Blutiger Parkplatzstreit

Strassenverkehr macht aggressiv. Auch wenn er ruht, fliesst schon mal Blut. Zwei gestandene Männer – einer 56 und der andere 47 Jahre alt – warten auf dem Areal des St.Galler Kantonsspitals in ihren Autos auf einen frei werdenden Parkplatz. Keiner bemerkt den anderen und wähnt sich deshalb allein auf der Lauer. Der Ältere, ein Dialysepatient, ist […]
Von  Harry Rosenbaum

Strassenverkehr macht aggressiv. Auch wenn er ruht, fliesst schon mal Blut.

Zwei gestandene Männer – einer 56 und der andere 47 Jahre alt – warten auf dem Areal des St.Galler Kantonsspitals in ihren Autos auf einen frei werdenden Parkplatz. Keiner bemerkt den anderen und wähnt sich deshalb allein auf der Lauer. Der Ältere, ein Dialysepatient, ist sich das Ritual schon gewöhnt. Der Jüngere will einen schwer kranken Verwandten besuchen.

Normal oder krank

Endlich wird ein Parkplatz frei. Beide steuern darauf zu. Der Ältere ist zuerst in der Lücke, der Jüngere denkt, da hat sich einer vorgedrängt. Er kurbelt das Fenster herunter und ruft dem anderen zu: «Bist du normal oder krank?»

Beide steigen aus ihren Autos aus. Der Jüngere, ein Mann aus dem Balkan, packt den Älteren, einen Türken, an den Schultern und schüttelt ihn. Derweil tritt der Ältere seinem Kontrahenten gegen das Schienbein. Die beiden beginnen sich zu prügeln wie kleine Jungs. Die Kleider des Jüngeren werden zerrissen und die Brille des Älteren geht zu Bruch.

Messer im Hosensack – Messer im Auto

Plötzlich hat der Jüngere eine etwa vier Zentimeter lange Schnittwunde am Hals und blutet stark. – Wie ist das geschehen? Niemand hat ein Messer in der Hand des Älteren gesehen, weder der Verletzte selbst noch vier Zeugen der Keilerei. Die angerückte Polizei findet dann aber ein Taschenmesser im Hosensack des Älteren und ein zweites in dessen Auto. Das Institut für Rechtsmedizin nimmt in seinem Gutachten an, dass die Halsverletzung von einem länglichen, scharfen Gegenstand herrühren muss.

Für den Staatsanwalt ist klar: Der Ältere, der im Strafprozess vor dem Kreisgericht St.Gallen der Beschuldigte ist, hat sein Taschenmesser eingesetzt. Der IV-Rentner bestreitet heftig: «Ich habe überhaupt nichts gemacht. Der andere hat mich angegriffen und geschlagen. Ich habe mich nicht gewehrt.» Das Messer sei ein Geschenk seiner Tochter, sagt er weiter. Er trage es deshalb immer in der Hosentasche. Eingesetzt habe er es aber nicht.

Freiheitsstrafe von 18 Monaten gefordert

Der Staatsanwalt plädiert auf versuchte schwere Körperverletzung und fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Für den Verteidiger bleibt die Herkunft der Schnittwunde am Hals des jüngeren der Streithähne ein totales Rätsel. Jedenfalls könne dafür nicht sein Mandant verantwortlich gemacht werden. Wie denn auch? Er habe in der rechten Hand einen Sack mit Erdnüssen gehalten und linkshändig sei er behindert. Für ein Taschenmesser müsse man aber zwei freie und funktionsfähige Hände haben, um es zu öffnen. Der Verteidiger fordert einen vollumfänglichen Freispruch.

These vom Spickmesser

Im Polizeiprotokoll heisst es, dass der Beschuldigte bei der Befragung am Tatort sehr aggressiv gewesen sei. Er sei auch immer wieder weggelaufen. – Am Messer ist kein Blut und keine DNA des Opfers festgestellt worden.

Die These steht im Raum, dass der Beschuldigte das Messer gereinigt habe, als er sich jeweils bei der Befragung durch die Polizei immer wieder entfernte. Auch das Vorhandensein eines dritten Messers – allenfalls ein Spickmesser – das einhändig bedient werden kann, wird nicht ausgeschlossen. Der Beschuldigte könnte es nach dem Gebrauch unbemerkt entsorgt haben.

Zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt

Der Beschuldigte wird der qualifizierten einfachen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Das Gericht weiss nicht so recht, von welchem Sachverhalt es ausgehen soll. Das sei schwierig, sagt die Präsidentin in der mündlichen Urteilsbegründung. Der Beschuldigte habe verschiedene Aussagen gemacht, die unglaubwürdig seien. Beispielsweise habe er gesagt, er habe seinen Gegner die ganze Zeit nicht berührt. Die Zeugen der Schlägerei hätten das aber anders geschildert. Das Opfer hingegen sei in seinen Aussagen glaubwürdig, meint die Gerichtspräsidentin. Es habe zugegeben, den Beschuldigten geschüttelt und im Verlauf der Auseinandersetzung geschlagen zu haben. Diese Darstellung decke sich auch mit den Zeugenaussagen. Das Gericht war überzeugt davon, dass der Beschuldigte ein Messer eingesetzt hat, eventuell sogar ein Spickmesser.

Im Strassenverkehr herrscht zuweilen Krieg. Auch die Parkplätze sind da keine Schongebiete. Vom Zürcher Obergericht ist 2009 der Thaibox-Weltmeister Bashkim Berisha wegen vorsätzlicher Tötung schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren bestraft worden. Er hatte bei einem Streit um einen Parkplatz 2005 in Dübendorf einen 26-jährigen Mann erschossen.