Bührle Züri Ost – Teil 1

Herren von Rang und Namen pflegen den Jagdsport. So gehörte sich das schon immer, und der deutsch-schweizerische Waffenindustrielle Emil Georg Bührle nahm sich davon nicht aus.
Reh Mirza und Bock Fridolin aus der Meienberg’schen Satire (Jagdgespräch unter Tieren, 1978) singen ein Lied davon, wie stolz es sie macht, dass sie für die noblen Herren vom Züriberg sterben dürfen und diesen so ein bisschen Volksgemeinschaft ermöglichen, indem sie sich mit ihren bäuerlichen Jagdgehilfen auf Treibjagd begeben.
In der Februarausgabe ist Saiten den Spuren des Waffenhändlers Emil G. Bührle in der Ostschweiz und im Fürstentum Liechtenstein nachgegangen. Online erscheint das Saiten-Bührle-Special in drei Teilen. Teil zwei folgt am Samstag, Teil drei am Sonntag.
Zwar ging es Meienberg in seiner Fabel vor allem um den reaktionären NZZ-Chef Fred Luchsinger, einen Bähnlersohn aus St.Gallen, der in Rafz jagte, allerdings blitzt auch der Name Bührle auf. Fridolin zu Mirza: «Wir haben Glück, dass nur kultivierte Herren uns bejagen und die Ordnung im Walde aufrechterhalten, gozeidank ist die Volksjagd seit anno 1929 abgeschafft, es kommen nur noch Herren in Frage (…), zum Beispiel die Familie Schwarzenbach, Textil, von welcher dann Schmidheini das Revier übernommen hat, welcher dann Luchsinger nachgezogen hat zu uns in den Wald. Auch unsere Verwandten auf dem Ottenberg sind stolz, im Wald ob Weinfelden, die werden gar von Bührle gejagt und seinem Kumpan Gygli, dem ehemaligen Generalstabschef.»
Gemeint ist hier Dieter Bührle, der Sohn des Kanonenverkäufers, der das Jagdhaus im thurgauischen Homburg und auch sonst eine beträchtliche Erbmasse nach dem Tod des Vaters 1956 übernahm. Bührle senior hatte das Grundstück auf dem Seerücken 1939 gekauft. 1940 war der Bau des Jagdhauses mit einem Schätzwert von 70‘000 Franken vollendet. Nach einem Brand 1952 und dem Wiederaufbau als Jagd- und Ferienhaus lag der Wert bei 181‘000 Franken.
Dieter Bührle (1921-2012) übernahm das Jagdrevier in Homburg TG von seinem Vater nach dessen Tod 1956. Dort jagte er unter anderem mit Generalstabschef Paul Gygli.
Spätestens ab den 1960er-Jahren hat sich am Untersee zwischen Berlingen und Salenstein ein Gams-Rudel angesiedelt. Bis heute streift es dort durchs Gras. Gut möglich also, dass zumindest Bührle junior nebst Füchsen, Wildschweinen und Rehen auch einmal ein sonst eher alpines Tier vor die Flinte lief. Als Jäger mit gefestigtem Charakter wird er aber nicht abgedrückt haben, da Abschussbewilligungen für Gämsen im Thurgau nur im äussersten Ausnahmefall erteilt werden. Laut Angaben der kantonalen Jagd- und Fischereiverwaltung sei das in Homburg bisher nie der Fall gewesen.
Bührle und der Bundesrat
Im Jagdrevierverzeichnis ist Emil Bührle für das Revier Homburg – nicht Ottenberg, wie Meienberg glaubte – von 1938 bis 1962 als alleiniger Pächter eingetragen, also sechs Jahre über seinen Tod hinaus. Von da an übernahm Sohn Dieter die Pacht, 1971 auch das Jagdhaus, das bis dahin offiziell Eigentum der Bührle’schen Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon war. Bis 2018 figurierten Bührle junior, gestorben 2012, und der Zürcher Jurist Hans Bänninger gemeinsam im Pachtregister. Hauptpächter war ab 1978 allerdings der Homburger Landwirt Otto Steffen.
