, 8. März 2023
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Beziehung ist Musik ist Improvisation

Scheiss auf Konventionen: Shizuko und Toshio Orimo haben immer gemacht, was sie wollten, als Künstler:innen und im Privatleben. Thomas Lüchinger porträtiert das Paar in seinem neuen Dokfilm Sound and Silence. Am Freitag ist die Premiere im Kinok.  

Shizuko und Toshio unterwegs zum letzten Konzert im «Bitches Brew». (Bilder: Filmstills)

Aktivismus und Sinnhaftigkeit, aber auch Altern und Sterben: Solche existenziellen Motive ziehen sich durch das Schaffen des Ostschweizer Filmemachers Thomas Lüchinger. Auch in seinem jüngsten Werk. Im Dokfilm Sound and Silence zeigt er ein Künstlerpaar, zwei selbsternannte Seelenverwandte, die zusammen alt geworden sind, ohne alt zu werden. Langsamer sind sie vielleicht geworden, weniger laut und umtriebig, aber sie sind auch mit bald 80 noch beneidenswert schaffensfreudig, aktivistisch und neugierig geblieben.

Shizuko (*1944) und Toshio (*1947) Orimo sprengten Konventionen, nicht nur jene der traditionsgeprägten japanischen Gesellschaft. In den 70er- und 80er-Jahren schlug das Improvisationsduo hohe Wellen mit seinem wilden Mix aus Punk, Jazz und elektronischer Musik. Als Voice-Artistin schrie sich Shizuko förmlich die Seele aus dem Leib, flankiert von Multiinstrumentalist Toshio, der sich im Film als der eher «weibliche und sanfte» Part bezeichnet.

Er habe die temperamentvolle Shizuko oft extra provoziert, damit sie während der Performance umso mehr explodiere, erzählt Toshio mit einem Lachen. Nicht selten wurden ihre Sessions auch als anstössig empfunden, als zu vulgär, zu sexuell aufgeladen. Shizuko schmunzelt bis heute darüber. «Wir hatten nie Geld», sagt sie augenzwinkernd. «Armut ist zwar keine Ausrede, aber so blieb halt Sex unser Hobby.»

Auch mit ihrem Lebensstil haben die Orimos polarisiert. Jahrelang war sie als Aktivistin auf der Strasse und er als Hausmann daheim. «Die gesellschaftlichen Probleme haben mich eben mehr gekümmert», erklärt Shizuko.

Toshio und Shizuko an einer Friedensedemo.

Für Sohn Sabu, 1990 geboren, war das ein Glück. Wenn er von der Schule kam, waren meist beide Elternteile daheim. Auch er macht Musik, spielt die traditionelle japanische Bambusflöte Shakuhachi, improvisiert gemeinsam mit seinen Eltern. «Vater hatte die Ideen, Mutter setzte sie um», sagt er einmal über die künstlerischen Prozesse seiner Eltern. Heute sind ihre Klänge eher meditativ.

10. März, 19 Uhr: Premiere in Anwesenheit des Regisseurs Thomas Lüchinger. Das Gespräch führt Anya Schutzbach, Japanologin und Leiterin des Literaturhaus St.Gallen.

kinok.ch

Mit Materialismus oder Kommerzialisierung konnten die Orimos noch nie etwas anfangen, genauso wenig wie mit traditionellen Geschlechterbildern. Diese Überzeugungen durchdringen den Film. Und die tiefe Zuneigung, die sie füreinander empfinden. Thomas Lüchinger porträtiert das freigeistige Paar mit ruhigen Bildern in Schwarzweiss, lediglich die Rückblenden sind in Farbe. Er lässt sie zurückblicken auf ihre Anfänge als Paar und als Künstler:innen, auf ihre gemeinsamen Entwicklungen und auf ihren Aktivismus, der bis heute ungebrochen ist.

Manchmal kommt Lüchinger schmerzlich nahe heran. Das ist nicht selbstverständlich angesichts der holprigen Entstehungsgeschichte des Films. Nach den ersten Dreharbeiten erkrankte Shizuko schwer und das Projekt stand auf der Kippe. Dann kam Corona und Lüchinger konnte nicht mehr reisen. Dass der Film trotzdem fertiggestellt werden konnte, ist auch Roger Walch zu verdanken, der für Bild und Ton mitverantwortlich war und Lüchinger einige Türen in Japan geöffnet hat. Der ehemalige Saitenredaktor und Regisseur ist vor 25 Jahren nach Japan ausgewandert (mehr von ihm im Februarheft von Saiten).

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