, 9. Januar 2020
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Bäumler ist angekommen

Ein bayrischer Herrenausstatter sammelt ausgestopfte Tiere, die er nicht selten eigenhändig erlegt hat. Ausserdem hochkarätige Kunst. Seit Anfang Mai präsentiert der Patron die millionenschwere Sammlung in seiner «Arche Noah» in Hohenems.

«Wir haben Hirsche alt werden und vererben lassen»: Hans Bäumler (80) neben Johann (16†), einem Hirsch aus dem eigenen Revier. (Bild: Philipp Steurer / Vorarlberger Nachrichten)

«Sie haben Glück, das wird mein allerletztes Interview, das ich gebe», sagt Hans Bäumler zur Begrüssung in seinem Doppelmuseum, einer eigentümlichen Mischung aus Kunst- und Naturmuseum. Der 80-Jährige steht im Eingangsbereich seiner «Arche Noah» im Gewerbepark von Hohenems, wo ihn eine wackere Gazelle aus Bronze überragt. Die Italiener hatten sie 1939 an der Weltausstellung in New York ausgestellt.

Besuche der «Arche Noah» sind nur auf Anmeldung jeden ersten Freitag im Monat von 10.30 bis 12 Uhr oder von 13 bis 14.30 Uhr möglich.

arche-noah-museum.at

Zufrieden lässt Bäumler seinen Blick umherschweifen, über die verglaste Abtrennung der Naturabteilung hin zum gepanzerten, heute für den Besuch geöffneten Eingang zur Kunstsammlung. «Ich bin angekommen», wird Bäumler an diesem Nachmittag immer wieder sagen. Und: «Was kann ich mehr machen als zu präsentieren, was ich habe?» Sogar Prinz Philipp, passionierter Kunstsammler und jüngerer Bruder des regierenden Liechtensteiner Fürsten, soll über Bäumlers Sammlung gestaunt haben: «Unglaublich, was Sie zusammengetragen haben.»

Hans Bäumler, der Textilfabrikant aus Ingolstadt, gebürtiger Mainzer, lebt meist in Wallgau bei Garmisch-Partenkirchen in der Nachbarschaft von Ex-Biathlon-Star Magdalena Neuner, ist leidenschaftlicher Jäger und Skifahrer auf der Zugspitze oder am Arlberg (heute etwas weniger), besitzt ein Stück Wald, über hundert Hektar. 1978 verlieh ihm Franz Josef Strauss den Bayerischen Verdienstorden. Der damals 49-Jährige war als Beiratsmitglied der Hypobank und der Gerling-Versicherung, als Mitgründer zweier Golfclubs, als Honorarkonsul des Königreichs Marokko für den Freistaat Bayern – wie schon sein Vater vor ihm – und als angehender Erbe der Bäumler’schen Textilunternehmung wohl einer der Jüngsten, die mit dem blauweissen Ehrenkreuz «für her- vorragende Verdienste um den Freistaat Bayern und das bayerische Volk» gewürdigt wurden. «Man musste sich bewähren», sagt Bäumler.

Am Anfang die Münchner Schule

Als junger Berufstätiger in der Textilbranche war Bäumler viel unterwegs. Seine Wochenenden verbrachte er nicht selten auf Streifzügen durch die Antiquitätengeschäfte Europas. Er sammelte Bierkrüge, alte Bügeleisen, Stiche mit Darstellungen des Schneiderhandwerks. Immer mehr verlegte sich das Sammelinteresse aber auf Gemälde, nicht zuletzt aufgrund einiger Stücke aus der Sammlung seines Vaters Hans Bäumler senior. Die alpenländische Malerei des 19. Jahrhunderts, Biedermeier und die Münchner Schule mit ihren naturalistischen Landschaften und anekdotenhaften Darstellungen standen zunächst im Vordergrund: Hans Bäumler soll über die drittgrösste Carl Spitzweg-Sammlung verfügen. Daneben finden sich Werke von Heinrich Bürkel und Heinrich von Zügel.

