Autobahnanschluss wieder unter Beschuss

«Zukunftsfähige Verkehrswege für die Entwicklung von Stadt und Region.» Dieser Titel war auf einer der Folien zu lesen, die das Bundesamt für Strassen (Astra), die Stadt St.Gallen und der Kanton St.Gallen Mitte November an der Infoveranstaltung zum geplanten Autobahnausbau präsentiert hatten. Anlass war der Beginn des Mitwirkungsverfahrens, bei dem sich die Bevölkerung zu den beiden neuen Anschlüssen im Güterbahnhofareal und in der Liebegg äussern kann.
Nun zogen die Gegner:innen, der Verein gegen den Autobahnanschluss am Güterbahnhof, nach und informierten ihrerseits darüber, welche Nachteile die Realisierung dieser Pläne mit sich bringen würde. Rund 100 Personen waren am Donnerstagabend in die Aula des Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrums (GBS) gekommen, um ihre Argumente zu hören.
Viele Argumente und Bestandteile des Projekts waren schon vorher bekannt, aber es gab durchaus auch Neues zu hören. So steht inzwischen fest, dass das östliche Ende des Güterbahnhofgebäudes, unter dem der Tunnelast zwischen dem unterirdischen Kreisel und der St.Leonhard-Brücke verlaufen soll, abgebrochen werden müsste.
Ein «Murks» nicht nur im Güterbahnhofareal
Der ganze Autobahnanschluss sei aufgrund der topografischen Verhältnisse ein «Murks», sagte Vorstandsmitglied Markus Tofalo. Und zwar nicht nur im Güterbahnhofareal selbst, sondern auch teilweise im bebauten Gebiet oberhalb des neuen Feldlitunnels, der von der Stadtautobahn zum Güterbahnhofareal führen soll. An der engsten Stelle, im Vonwil, betrage der Abstand zwischen der Tunneldecke und den Kellerböden der bestehenden Häuser gerade mal 8,5 Meter. Dort wäre also beispielsweise der Bau von Tiefgaragen oder Erdsonden nicht mehr möglich. Oder anders gesagt: Der Feldlitunnel würde auch in jenem Teil der Stadt die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten diktieren, wie es der Stephanshorntunnel bereits heute tut.
Auch das Argument der Befürworter:innen, wonach unterirdische Strassen neue oberirdische Nutzungen ermöglichen würden, treffe im Güterbahnhofareal – immerhin die grösste innerstädtische Entwicklungsfläche – nicht zu. Denn dort sei die Überdeckung des Tunnels nur rund einen Meter dünn. An jenen Stellen könnten also nicht einmal Bäume gepflanzt werden, da diese Tiefe für eine anständige Wurzel nicht ausreiche, sagte Tofalo.
Ein weiteres grosses Problem sei der Knoten auf der Südseite der St.Leohardbrücke (die um knapp 5,5 Meter verbreitert werden soll, weil es eine zusätzliche Fahrspur braucht). Dort, an den Toren zur Innenstadt, entstehe eine riesige Verkehrsfläche. Die derzeit von den Planern angedachte «Lösung» für die Velofahrer:innen und Fussgänger:innen sei dabei völlig ungenügend, kritisierte Tofalo. Und angesichts der Komplexität der unterschiedlichen Anforderungen, insbesondere jener des Autoverkehrs, ist nicht davon auszugehen, dass sich daran viel verbessern wird. Ganz zu schweigen vom Verkehr, der sich aus dem Autobahnanschluss direkt ins Stadtzentrum ergiessen würde.
Was sagen die Verkehrsmodelle genau aus?
Die Zahlen zur Verkehrsentwicklung präsentierte Stadtparlamentarier Marcel Baur (GLP). Die immer wieder präsentierten Verkehrsmodelle, das wichtigste Argument der Befüworter:innen, seien Augenwischerei. Ausserdem würden sie Widersprüche enthalten: In einer Grafik zeige der Bund für den Abschnitt zwischen der Lustmühle und Liebegg eine Verkehrsabnahme, während in einer anderen für den gleichen Abschnitt mit einer Zunahme zu rechnen sei.
Was interessant ist: Alle Prognosen sagen eine Abnahme des Verkehrs auf den städtischen Strassen beim Bau des neuen Autobahnanschlusses voraus. Diese Zahlen mögen sogar stimmen. Doch sie beziehen sich auf das Jahr 2040, also den geplanten Zeitpunkt der Eröffnung der neuen Autobahnanschlüsse. Dass die Situation zehn Jahre später ganz anders aussehen dürfte, wird geflissentlich verschwiegen. Es ist jedenfalls nicht anzunehmen, dass das Astra keine Prognosen für 2050 hat.
Betroffene Strassen schon vorher aufwerten
Stadtparlamentarier Christian Huber (Grüne) betonte, dass es – entgegen der Behauptung der Stadt – jetzt schon möglich wäre, die Teufener Strasse und die Oberstrasse, die vom Durchgangsverkehr zwischen dem Appenzellerland und dem Stadtzentrum beziehungsweise der Stadtautobahn besonders betroffen sind, umzugestalten. In Köniz sei dies beispielhaft an einer vielbefahrenen Strasse gelungen.
Der Stadtrat wird jedenfalls in den kommenden Monaten darlegen müssen, warum diese Aufwertung angeblich nicht früher erfolgen kann. Ein entsprechender Vorstoss wurde kürzlich eingereicht.
Erster Todesstoss schon 2024 möglich
Ruedi Blumer, Präsident des VCS, warb für das Referendum gegen die geplanten Autobahnausbauten in der Schweiz. Die sechs Projekte sollen insgesamt rund 5,3 Milliarden Franken verschlingen. Das Referendum komme zustande, sagte Blumer, «wir wollen aber nicht das Minimum von 50’000 Unterschriften erreichen, sondern möglichst viele, um ein deutliches Zeichen zu setzen». Die Volksabstimmung findet voraussichtlich schon am 9. Juni 2024 statt, bei einem Nein zu den Ausbauplänen würden alle sechs Projekte auf einmal beerdigt.
Ansonsten gibt es in St.Gallen mindestens eine weitere Volksabstimmung: Gemäss dem aktuellen Zeitplan scheint es realistisch, dass die Stimmberechtigten der Stadt St.Gallen bereits in zwei Jahren über das Projekt abstimmen können werden. Dass Kanton und Bund das Projekt bei einem Nein vorantreiben, gilt als nahezu ausgeschlossen. Falls doch, dürfte es 2028 zu einer Volksabstimmung im Kanton kommen.
Die Bevölkerung kann sich jedenfalls jetzt schon einbringen im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens, das bis zum 9. Januar läuft. Diese Rückmeldungen fliessen in die weitere Planung ein. Zum Umdenken in Bern dürften sie jedoch nicht führen. Denn wer im Jahr 2023 neue Autobahnanschlüsse – dazu noch am Rand des Stadtzentrums – als «zukunftsfähige Verkehrswege für die Entwicklung von Stadt und Region» propagiert, ist irgendwo in der Vergangenheit stehengeblieben.