Zwischen Dschungel und Sammlung
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Rhythmische Trommelklänge sind im Hintergrund leise zu hören. Fremd anmutende Masken, bunte Keramiken, Skulpturen, Videos, bizarre Installationen, Gemälde und Fotographien werden sichtbar. Linkerhand reihen sich Schuhe in verschiedenen Grössen aneinander. Aus den Glasvitrinen rechts vom Eingang lugen schräge, blaue Gestalten aus Gips hervor.
In einer Ecke thront auf einer Gipskugel die Gestalt eines Murmeltiers – es scheint ebenfalls aus Gips geformt. Die abstrakten Muster auf der Skulptur erinnern entfernt an Tätowierungen. Doch unter dem Gipsdecke steckt ein echtes Tierpräparat. Die Skulptur heisst Murmel-Tatau. Der Begriff Tatau bedeutet Zeichen und stammt ursprünglich aus Tahiti. Das Besondere daran: Beim Murmeltierpräparat handelt es sich um ein ausgemustertes Objekt aus dem Naturmuseum St.Gallen. Die Arbeit des 60-jährigen Herisauers Stefan Rohner verbindet ein Alpentier mit Elementen der Südsee.
Wild statt zahm
Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss prägte den Begriff Bricolage. Französisch «bricoler» bedeutet so viel wie herumbasteln. Statt sich spezifische Ressourcen zu beschaffen, wird dabei mit bereits vorhandenem Material gebastelt. Es ist ein Aufruf: raus aus der Komfortzone und wild denken! Lévi-Strauss bezeichnete das «wilde» auch als «ungezähmtes Denken» fernab der strukturierten Ordnung.
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Brigit Edelmann: Mundmaske, Sri Lanka, aus der Sammlung des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen (Bild: Stefan Rohner)
Genau dieses Konzept zieht sich wie ein roter Faden durch die vom Prozess bestimmten Arbeiten der Kunstschaffenden. Sie hatten die Gelegenheit, in der Museumssammlung nach Objekten zu stöbern und diese ihrem «wilden Denken» zu unterziehen. Oder in Stefan Rohners Worten: «Ich wünsche mir, dass die Besucher und Besucherinnen von der Abstraktion angezogen werden, so wie ich es erlebe. Sie lässt mich eine veränderte Sichtweise annehmen. Ich habe mich von den Objekten der Sammlung inspirieren lassen und diese mithilfe von wildem Denken neu formiert. Das finde ich faszinierend.»
BRICOLAGE. wild – exotic – different: bis 1. März 2020, Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen
Vernissage der Ausstellung und der Publikation «MANJAKOP» (edition clandestin Biel): 30. August 18.30 Uhr
hvmsg.ch
wild-exotic-different.art
Das Arbeiten mit dem Fremden oder Andersartigen kann auch Kritik auf den Plan rufen. Das Erbe des imperialistischen Zeitalters ist vor allem in ethnologischen Museen umstrittener denn je. Andy Storchenegger aus Jonschwil weiss um den Balanceakt, den dieses Thema erfordert. «Ich muss mich oft rechtfertigen, warum ich Reisen nach Afrika oder Südamerika unternehme und nicht hier in der Schweiz arbeite. Aber für mich sind es wertvolle Erfahrungen.»
Der 42-Jährige hat unter anderem in Peru mit einem einheimischen Künstler an Masken gearbeitet. Ausgangspunkt für diese Kollaboration war eine Fasnachtsmaske aus dem Sarganserland. Die Bearbeitung der dreiteiligen Maskenserie verbindet die schweizerische mit der Tradition der Kukumas, einem indigenen Stamm aus dem Amazonasgebiet.
Die Ausstellung zieht sich mit «Ausläufern», wie sie die Kunstschaffenden nennen, weiter in den «Welten-Sammeln-Saal» des Museums. Inmitten von historischen Skulpturen, Bronzen und Werkzeugen findet sich am Sockel einer Vitrine eine geöffnete Schublade. Gelächter und eine kuriose Unterhaltung in undefinierbarer Sprache sind zu hören. In der Schublade liegen zwei aus Sri Lanka stammende, geschnitzte Holzmasken. Es scheint, als würden die Mundmasken miteinander kommunizieren.
Die St.Gallerin Brigit Edelmann, Jahrgang 1980, hat ihnen mittels Audiospur Stimmen verliehen. «Als wir klein waren, haben ich und meine Schwester oft in einer fremden, eigens erfundenen Sprache kommuniziert. Das half gegen Langeweile. Man kann jemanden verstehen, auch wenn man ihn nicht wortwörtlich versteht», verrät die Kunstschaffende.
Der Blick in die ungetrübte Ferne
In der Mitte des Ausstellungsraums befindet sich ein grosser Kubus. Von aussen betrachtet scheint er hell und eben, während im betretbaren, mit Kunstfell ausgelegtem Inneren Dunkelheit dominiert. Im Bauch des Kubus führt eine Leiter zu einer Fensterluke, die den Blick auf den «Platinendschungel» freigibt. Zu sehen sind unzählige kleine Elektroplatinen, Träger für elektronische Geräte, die in Baumformen zugeschnitten sind. Einige tragen in ihren Baumkronen Bildschirme, auf denen Videos abgespielt werden.
Diese Arbeit ist die einzige, die von den drei Kunstschaffenden gemeinsam erarbeitet wurde. Es scheint, als bilde der Dschungel eine komprimierte Form der drei künstlerischen Positionen ab. Und während der Blick über die Platinenwipfel in die Ferne schweift, verschwimmen langsam die Grenzen der Dialektik von Ordnung und Wildheit.