In den Nullerjahren («als die Franzosen noch erschwinglich waren») kamen die Impressionisten und einige Expressionisten dazu, vor allem die französischen und deutsche, aber auch russische und österreichische. Klingende Namen: Bonnard, Boudin, Renoir, Gauguin, Moret, Monet, Manet, Cézanne, Liebermann, Corinth, Degas, Pechstein, Nolde, von Jawlensky – und am Schluss der Ausstellung hängt, als fast beiläufiger Exkurs in den Kubismus und die Moderne, ein Picasso: Pichet et Bougeoir von 1945.

Besonders prominent vertreten mit insgesamt fünf Gemälden ist Pierre-Auguste Renoir, der Pariser Maler, der die Schönheit auf seiner lebenslangen Suche vor allem in Frauenbildern fand. Bäumlers Lieblingswerk stammt aus Renoirs Pinsel, das Portrait Mlle Marthe le Cœur (1873). Das Mädchen in Öl auf Leinwand schaut dem Betrachter mit wachem Blick direkt in die Augen. «Da entsteht sofort ein Dialog», sagt Bäumler. Sowohl dieses Bild als auch Corinths Bildnis der Gattin des Künstlers (1907) hingen jahrelang in seinem Schlafzimmer.

Hing lange in Bäumlers Schlafzimmer: Pierre-Auguste Renoir, Portrait Mademoiselle Marthe Le Coeur, 1873.

Es könnte einem schwindlig werden im abgedunkelten Kunstraum der «Arche Noah», in dem die farbenfrohen Gemälde an dunklen Wänden hängen und von kleinen Spots so ausgeleuchtet werden, dass der Raum und die Menschen um die Bilder herum in den Hintergrund rücken. Wenn Bäumler durch seine Sammlung führt, lässt er sich allerdings nicht von der Innenarchitektur entrücken. Dann spricht er – stets diskret – über Auktionen, über kostspielige Sicherheitsvorkehrungen, über deutschen «Traditionsstau» in der Kunst um die vorletzte Jahrhundertwende oder darüber, dass die Münchner Schule heute nicht mehr so «in» sei wie noch vor 20 oder 30 Jahren, dafür wertebeständig.

Vom Familienfreund übers Ohr gehauen

Was man von einigen «Franzosen» in Bäumlers Sammlung nicht behaupten kann. Ein Name, den Hans Bäumler in diesem Zusammenhang nicht mehr gerne hört, ist ist einer, den Saiten seit Anfang 2022 auch nicht mehr nennen soll, da das Strafverfahren unter anderem wegen Betrugsvorwürfen gegen ihn mittlerweile «ohne Schuldspruch eingestellt» worden sei, wie uns seine Anwälte Ende 2021 mitgeteilt haben. Bäumler und dieser nicht mehr genannt werden wollende Spross eines bekannten Münchner Auktionshauses kennen sich gut. Bei dessen Vater ging Bäumler ein und aus. Der Junior war einst auch als Kurator der «Arche Noah» vorgesehen. Es sollte ganz anders kommen.

In der «Süddeutschen Zeitung» stiess Hans Bäumler 2011 auf eine Annonce: «Sammlung französischer Impressionisten von Privat zu verkaufen.» Der Junior riet, darauf zu reagieren. Rasch meldete sich ein Finanzberater aus dem Kanton Zug bei Bäumler. Die Kollektion seines Mandanten, der anonym bleiben wolle, befinde sich in Antwerpen und koste 22 Millionen Euro. Der Sohn des Auktionators informierte Bäumler, er habe recherchiert: Beim «Mandanten» handle es sich um einen Nachfahren des Kunstsammlers Van Louwen, und empfahl, die Bilder direkt über ihn als Mittelsmann zu beschaffen, um Provisionskosten zu sparen. Bäumler vertraute ihm und stellte ihm mehrere Millionen Euro zur Verfügung.

Die Geschichte endete vor Gericht. Der Vorwurf: Betrug im besonders schweren Fall. Die 13 Gemälde, die er aus der angeblichen Van-Louwen-Sammlung besorgen sollte, waren nur ein Bruchteil dessen wert, was er dafür in Rechnung gestellt hatte. Gemäss dem «Spiegel» soll der Schaden mindestens 4,4 Millionen Euro betragen. Bäumler geht von weit mehr aus, auch weil gemäss seiner Aussage zusätzliche Konvolute aus anderen Beständen betroffen seien. Es stellte sich heraus, dass es den Kunstsammler Van Louwen nie gegeben hat. Und Auftraggeber der Annonce war nicht der «Finanzberater aus Zug», ein persönlicher Freund des Junior-Auktionators, sondern dieser selbst.

