutzutage, wo Bilder von selbst entstehen, vorhanden sind, und auf allen Kanälen (beispielsweise Instagram) verteilt werden, geht es nicht mehr darum, die Form eines Gebäudes als Bild zu vermitteln, sondern vor allem darum, mit dem Bild eines Baus eine Mitteilung anderer Art zu machen (Dies gilt im übrigen teilweise auch für Portraits). Beni Bischofs «Castles – Added New Protection V» darf deshalb in der Ausstellung auch nicht fehlen.
Die über 400 Fotografien der Ausstellung sind auch im Ausstellungskatalog zu sehen. Ausserdem wurde das Buch mit Textauszügen von Walter Benjamin und Jean Baudrillard ergänzt, aber auch (ich staune) von den Popliteratur-Königen Christian Kracht oder Rainald Goetz. Dieser Zementklotz von einem Buch lässt sich übrigens vortrefflich für das Einschlagen von Fensterscheiben hässlicher Neubauten verwenden, die auch noch im Jahre 2013 gebaut werden.