Bald weniger Kultur im Tagblatt?

Das Tagblatt wird umgebaut zur Zwei-Bund-Zeitung. Davon betroffen ist auch die Kulturberichterstattung – vermutlich. Informiert wird offiziell noch nicht.
Von  Peter Surber

Heute ist der Aufbau der Stadtausgabe und aller Regionalausgaben des St.Galler Tagblatts so: vier Mantelbünde (Ausland/Inland/Schauplatz, Focus, Sport/Wirtschaft und Ostschweiz) und ein unterschiedlich grosser Lokalteil als fünfter, manchmal auch sechster Bund.

Ab 7. Juli sieht die Zeitung so aus: zwei Mantelbünde und der Lokalteil als dritter Bund.

Eine einschneidende Änderung – auch wenn im Mantel, wie Chefredaktor Philipp Landmark auf Anfrage sagt, «sinngemäss» weiterhin dasselbe Angebot wie bisher enthalten sein soll. Der Aufbau dürfte dann etwa so aussehen: Im ersten Bund findet man Ausland-, Inland- und Wirtschaft sowie den Sport, im zweiten Bund die Ostschweiz-Seiten (samt Frontseite) sowie im Innern die bisherigen Focus-Inhalte wie Kultur, Wissenschaft und Lifestyle.

Grund: der Inseraterückgang

Auslöser für diesen Umbau ist der Inseraterückgang, bestätigt Landmark. In doppelter Hinsicht: Weniger Inserate, das bedeute zum einen weniger Material zum Füllen der vier Bünde und zum andern weniger Einnahmen. «Darauf reagieren wir mit einer gewissen Straffung des Angebots.» Als «Notlösung» will Landmark den Umbau aber nicht sehen – zwei solid gefüllte Zeitungsbünde seien in der Anmutung jedenfalls attraktiver als vier dünne Bünde.

Dennoch ist mit Widerstand zu rechnen. Leserinnen und Leser sind erfahrungsgemäss insofern konservativ, als sie die Zeitung genau so wollen, wie sie bis jetzt war, und Änderungen grundsätzlich als Verschlechterungen wahrnehmen.

Umso erstaunlicher ist es, dass das Tagblatt bereits ab 7. Juli (Ferienanfang) in neuer Gestalt erscheinen soll, die Neuerungen aber erst Mitte Juni kommuniziert werden. Die Begründung von Chefredaktor Landmark: «Wir sind noch am Erarbeiten zahlreicher Details. Erst wenn das definitive Konzept steht, wollen wir damit an die Öffentlichkeit.»

Regionkultur statt Stadtkultur?

Zu diesen Details gehören gemäss den noch internen Plänen die Kulturseiten. Sollten die Befürchtungen eintreffen, so droht in verschiedener Hinsicht eine Verschlechterung der Kultur-Berichterstattung im Blatt.

Zum einen: Focus verliert seine Bund-Aufschlagseite, damit haben auch die häufigen Kulturthemen auf der Focus-Startseite künftig einen weniger prominenten Platz.

Zum zweiten: Die Seite «Zoom» dürfte verschwinden. Sie war explizit für ein junges Lesepublikum gedacht, bewegte sich zwar oft im Seichten, war aber immer mal wieder auch für eine Überraschung gut – Geniestreiche wie der halbernst angelegte und mit Witz verschriebene Bier-Blindtest in den «Zoom»-Anfängen blieben allerdings selten.

Zum dritten und vor allem: Zur Diskussion steht, die heutigen lokalen Kulturseiten in den beiden grössten Kopfblättern – «St.Galler Kultur» und «Kultur Thurgau» – zu streichen und durch eine Seite «Regionkultur» im Mantelteil zu ersetzen.

Das wäre ein Jammer. Warum?

Kulturelle Humuspflege

Die St.Galler Kultur, im Jargon «Stadtkultur» genannt, und die Thurgauer Kulturseite verkörpern das, was man gerne die «Kernkompetenz» einer Regionalzeitung nennt: Sie sind nah beim Publikum und bei den kulturellen Akteuren. Sie widerspiegeln das tägliche Kulturgeschehen, bieten Vorschauen und Termine, Interviews und Kritiken. Sie sind, mit zwei Worten, verlässlich und informiert.

Diese Woche zum Beispiel war auf «St.Galler Kultur» ein umfangreiches Porträt der Tänzerin Beatrice im Obersteg zu lesen, wurden die neuen Ausstellungen in der Galerie Paul Hafner und im Nextex besichtigt, Simon Enzlers «Dernière» und das bevorstehende Programm von «Musig of de Gass» verhandelt usw. Keine Weltsensationen – aber kulturelle Humuspflege und Orientierungshilfe fürs Publikum. Hier haben die kleineren und mittleren Kultur-Anlässe ihren Platz, die nur eine Lokalzeitung – wer sonst? – wahrnehmen kann.

So war es denn auch gedacht, 1998, als unter Chefredaktor Gottlieb F.Höpli die Seite erfunden wurde: Statt überall verstreut zu sein über die Lokalseiten, erhielt die städtische Kultur ihren festen Platz und eine eigene, professionelle Redaktion. Und gab damit ihrerseits der Hauptstadt-Zeitung ein stärkeres kulturelles Profil.

Alles egal?

Eine «Regionkultur» mit dem Blick auf die ganze Ostschweiz samt angrenzendem Ausland mag attraktiv sein – aber diesen kulturellen «service public» wird sie nicht mehr leisten können.

Egal? Oder doch nicht? Grund zum Protest, bei den Kulturschaffenden, beim Kulturpublikum in der Stadt und im Thurgau? Was ist ihnen, was ist Ihnen die lokale Kulturberichterstattung wert?

Höchste Zeit für eine Petition «Rettet die Stadtkultur».