Selbiger verzog sich zunächst in ein Chalet in Gstaad. Später lebte er mit Jacht, Rolls Royce und Schirmchendrink an der Côte d’Azur. Während er sich auf sozialen Medien als Lebemann inszenierte, machten sich die Münchner Staatsanwaltschaft und Privatdetektive an die Ermittlungen. 2016 wurde er von der französischen Polizei festgenommen und sass einige Monate in Haft, bevor er nach Deutschland ausgeliefert wurde.

Zu einem straf- oder zivilrechtlichen Gerichtsurteil ist es aber lange nicht gekommen – mittlerweile sei aber das Strafverfahren vom Landgericht München «ohne Schuldspruch eingestellt» worden, wie Saiten mitgeteilt wurde. Ermittlungen und Verhandlungen hatten sich hingezogen. Auch die Schweizer Behörden hatten beweiskräftige Untersuchungen angestrengt. Die deutschen Kollegen interessierten sich allerdings wenig dafür. Die Münchner Richter rügten die Arbeit der Münchner Staatsanwälte in einem immer unübersichtlicher werdenden Fall.

«Am Ende machte das Strafgericht kurzerhand einen Deal mit ihm. Ein Krimi hoch drei!», sagt Bäumler, der sich von Justiz und Politik im Stich gelassen fühlte. Zudem begann er, sich ernstlich Sorgen um seine Gesundheit zu machen. «Weiter zu prozessieren, wäre aktive Sterbehilfe gewesen», sagt er heute. Man einigte sich daher auch auf der zivilrechtlichen Ebene aussergerichtlich. Der Sohn des Auktionators soll «eine hohe Summe» bezahlt haben. Die 13 Gemälde – darunter Werke von Jawlensky und Toulouse-Lautrec – befinden sich heute im Museum in Hohenems.

Auch die Suche nach einem Museumsstandort der «Arche Noah» verlief nicht reibungslos. Das Bäumler-Museum hätte zuerst im heimischen Ingolstadt und später in Wallgau gebaut werden sollen. Für den Standort Ingolstadt hat sich etwa Horst Seehofer eingesetzt, mit dem Bäumler zeitweise an der Parkstrasse aufgewachsen und später zusammen im Rotary Club war. In Wallgau scheiterte ein kühner Neubau in Schiffsform am Widerstand eines Nachbarn – geplant waren Investitionen über acht bis zehn Millionen Euro. Schliesslich entschied sich der ehemalige Textilunternehmer, sein Doppelmuseum im Gewerbepark Hohenems einzurichten, wo früher über 700 Angestellte Bäumler-Anzüge fertigten.

Westfälischer Industrieadel

Vom Herrenausstatter Bäumler, der einst über 4000 Menschen beschäftigte, findet sich heute einzig noch die Abteilung Design und Verwaltung in Ingolstadt. Schon Hans Bäumlers Grossvater hatte unter diesem Namen eine Mantelfabrik in München betrieben, die in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 allerdings Konkurs ging und in die Hände der Leinewebers aus Bielefeld wechselte, zu denen man ebenso familiäre und freundschaftliche Beziehungen pflegte wie etwa zu den Louisoders, einer weiteren deutschen Textilerfamilie.

Der Vater von Hans Bäumler, Hans Bäumler senior, wurde mit 17 Jahren Vollwaise. 1935 gründete er das Textilunternehmen mithilfe eines Darlehens der Industriellenfamilie Miele, mit der die Bäumlers über die Einheirat von Charlotte Töpfer, der Schwägerin von Hans Bäumler senior, ebenfalls familiär verbandelt war.