Das Jagdhaus ist heute nicht mehr in Familienbesitz, im Gegensatz zum «Jagdschloss» Château de Raymontpierre in der jurassischen Gemeinde Val Terbi. Emil Bührle hatte es 1941 gekauft. Heute ist es auf den Namen Anda-Bührle eingetragen.
Mit wem Emil Bührle in Homburg ausser den von ihm eingesetzten Jagdaufsehern aus der Region jagte, ist kaum bekannt. Als gesichert gilt die Jagdfreundschaft mit dem langjährigen Bundesrat Philipp «Étternel» Etter, im Amt von 1934 bis 1959, über den vor einem Jahr eine so umfassende wie umstrittene Biografie erschienen ist. Hochrangige Gäste aus dem Ausland – Waffen- und Munitionsinspekteure aus NS-Deutschland zum Beispiel – empfing Bührle dann eher im Tessin.
Diese Episode zeigt vor allem eines: Bührle war keine isolierte Unternehmerfigur, die in seiner engen Kollaboration mit dem Dritten Reich einen Sonderfall darstellte. So deutschfreundlich sie teils waren – Bührle wurde nicht mit Herren wie Luchsinger und Konsorten in die allerhöchsten Zürcher Kreise aufgenommen, in den Rotary Club etwa, oder in eine Zunftgesellschaft. Dennoch war er nicht der zugewanderte Einzelkämpfer, als den man ihn lange darstellte, sondern er unterhielt beste Beziehungen in die Zürcher Kunstgesellschaft und bis hinauf in den Bundesrat. Seine Einbürgerung 1937 war kein Zufall. Und seine geschäftlichen Erfolge erzielte Bührle auch ohne Teilnahme am folkloristischen Sechseläuten.
Bührles erste Kontakte führen ihn an den Bodensee
Der viel diskutierte Forschungsbericht des Lehrstuhls Leimgruber an der Universität Zürich, der unter zeitweiser Mitarbeit von Historiker Erich Keller entstanden ist, untersucht die wirtschafts- und gesellschaftshistorischen Bedingungen, unter denen die milliardenschwere Bildersammlung von Emil G. Bührle entstanden ist. Darin sind erstmals die Netzwerke des Waffenindustriellen nachgezeichnet.
Seine Kunstsammlung, die er sich aus seinen Kriegsgewinnen finanzierte, ermöglichte Bührle nach und nach den gesellschaftlichen Aufstieg. War man vor und während des Krieges auf bürgerlicher Seite da und dort noch etwas zurückhaltend, besserte sich Bührles öffentliches Ansehen im Kontext des Kalten Krieges und des von ihm geteilten Antikommunismus in der Schweiz merklich. Dass sein Vermögen vor allem aus dem Geschäft mit dem Dritten Reich stammte, ging rasch vergessen.
Im Ersten Weltkrieg kämpfte der Schwabe aus Pforzheim in Rumänien, 1919 machte er als Freikorpsler in Berlin Jagd auf Kommunisten. 1924 kam der 33-Jährige als Prokurist nach Zürich. Im Auftrag der Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik (MW), die ein Jahr zuvor die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) übernommen hatte, sollte er den maroden Standort an der Limmatstadt auf Vordermann bringen.
Nach und nach führten ihn Hans Lauf, der Direktor der MW, und der Zürcher Kaufmann Louis Feusi in das informelle, militärisch-industrielle Netzwerk aus Regierungsstellen, Behörden, Unternehmen und Expertengruppen zwischen der Schweiz und Deutschland ein. Ein Netzwerk, das vor allem der Umgehung des «Schmachfriedens von Versailles» und der verdeckten Wiederaufrüstung Deutschlands in der Schweiz diente. Bührle, ab 1929 Mehrheitsaktionär der WO, spielte dabei und während des Zweiten Weltkriegs eine dominante Rolle: Zwischen 1940 und 1944 kamen über 70 Prozent der Schweizer Rüstungsexporte an die Achsenmächte im Umfang von rund 540 Millionen Franken aus dem Hause Bührle. 1941 machten die Waffenlieferungen 14 Prozent der gesamten Exporte des Landes aus.
