Aus Versehen linksextrem
Das Lustigste an Leuten, die über queer-feministische Bestreben mötzeln, ist, wenn sie aus Versehen etwas sagen, was genausogut von einer queer-feministischen Person hätte kommen können. Lasst mich ein Beispiel machen. Pronomen sind ja die Wörter, die unter anderem zum Bezeichnen von Menschen und ihrem Geschlecht verwendet werden, mein Pronomen ist zum Beispiel «sie» und das Pronomen meines Bruders «er». Auf Deutsch verwenden viele nonbinäre Menschen – die also weder Frau noch Mann sind – keine Pronomen. Oft verwenden wir dann ihre Namen, zum Beispiel «Kim hat Kims Velo am Bahnhof vergessen».
Den Satz «ich habe keine Pronomen» höre ich also einerseits oft von nonbinären Menschen. Andererseits auch von Walters und Rolands: «Ich habe keine Pronomen!» Okay Ueli, ab jetzt verwende ich nur noch deinen Namen statt Pronomen.
Ähnlich läufts beim Verb «gendern». «Gendern» heisst ja der Vorgang, dass die deutsche Sprache oft Geschlecht benennt. Das passiert auch beim generischen Maskulinum: Wer «die Schauspieler» schreibt, gendert das Wort maskulin. «Schauspielerinnen» ist feminin gegendert. Und «Schauspieler:innen» ist vielfältig gegendert. Irgendwie hat sich aber der deutschsprachige Diskurs so entwickelt, dass «gendern» nur für Letzteres verwendet wird – als wäre das männliche Gendern nicht auch ein Gendern.
«Hören wir endlich auf, alles zu Gendern» ist eine Forderung, die einerseits von Feministinnen kommt. Andererseits, aus Versehen, auch von Ruedis und Marcos. Nur meinen die einen damit, dass unsere Kultur endlich nicht mehr allem ein Geschlecht zuweisen soll. Und die anderen, dass wir mit diesen Sonderzeichen aufhören müssen.
Wenn also Manuel, Franz und Thomas so schimpfen, darüber, dass es Pronomen gibt und gegendert wird, dann stelle ich sie mir gern in so queer-feministischen Spaces vor. Walter malt gerade im Garten des feministischen Streikhauses ein Transpi für die nächste Ni-Una-Menos-Demo. Nebendran sitzt Walter an seinem vollgestickerten Laptop und stellt die Playlist für die FLINTA-Rap-Afterparty zusammen. Auf dem Sitzsack in der Ecke sitzt Ueli, der gerade den verschlüsselten Reminder für die Antirep-Sitzung verschickt; auf seinem Shirt steht «All Cats Are Beautiful», und sein Pony ist sehr, sehr kurz. Währenddessen diskutieren Ruedi und Marco draussen bei ihrer dritten selbstgedrehten Zigarette, ob es noch als Boykott zählt, J.K. Rowlings neues Game illegal herunterzuladen. «No TERFs on our turf!», mischt sich da Manuel ein, der gerade erst angekommen ist auf seinem flitzigen Rennvelo voller Critical-Mass-Chläberli und Alleycat-Chärtli. Er kommt nur rasch vorbei, um die Flyer für die neue Bsetzi zu holen. Vielleicht noch ein, zwei Mate. Dann ist er wieder weg; er hat am Abend ein Treffen mit seinem Partner Franz und dessen zweitem Partner Marco.
Wenn ich jetzt wieder Nachrichten kriege, die mich darauf aufmerksam machen, wie fies es ist, dass ich diese Vornamen verwende: Die sind nicht von mir, das sind alles Namen von Kantonalpartei-Präsidenten derjenigen Partei, die gegen meine Existenz ankämpft. Denn hinter konservativem Pronomen-Mötzeln und rechtem Gender-Gejammer steht der Wille, patriarchale Strukturen aufrechtzuerhalten. Manche Feministinnen sagen nett «Feminismus nimmt niemandem was weg», und ich will das gern korrigieren: Mein Feminismus nimmt verdammt viel weg. Nur kurze Ponys, die dürfen alle tragen.
Anna Rosenwasser, 1990, wohnt in Zürich und ist freischaffende Journalistin. Sie schreibt seit April 2019 die «Nebenbei gay»-Kolumne von Saiten.