Blocher wie er lügt und lacht

Was kommt heraus, wenn der Milliardär über den Baumwollindustriellen Adolf Guyer-Zeller doziert? Hans Fässler hat es in Wetzikon erlebt: eine Lektion in Sklaverei-Verharmlosung.
Von  Hans Fässler

Ich hatte zwei Gründe, am Berchtoldstag nach Wetzikon zu fahren. Zum einen, weil ich meine Serie «Von einer Filterblase zur andern» fortsetzen wollte. Sie hatte am 27. September 2017 mit dem Volkskomiker Peach Weber im Casino Herisau begonnen, über den ich – ich gebe es zu – oft lachen musste. Am 20. November 2017 hörte ich dann den verschwörungsaffinen Wanderprediger Daniele Ganser in Pfalzkeller und war – ich gebe es zu – neidisch. Der Pfalzkeller war ausverkauft, und bei meinem letzten öffentlichen Vortrag (in Basel über Toussaint Louverture) waren vier Personen erschienen. Gut, das war jetzt etwas geschönt, denn eine davon war die Frau des Veranstalters.

Mehrzweck(!)-Halle

Und nun also am 2. Januar 2018 der geschichtsaffine Industrielle Christoph Blocher in der Dreifachturnhalle des Schulhauses Egg. Er hatte angekündigt, drei grosse Zürcher Oberländer Persönlichkeiten zu würdigen: den wegen seiner Homosexualität verfemten Volksdichter Jakob Stutz (1801-1877), den Baumwollindustriellen und Eisenbahnpionier Adolf Guyer-Zeller (1839-1899) und Robert Grimm (1881-1958), «Marxist und Revolutionär».

Die Treichlen aus dem Wägital liegen bereit.

Die Halle war schon bei Türöffnung um 9.30 Uhr zur Hälfte gefüllt, die Treichlen aus dem Wägital lagen bereit, und Christoph Mörgeli signierte an einem «Weltwoche»-Stand eifrig seine Schrift zum 100-jährigen Bestehen der Zürcher SVP: Bauern, Bürger, Bundesräte. Ich fand einen Platz ganz in der Nähe von Ulrich Schlüer, dem Chefredaktor der «Schweizerzeit». Er wurde von einem älteren Mann strahlend begrüsst: «Ich bin der Max. Wir waren zusammen in der Rekrutenschule.» Schräg gegenüber von mir intonierte einer den Fahnenmarsch: «Taa-taa-taa-taa ta-ta-ta-taa.»

Die Harmoniemusik Wetzikon spielte flotte Weisen. Eine davon war Sanggalle isch mys Heimatland, worauf ich mich in der inzwischen gut gefüllten Halle unter den etwa 1000 Gästen schon ziemlich wohl fühlte. Noch mehr freute ich mich, als die Musik den abolitionistischen Marsch John Brown’s Body und das Spiritual Gonna lay down my burden / Down by the riverside spielte und mich daran erinnerte, weswegen ich gekommen war.

Guyer-Zeller und die Sklaverei

Ich hatte für den «Tagesanzeiger» einen Gastbeitrag schreiben können, in dem ich aufzeigte, dass der Baumwollindustrielle, Eisenbahnpionier und liberale Zürcher Politiker Guyer-Zeller noch 1861 ein Befürworter und Verteidiger der Sklaverei gewesen war, die er auf einer Bildungsreise in die Südstaaten der USA mit eigenen Augen gesehen hatte. Guyer-Zeller hatte das Verbrechen gegen die Menschlichkeit verharmlost («…die meisten waren wohlauf & sahen vergnügt in die Welt hinein…») sowie kulturhistorisch («…auch die Griechen & Römer hatten Sklaven»), religiös («Würde er sie als seine göttlichen Gesetze verletzend ansehen, hätte er sie in der Neuzeit wieder aufkommen lassen?») und rassistisch («Kaukasier & Neger») gerechtfertigt. Sein Weltbild fasste er so zusammen: «Die einen sind zum Regieren, die andern zum Dienen geboren.»

