Bei sich die Wörter
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Jahrzehnte lang hat man Christian Mägerle mit, neben und unter seiner Leselampe erleben können. Sie hatte ihren Standort in Mägerles Wohnung «öber em Bäumli», in der Bücherstube, deren Fenster über die St.Galler Schmiedgasse weg Richtung Klosterplatz schauen. Wann immer Mägerle Gäste zur Lesung in die Kellerbühne geladen und dort zum Gespräch willkommen geheissen hat, stand die Lampe auf der Bühne beim Gastgeber-Tischchen und tat mit drei milden Scheinwerfern Dienst. Dutzende Male. Hundert Geladene. Früher dreivierfünf Zeitgenossen am selben Abend. Voraussetzung, sie hatten Belletristisches geschrieben und waren willens, darüber Auskunft zu geben.
Was des Wortes ist
Nach dem Übergang von der Alten zur Neuen Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur (GdSL) wechselte Mägerles Lampe in den Ruhestand. Beiden, dem Eigentümer und der verchromten Stange mit Tellerfuss und den drei Spots, mutete man ein längerhin geruhsames Dasein zu. Seit Ende Mai weilte nur noch eins von beiden in der Bücherstube «öber em Bäumli».
Vor drei Jahren, November 2011, haben Freunde (Butz, Hochuli, Ledergerber, Stöckli, Überschlag) und hat die Stadt St.Gallen Christian Mägerle gewürdigt: unsererseits – aus Anlass seines 65. Geburtstages – mit dem Druck Was des Wortes ist und mit einer brahmsverzierten Feierstunde; von Seiten der Stadt mit Verleihung eines Ehrenpreises – zu verstehen sowohl als Danksumme für kulturelle Verdienste wie auch als Ermunterungsgeld für fernere Literaturschöpfung und -vermittlung. Mägerle schien da noch unermüdbar.
Vor bald fünf Monaten, Sonntagnachmittag, den 25. Mai, zwischen 16 und 19 Uhr, ist Christian Mägerle aus dem Stadtbild verschwunden. Achtundsechzigjährig. Und Tage darauf – keiner seiner Freunde hat davon gewusst – ist er vollends zum Verschwinden gebracht worden. Man hat die Nachricht von seinem Tod erst am 25. Juni lesen können. Eine Täuschung – Mägerle war nicht in Wien gewesen. Eine Enttäuschung. Jedoch gute Ursache dafür, jetzt am 16. Oktober, an Mägerles Geburtstag seiner zu gedenken nah am Quartier, wo er aufgewachsen ist. Und bester Grund auch schon für den Plan, kommendes Jahr pünktlich an seinen Todestag zu erinnern.
Eigensinniger Leser
«Dem Worte geben, was des Wortes ist»: So lautete vor drei Jahren der Ganztitel der mustergültig gestalteten 2011er-Broschur. Sie enthält ein paar «Zuschreibungen» und einen Schölly-Aufsatz, hat in erster Linie aber einen Gedichte-Längsschnitt vorlegen, überhaupt Mägerles Schreiben und Wirken verzeichnen wollen. Auf der Einladungskarte zur Vernissage sowie auf der rückwärtigen Decke des Umschlags ist der Geehrte mit halbem, oberem Gesicht konterfeit: wach-skeptischer Blick durch Brillengläser über die Oberkante einer Lektüre hinweg in die Kamera. (Frappant ähnlich hatte sich der nobelpreisnominierte Jannis Ritsos porträtieren lassen: Titelfoto auf Heft 3/1994 der Zeitschrift «Akzente».)
So haben manche von uns Christian Mägerle erlebt. So hat er in der zweiten Hälfte seines Lebensganges die Wirklichkeit rezipiert: vor sich ein Buch, bei sich die Wörter, in Sinn und Gedächtnis die Vorlieben für den und für jene, welche/r Wörter zu brauchen wussten, und aussen vor die Welt.
Wie anders wärs zu machen gewesen, dass einer Jahrzehnte lang ständig mit Vorfahren (Vorschreibern), mit verabschiedeten Schriftstellerinnen, aber auch mit zeitgenössischen Lyrikern befasst gewesen und umgegangen ist? – Auf ein anderes Blatt zu schreiben wäre, wie eigensinnig Mägerle Partei genommen hat, ohne freilich anders dichtenden Literaten die Bedeutung abzugraben.
Dichten, Deuten, Dienen
Ich sehe als Glücksfall an, dass die Sankt Galler Verlagsgenossenschaft (VSG) und die GdSL sich mehr als ein Mal für Christian Mägerle und seine Poesie gerührt haben. Im Bücherzimmer «öber em Bäumli» haben sich von seinen Privatdrucken und Veröffentlichungen teils ein paar wenige, teils recht viele zurückgelegte Exemplare finden lassen. Wir bringen sie, wie das oben erwähnte Nobelheft, an die heutige Gedenkfeierstunde.
Auch damit glauben wir, suggerieren zu dürfen, da sei einer unvergessen – insbesondere seine heutzutage vielleicht selten gewordenen Dreifaltigkeit, bestehend aus Dichten, Deuten und Dienen.
Gedenkanlässe für Christian Mägerle: 16. Oktober 2014, 19 Uhr, Evangelisches Kirchgemeindehaus Lachen St.Gallen / 26. Mai 2015, 20 Uhr, Kultbau St.Gallen