Bührle und die geheime deutsche Aufrüstung
Geplatzte Kampfjet- und Atombombenträume
1929 präsentierten die Dornier-Werke in Altenrhein das Grossraumflugboot Do X, das für einiges Aufsehen sorgte, weil es Deutschlands Fähigkeit zur Wiederaufrüstung trotz Verbots demonstrierte. 1948 kaufte Claudio Caroni, Tessiner Unternehmer und Grossvater des heutigen Ausserrhoder Ständerats Andrea Caroni, die nach dem Krieg darniederliegende Firma und brachte sie – neu unter dem
Namen Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA) und vor allem mit zivilen Produkten – zu neuer Blüte.
Die Entwicklung eines eigenen Schweizer Jagd- und Erdkampfflugzeugs endete 1958 jäh mit dem Absturz des Prototyps in den Bodensee, womit auch die geheimen Träume gewisser Schweizer Militärkreise nach einem eigenen atomwaffenfähigen Flugzeug platzten. Auch der Bundesrat hatte damals ernsthaft über eine atomare Aufrüstung nachgedacht (zum Beispiel Bührle-Freund Etter: «Nur zur Verteidigung, nicht zur Vergeltung.»). Atomträumer an vorderster Front war der 1958 zum Generalstabschef ernannte Romanshorner Jakob Annasohn. 1964 reichte er in der Folge der Mirage-Affäre seine Demission ein. Sein Nachfolger wurde Paul Gygli, Dieter Bührles späterer Jagdkumpan.
Das Bodenseeufer spielte bei der verdeckten Aufrüstung Deutschlands eine besondere Rolle. Da die Versailler-Friedensverträge Deutschland den Flugzeugbau verboten, verlegte Claude Dornier die Endmontage seiner Flugzeuge 1921 von Friedrichshafen nach Rorschach. 1924 eröffnete er dann die Dornier-Werke Altenrhein AG. Die Schweizer Behörden halfen bei der Umgehung der Versailler-Verträge wohlwollend mit. Bührle lieferte Dornier die 20-Millimeter-Bordkanonen.
Ein Netz von rund zwei Dutzend Vertretern bildete vor und während des Krieges die Grundlage für Bührles Erfolge in den Exportgeschäften, die sich für gewöhnlich im legalen und moralischen Graubereich abspielten. Dass dabei Intrigen und Zahlungen von Überpreisen, Schmiergeldern und hohen Provisionen an der Tagesordnung waren, belegt etwa der Briefwechsel zwischen Bührle und einem seiner engsten Vertrauten, Waldemar von Vethacke.

Emil G. Bührle bedient Ende der 1920er-Jahre das «Drehringgeschütz Oerlikon», das in einer Testvariante des Dornier-Superwals eingebaut war. (Bild: WO Werkmitteilungen, Mai 1945)
Erster Teil des Saiten-Bührle-Specials: Wie der Kanonenproduzent in die Schweiz kam, im Thurgau zur Jagd ging und am Bodensee den Deutschen mithalf, die Versailler Verträge zu umgehen.
Zweiter Teil des Saiten-Bührle-Specials: Wie der Waffenhändler seine Kontakte in der Ostschweiz – insbesondere im Rheintal – nutzt und 1941 in Liechtenstein seine «verlängerte Werbank» einrichtet.
Dritter Teil des Saiten-Bührle-Specials: Wie sich Fürst Franz Josef II. über Bührles Patronenlieferungen an die Wehrmacht freut und wie der Waffenfabrikant eine Zwangsarbeitsfabrik im Toggenburg kauft.