Brühls Geist der Offenheit

1915, vor hundert Jahren, wurde der FC Brühl Schweizer Meister. Dies ist dem Stadtsanktgaller Sportclub ein Anlass zum Feiern. Politiker und Schriftsteller zollen Brühl Anerkennung.
Von  Ralph Hug

3:0 hiess es vor hundert Jahren, als Brühl den FC Servette im Endspiel im Berner Spitalacker-Stadion schlug. Eine klare Sache: Brühl war damit Schweizer Meister. Erst viel später, im Jahr 2000, gelang dem FC St.Gallen dasselbe Meisterstück zum zweiten Mal – 96 Jahre nach dem ersten FCSG-Meistertitel von 1904.

Jetzt ist der historische Meisterpokal vorübergehend in St.Gallen zu besichtigen: bei Juwelier Frischknecht an der Marktgasse. Frischknecht ist Sponsor der Brühler. Eine Ausstellung zeigt zudem historische Fotos aus der Fussballgeschichte.

SC Brühl-Präsident René Hungerbühler zeigte sich an einer kleinen Feier am Donnerstag glücklich, dass es gelungen sei, diesen Anlass durchzuführen. Der Pokal kam vom YB-Museum in Bern in die Ostschweiz und wird nun drei Wochen lang im Schaufenster zu sehen sein.

Die halbe Stadt stand hinter Brühl

Brühl-Geschichte ist Stadt-Geschichte. Darauf wies in seiner Ansprache SP-Ständerat Paul Rechsteiner hin. Rechsteiner ist selber Brühler, wuchs im St.Galler Stadquartier Krontal auf und liess sich als Junge vom Fussball begeistern.

Als Arbeiter-Fussballclub scharte Brühl einst die halbe Stadt hinter sich. Für Brühl zu sein war auch ein Zeichen sozialer Zugehörigkeit. Wer aus «besseren» Kreisen stammte, fieberte für den FC St.Gallen. Die Stadtmatches waren legendär.

Die beiden Clubs trennten Welten. Rechsteiner sagte, Brühl habe während der Nazizeit ohne weiteres die verfolgten jüdischen Fussballer des Wiener Hakoah-Clubs aufgenommen. Beim FCSG hingegen waren Juden nicht willkommen. Dies ist in einer Untersuchung des St.Galler Kantilehrers Christoph Bischof nachzulesen, eine der ersten sozialgeschichtlichen Arbeiten zum Fussball.

Und dann natürlich Paul Grüninger: Der Polizeihauptmann, der vielen jüdischen Flüchtlingen das Leben rettete und dafür abgesetzt wurde, war zweimal Präsident des FC Brühl und kickte selber in der Mannschaft. Beim entscheidenden Match gegen Servette war er allerdings nicht dabei.

Grüninger ist mit Brühl untrennbar verbunden. Nach Grüningers Rehabilitierung Mitte der 1990er-Jahre wurde er auch sportlich rehabilitiert: indem das neue Stadion im Krontal nach ihm benannt wurde. Markus Buschor war der Architekt, heute ist er parteiloser Stadtrat. Beide Rehabilitierungen, erinnerte Rechsteiner, hätten gegen starke Widerstände durchgesetzt werden müssen.

Der Oltener Lenz ist Brühler

Wo Fussball ist, ist Pedro Lenz nicht weit. An der Feier hiess es für zehn Minuten «Dr Goalie bin ig». Der Oltener Schriftsteller Lenz las in seiner unnachahmlichen Art aus zwei Fussballgeschichten, bevor er zur nächsten Lesung nach Winterthur losdüsen musste. Grosser Applaus war ihm sicher. Auch Lenz ist ein Brühler, der oft im Krontal zu sehen ist.

Der FC Brühl wurde offiziell 1901 gegründet. Das steht auf seinem grün-gelben Logo. Allerdings ist der Club noch ein paar Jahre älter, wie Fredi Hächler vom Stadtarchiv herausfand. Dokumente beweisen, dass es die Fussballmannschaft schon vorher gab. Wie auch der FCSG älter sei als 1879. «Die Verantwortlichen müssten mal über die Bücher», so Hächler.

Klar ist aber, dass sich der SC Brühl – er wurde in den Dreissigerjahren vom reinen FC zum Sportclub (SC) – stets durch seine grosse Offenheit auszeichnete. Menschlichkeit sei wichtig, sagte Präsident Hungerbühler. Ein Zeichen dafür setzte Brühl letzthin, als man Flüchtlinge ins Stadion zu einem Spiel einlud.

Bekannt ist Brühl auch für seine aktive Nachwuchsförderung. Etwa mit den «Krönli-Kids». Deshalb meinte Rechsteiner, Brühl sei nicht nur der Schweizermeister von vor hundert Jahren, sondern auch heute noch Meister der Nachwuchsförderung und der Jugendintegration.