Bandagiert im Schloss

Schloss Dottenwil bei Wittenbach eröffnet dieses Wochenende seine neue Ausstellung. Bárbara Nimke und Gabriela Falkner zeigen im Nebengebäude, einem früheren Kurhaus, Arbeiten rund um Verletzlichkeit und Gesundung.
Von  Peter Surber
Fragil geschützt: Arbeiten von Gabriela Falkner und Barbara Nimke im Untergeschoss. (Bilder: Su.)

Die Badewanne ist in die Jahre gekommen, aber ihr Inhalt sieht nach Jungbrunnen aus: verblühte Löwenzahn-Pusteblüten, eine an der anderen in ihrer weissen Kugelpracht. Darin zu baden, noch dazu mit Blick über die Wiesen rund ums Schloss Richtung Alpstein, müsste die reinste Wohligkeit sein.

Gebadet worden sei in dem Haus tatsächlich einst, sagt Bárbara Nimke,  zusammen mit Gabriela Falkner Schöpferin der poetischen Wellness-Installation. Das Nebengebäude von Schloss Dottenwil war anfangs des 19. Jahrhunderts als Kurhaus errichtet worden und machte eine Zeitlang mit Molkenkuren Furore.

Jetzt sind Parterre und Untergeschoss für einige Wochen bis Ende September zum Kunstort umfunktioniert – mit Arbeiten, die so fragil wie die Blüten in der Badewanne Fragen rund um Gesundheit und Krankheit aufwerfen.

Der Riss zur Vollendung

Zum Beispiel mit Bandagen: Gabriela Falkner umwickelt mit ihnen im Kellergeschoss gleich eine ganze Zwischenwand. Klammern halten die Bänder zusammen und vermitteln ein allerdings zwiespältiges Sicherheitsgefühl, so doppelsinnig wie die Bandage selber: Sie verbindet, schützt und macht zugleich sichtbar, dass etwas lädiert ist.

Bandagen umwickeln auch eine Säule, sie schirmen als Vorhang ein Fenster ab oder finden sich in den Bilderrahmen wieder, die im Flur dutzendweise in unterschiedlichen Grössen die Wand füllen und dazu einladen, genau hinzuschauen: Hier ist ein Mauerschaden eingerahmt, da finden sich Sätze vom Gesundsein, dort ein Erinnerungsobjekt von früher, ein Stück Stacheldraht, ein Seifenhalter. Ein Kuriositätenkabinett, in das Gabriela Falkner eigene und fremde Schmerz- und Heil-Erinnerungen eingefügt hat mit einem teils bissigen Humor.

Im Raum neben der Badewanne laden Porzellantassen zum Kaffeekränzchen. Bloss haben sie allesamt einen Schaden: einen Knick, Risse, Verformungen. Aus einer Tasse wächst ein kristallener Pelz aus Salzkristallen. Anderswo fehlt die Lasur. Für Bárbara Nimke steckt in diesem Arrangement der Appell ans Soziale, daran, sich Zeit füreinander zu nehmen.

Ihre Porzellantassen knüpften zudem an das japanische Konzept des Wabi-Sabi an, wonach ein Fehler, eine Beschädigung, ein Riss, eine Narbe Dinge und Menschen erst eigentlich vollendet machen.

Klingt tröstlich für uns menschliche Mängelwesen. Bis uns, beim Gang die Treppe hinunter, unvermittelt das eigene Gesicht entgegenschaut aus mehreren Spiegeln, begleitet von kurzen Sätzen. «Wie geht es mir? Am liebsten gut» grinst einer der Spiegel, ein anderer: «Wie geht es dir? Oh danke, es geht mir.» Ertappt geht man weiter.

Verlieren und wieder aufstehen

Die Erfahrung der Pandemie hat das Ausstellungsthema unübersehbar mitinspiriert. In einem Raum liegt eine Maske, filigran aus Porzellan wie die ebenfalls porzellanenen, zusammengeknüllten Papiere im Untergeschoss. Nebenan schwanken Bárbara Nimkes vier fast mannshohe Figuren aus Gips namens «Pendula» – kippen zur Seite, aber kippen nicht um, sondern pendeln immer wieder zur Mitte. Halten durch. Bleiben aufrecht. Aber scheinen nicht ganz zu wissen, wer sie sind.

Im Raum davor erinnert Gabriela Falkners überdimensioniertes, auf dem Boden ausgelegtes Leiterlispiel an eine andere Pendelbewegung: an das Kinder-Glück des Gewinnens und den Kinder-Ärger beim immer wieder Zurückgeworfenwerden. Das Spielbrett ist umgeben von einem Schindelschirm aus Papier. Er schützt und hält auf Distanz.

Gabriela Falkner und Barbara Nimke – «Ordinary Magic»:
14. August bis 26. September, Schloss Dottenwil

Open Day am 14. August, 14 bis 20 Uhr

dottenwil.ch

Gewitzt und mit grosser Ernsthaftigkeit, aber ohne moralischen Zeigefinger lenken die beiden Künstlerinnen Raum für Raum den Blick auf Fragen nach dem gelingenden Leben und auf all die biographischen Havarien, die dem Gelingen im Weg stehen. Ein klinisches Weiss ist dabei die Grundfarbe der ganzen Ausstellung, das Weiss der Bandagen, der Wände, des Papiers, des Porzellans.

Die Themen schälten sich über lange Zeit gemeinsam heraus, die Werke entstanden durchwegs ortsbezogen. Bei allen Unterschieden sprechen sie eine gemeinsame Sprache, Frucht früherer kollektiver Projekte, unter anderem im St.Galler Kulturkonsulat, der beiden in Herisau lebenden Künstlerinnen.

Hart und zart

Mit ihrer Porzellankunst zaubert Nimke ein weiteres Mal zuhinterst im Keller. Blumengebinde baumeln von der Decke, werfen ihre Schatten auf die weisse Wand. Berühren verboten, bestaunen erlaubt: Jedes Blatt, jeder umgeknickte Zweig, jede Blüte und jede Faser ist mit handwerklicher Meisterschaft in Form gebrannt, wirkt so hart wie zart und erzählt vielleicht vom unbeschädigbaren Innersten der pflanzlichen und menschlichen Wesen.

«Widerstandskraft» sei für sie das entscheidende Stichwort und Ziel – verstärkt noch durch die Pandemie-Erfahrung, sagt Bárbara Nimke beim Rundgang.

In einem der Bilderrahmen steht dazu ein Satz der amerikanischen Resilienzforscherin Ann Masten: Das «Talent, sich in schwierigen Zeiten seelisch zu behaupten», nennt sie «ordinary magic – ganz normale Zauberei». Diese Magie hat der Ausstellung auch den Titel gegeben.