Soweit so ungut. Und soweit so präzis und historisch durch Quellen belegt. Ich hatte den Herrliberger Welterklärer und hemdsärmligen Milliardär dann in meinem Gastbeitrag durch Mutmassungen herausgefordert, wie er in seiner Rede zum «Bärzelistag» mit dieser unangenehmen Wahrheit umgehen würde. Drei Reaktions-Varianten hatte ich aufgezeigt: «Man darf von heute aus nicht über damals urteilen.» / «Die Linken wollen einen verdienstvollen Pionier in den Schmutz ziehen.» / Ignorieren.

Blocher und die Sklaverei

Den ersten Teil des Referats, denjenigen über Jakob Stutz, den «Ulrich Bräker des Zürcher Oberlandes», den Volksdichter und Zeitzeugen der Industrialisierung, fand ich – ich gebe es zu ­– interessant, kenntnisreich und unterhaltend. Als Blocher dann auf Guyer-Zeller und seine Reise in die Südstaaten zu reden kam, wurde ich nervös.

Blocher machte zwar einen interessanten Vergleich zwischen Guyer-Zeller und sich selbst: Guyer-Zeller habe in den Südstaaten gestaunt, dass die Sklaven «freundlich und wohlauf» waren, so wie er selbst in China gestaunt habe, dass es den Chinesen gar nicht so schlecht ging und sie nicht «verbittert», sondern «freundlich» gewesen seien. Aber weiter erwähnte er die positive Würdigung der Sklaverei durch Guyer-Zeller nicht. Schon begann ich, mich damit abzufinden, dass er die dritte Reaktions-Variante gewählt hatte: ignorieren.

Aber am Schluss des Teils über Guyer-Zeller wich der «Volkstribun» («Der Zürcher Oberländer») dann von seinem Manuskript ab. Da habe «ein linker Historiker» in einem Artikel geschrieben, Guyer-Zeller hätte von der Schweiz aus gegen die Sklaverei kämpfen sollen (Lüge Nr. 1). Er kenne diesen linken Historiker (Lüge Nr. 2). Das sei einer, der finde, «die einzige koloniale Macht der Welt, die es gebe, sei die Schweiz». (Lüge Nr. 3).

Hörnli und Ghaggets

So kommt es halt heraus, wenn Christoph Blocher präzise Aussagen über historische Fakten durch seinen Fleischwolf dreht. Bevor dann der traditionelle Imbiss serviert wurde (offeriert samt Öpfelmues natürlich von Christoph Blocher) und bevor die Wägitaler Treichler in den Saal einzogen, machte ich mich auf den Heimweg.

In den Ohren hatte ich noch den Applaus von jenen tausend Leuten, die – wie ich – zusammen mit Blocher alt und grau geworden waren. Blocher hatte ihn rhetorisch geschickt geplant und im richtigen Timing ausgelöst, als er sagte: «Dann können Sie dann diesem Mittelschullehrer sagen: Woher hast du denn den Lohn? Also, du hast den Lohn auch von den Steuern, die ich zahle. Und du sagst auch, das sei schlimm, unsere industrielle Tätigkeit… Aber sie haben noch nie etwas zurückgeschickt von diesem Lohn.»

Die Berchtoldstags-Rede findet sich auf der Webseite von Christoph Blocher sowohl als Film als auch als Text (PDF). Sie dauert etwa eineinhalb Stunden und lohnt sich u.a. wegen der Darstellung von Jakob Stutz. Für linke Historiker und die historisch bewusste Linke scheint sie mir wegen dem dritten Teil zu Robert Grimm (ab Minute 53:40) geradezu ein Muss, weil sie eine Ahnung davon vermittelt, wie die Debatte über die Bedeutung des Landesstreiks vom November 1918 im Jahre 2018 im schlechtesten Fall etwa aussehen könnte.