Der klassische Herrenausstatter gedieh in den Nachkriegsjahren prächtig. In den 1970er-Jahren war Bäumler grösser als Hugo Boss. Viel wurde auch für Lizenzmarken genäht: Balmain, Feraud, Dior. Eine der umsatzstärksten Lizenzen war Yves Saint Laurent. Hohe Qualität sowie Produktion in Deutschland und in Vorarlberg standen an erster Stelle. 1968 übernahm Hans Bäumler junior das Ruder. Ab 1989 zog er sich dann schrittweise aus dem Geschäft zurück. «Ich war zu 99 Prozent sicher, dass mein Schiff im sicheren Hafen angelangt war», sagt Bäumler.

Er und seine Nachfolger hatten aber einige Trends und Entwicklungen in der Textilbranche ausgeblendet. Die Konkurrenz liess längst in Osteuropa oder China produzieren. Die grossen Modehäuser holten ihre bisherigen Lizenzmarken wieder unter ihr Dach zurück, was die Umsätze bei Bäumler einbrechen liess.

Es gab in den vergangenen 25 Jahren einige Versuche, die Marke Bäumler zu modernisieren. Man wollte die «deutsche DNA der Marke mit Style und Coolness aufladen» à la Hugo Boss mit eigenen Schuh- und Parfumlinien, wie 2009 beispielsweise Sanjiv Singh sagte, der das Unternehmen einige Zeit leitete. Doch eine Neuausrichtung der Marke Bäumler wollte nicht recht gelingen. Aber sie überlebte. Am Standing des Klassikers hält man bis heute fest, jedoch ohne Hans Bäumler. Die letzten Anteile der Familienholding wurden 2005 an CB Equity Partners verkauft.

Was einmal gelebt hat

Rein finanziell gesehen müssen die Geschicke und der Fortbestand des Unternehmens Hans Bäumler nicht mehr kümmern. Die schmerzlichsten unternehmerischen Entscheidungen der 90er- und 00er-Jahre blieben ihm persönlich erspart. Mit dem Museum und den überteuerten «Franzosen» hatte Bäumler in seinem Ruhestand genug um die Ohren.

Bedeutend weniger Ärger bereiteten ihm da die Tiere, zumal die ausgestopften. Es sind teils spektakuläre Jagdtrophäen, die Hans Bäumler aus Bayern und anderen alpinen Gebieten, aber auch auf ausgedehnten Jagdreisen um den Globus zusammengetragen hat. Über die Hälfte sind Leihgaben von Freunden und Weidmannskameraden.

Ausschnitt aus der Afrikaabteilung der «Arche Noah» in Hohenems. (Bild: Philipp Steurer / Vorarlberger Nachrichten)

Die Naturabteilung der «Arche Noah» besteht grob aus drei Teilen: rechts Nördliches, in der Mitte Afrika, links Vögel, Schmetterlinge und Fossilien. Füchse, Dachse, Gämsen, Steinböcke, Marder, Hasen, Rehe, etliche kapitale Hirsche aus Bayern und anderen alpinen Gebieten. Eisbär, Elch und Wolf aus Alaska. Braunbären aus Rumänien und Kamtschatka. Argali- und Marco-Polo-Schafe aus der Mongolei. Büffel, Gazellen, Gepard, Strauss, Giraffe, Löwen, Hyänen, Warzenschwein aus Afrika. Ins Auge fallen insbesondere einige seltene Albinotiere. Die entomologischen und ornithologischen Präparate sind unzählig.

Die Natur, die Bäumler «in der Praxis intensiv erlebt» hat, sei gefährdet und müsse erhalten werden, sagt der Patron. Es gibt natürlich Kritiker, die die Nase rümpfen, weil hier tote Tiere unter dem Rubrum «Arche Noah» ausgestellt werden. «Die Generationen nach uns sollen sehen, was einmal auf der Erde gelebt hat», begründet Bäumler seine Tiersammlung. Man solle ja Optimist sein, er selber sei aber eher ein pragmatischer Realist. «Ich befürchte, dass sich der Mensch selber zerstört.» Hans Bäumler kommt ins Sinnieren: «Ist der freie Wille angetan, immer das Richtige zu entscheiden? Oder bräuchte es die Diktatur des Guten?» Auf die letzten Fragen liefert auch die «Arche Noah» von Hohenems keine Antworten. Immerhin: Bäumler ist angekommen.

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