, 31. Mai 2018
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Bastelei und Bildanalyse

Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger treiben ein verführerisches Spiel mit ikonischen Bildern der internationalen Fotogeschichte. Ihre Werke sind unter dem Titel «Double Take» ab 2. Juni in der Fotostiftung zu sehen.

Setting zu Making of «Paul Simonon at the New York Palladium, September 21st, 1979» (von Pennie Smith, 1979), 2016. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

Die verheerende Tsunamiwelle von 2004 im indischen Ozean? Watte. Die Wasseroberfläche des Loch Ness, aus der das Monster «Nessie» auftaucht: Klarsichtfolie. Und die vermeintliche Mondoberfläche, in die sich der geschichtsträchtige Fussabdruck Edwin Aldrins 1969 eingräbt: Zementpulver.

Making of «AS11-40-5878» (von Edwin Aldrin, 1969), 2014. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

Mithilfe solcher Materialien bauen die Zürcher Fotografen Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger Aufnahmen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben, als dreidimensionale Modelle nach und fotografieren diese anschliessend ab. Die Bilder zeigen nicht nur ein verblüffendes Abbild der ikonischen Vorlage, sondern auch das Drumherum, die Ateliersituation. Scheinbar wahllos liegengelassene Utensilien, Abfall und Notizen vermitteln den Eindruck, als sei die Arbeit gerade eben abgeschlossen worden. Über vierzig dieser raffinierten Spielereien sind in der Ausstellung «Double Take» in Winterthur zu sehen.

Making of «Tian’anmen» (by Stuart Franklin, 1989), 2013. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

Als forensische Detektive bezeichnen sich die beiden Künstler. Erst wird die Kamera fix positioniert, anschliessend bauen Cortis und Sonderegger die Szenerien vor der Linse nach – bis zu tausend digitale Bilder schiessen die beiden zum Abgleich von Modell und Vorlage, bevor sie mit dem Resultat zufrieden sind. Akribische Bildanalyse und Bastelei über mehrere Wochen oder gar Monate hinweg – und am Ende werden die Modelle zerstört.

Nichts für Eilige: Dekonstruktion und Rekonstruktion

Sascha Renner, Kurator der Ausstellung, erklärt seine Faszination für Cortis und Sondereggers Schaffen: «Die Arbeit ist raffiniert, humorvoll und tiefgründig zugleich. Sie lädt ein zu einem vergnüglichen Streifzug durch die Fotogeschichte, lässt uns aber auch immer wieder daran zweifeln, was unsere Augen sehen. Damit wecken diese Werke unsere Schaulust: Als Betrachter will man das Geheimnis des Making-ofs entschlüsseln, hinter die Illusion blicken.»

Making of «Le Grand Prix A.C.F.» (von Jacques-Henri Lartigue, 1913), 2016. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

Die Spurensuche in den grossformatigen Bildern fordert allerdings ihre Zeit. Man muss sich erst auf Zement und Leim, auf Unordnung und scheinbar unbedeutende Details einlassen können, bis Referenzen und Bezüge erkennbar werden. Beim Bild «Fall of Saigon» etwa ist neben Spraydosen, Materialresten und Klebern an den Wänden ein Zeitungsartikel zu sehen, auf dem das Original von 1975 abgedruckt ist. Am linken Bildrand sind weitere ikonisches Dokumente aus dem Vietnamkrieg erkennbar, darunter die weltbekannte Aufnahme des «Napalm Girl».

Manipulierbarkeit und Wahrheitsgehalt

In den Räumen der Fotostiftung werden die grossformatigen Bilder so gehängt, dass untereinander Dialoge entstehen; ergänzt werden sie mit kurzen Filmen sowie ausgewählten Utensilien. «Double Take» erweckt alte Ikonen zu neuem Leben, widmet sich aber auch weniger bekannten Werken. Die Serie sei eine Hommage an all jene Fotografen, deren Fotos sie verwendet haben – «auch an die, die nicht sonderlich berühmt sind und deren Fotografien vermutlich nicht als so ikonisch gelten wie die der anderen», so Adrian Sonderegger.

«Double Take» – 2. Juni bis 9. September

Sonderveranstaltungen: 17. Juni und 2. September: Künstlerführung mit Cortis und Sonderegger
27. Juni: Führung mit Gerhard Paul, zu Fragen von Authentizität und Ikonisierung.

Fotostiftung Winterthur

Kennengelernt haben sich die beiden an der Zürcher Hochschule der Künste, wo sie zusammen Fotografie studiert und 2006 abgeschlossen haben. An der Serie mit den ikonischen Bildern arbeitet das Duo seit 2012, die bereits an zahlreichen internationalen Festivals zu sehen war.

Warum werden sie nun auch in Winterthur gezeigt? Sascha Renner verweist dabei auf das Schlagwort des «Postfaktischen»: «Fotografien waren schon immer vielschichtige Bedeutungsträger, offen für Interpretation und Manipulation. Heute werden wir jedoch vermehrt mit Informationen konfrontiert, die schwer überprüfbar sind. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Fotografie stellt sich daher mit neuer Dringlichkeit. Das Werk von Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger lässt uns dies auf eindrückliche Weise erfahren.»

Dieser Artikel erschien zuerst im Winterthurer Kulturmagazin Coucou.

Making of «9/11» (von Tom Kaminski, 2001), 2013. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

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