Dringend gesucht: Auftrittsmöglichkeiten

Die Illustrationen zu diesem Beitrag sind von Sofia Hintermann aus Zürich. 

Für viele Bands und Musiker:innen wird es immer schwieriger, an Konzerte zu kommen. Wegen des veränderten Ausgehverhaltens und gestiegener Kosten sind auch Konzertabsagen längst keine Ausnahmen mehr. Einige Konzertlokale stehen sogar vor dem Aus. 

AC/DC und Tay­lor Swift 2024, Ed Sheeran, Ima­gi­ne Dra­gons und Lin­kin Park 2025: Wenn gros­se Bands und Künst­ler:in­nen Kon­zer­te in der Schweiz spie­len, strö­men die Mas­sen in die Sta­di­en. Die Ti­ckets für die ge­nann­ten Kon­zer­te wa­ren je­weils nach we­ni­gen Mi­nu­ten aus­ver­kauft. Und das bei Prei­sen, die sich vie­le gar nicht leis­ten kön­nen (oder wol­len). Für die bei­den Kon­zer­te von Tay­lor Swift im Let­zi­grund (Ka­pa­zi­tät: fast 50’000) kos­te­ten die bil­ligs­ten Steh­plät­ze knapp 170 Fran­ken, für ei­nen Sitz­platz muss­te man rund 300 Fran­ken be­zah­len. Ih­re «Eras-Tour» mit 149 Kon­zer­ten zwi­schen März 2023 und De­zem­ber 2024 war mit ei­nem Ge­samt­um­satz von über 3 Mil­li­ar­den US-Dol­lar die er­folg­reichs­te Tour­nee al­ler Zei­ten.

Wäh­rend die Su­per­stars und Kon­zer­ne wie Live Na­ti­on oder CTS Even­tim, die sich auch in der Schweiz breit­ma­chen, den Ra­chen nicht voll­krie­gen kön­nen, nimmt die Hun­gers­not am an­de­ren En­de der Nah­rungs­ket­te zu. Vie­le klei­ne und mit­tel­gros­se Clubs und Kon­zert­lo­ka­le kämp­fen ums Über­le­ben. Erst recht, da sie sich seit der Co­ro­na­pan­de­mie mit neu­en Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert se­hen: schlep­pen­de Vor­ver­käu­fe, schlecht­ge­füll­te Lo­ka­le, sin­ken­de Ein­nah­men, stei­gen­de Kos­ten. Da vie­le Kon­zer­te nicht aus­ver­kauft sind, ent­schei­den die Leu­te viel kurz­fris­ti­ger, ob sie ein Kon­zert be­su­chen oder nicht. Das er­schwert die Plan­bar­keit für Ver­an­stal­ter:in­nen be­zie­hungs­wei­se er­höht das fi­nan­zi­el­le Ri­si­ko.

Das ver­än­der­te Aus­geh­ver­hal­ten be­trifft je­doch nicht nur Kon­zert­lo­ka­le, son­dern auch an­de­re Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen. So sag­te Mat­thi­as Pe­ter, Lei­ter der Kel­ler­büh­ne St.Gal­len, erst kürz­lich im Sai­ten-In­ter­view: «Die Leu­te kom­men spon­ta­ner, sie re­ser­vie­ren nicht so weit im Vor­aus. Frü­her wa­ren ei­ni­ge Vor­stel­lun­gen aus­ver­kauft, kaum hat­te der Vor­ver­kauf be­gon­nen. Das pas­siert jetzt auch bei be­kann­te­ren Na­men oft nicht mehr.»

Ein Wan­del mit vie­len Ur­sa­chen

Ei­ni­gen Kon­zert­lo­ka­len droht so­gar das Aus. Ein Bei­spiel da­für ist das Tap Tab in Schaff­hau­sen. Es be­fin­de sich «in ei­ner klei­nen, aber fei­nen fi­nan­zi­el­len Kri­se», schrieb das Kul­tur­zen­trum im Au­gust auf sei­nen Ka­nä­len. Um den Be­trieb bis zum Jah­res­en­de si­cher­stel­len zu kön­nen, lan­cier­te es ein Crowd­fun­ding für ei­nen «Über­gangs­bat­zen». Mit Er­folg: Aus den ur­sprüng­lich an­ge­streb­ten 10’000 Fran­ken wur­den schliess­lich über 50’000. Das ist mehr als der bis­he­ri­ge jähr­li­che Un­ter­stüt­zungs­bei­trag durch Kan­ton und Stadt von 45’000 Fran­ken (ab 2025 gilt ei­ne neue Leis­tungs­ver­ein­ba­rung).

Auch das Kraft­feld in Win­ter­thur sam­mel­te bis En­de No­vem­ber we­gen sei­ner «schwie­ri­gen fi­nan­zi­el­len La­ge» mit ei­nem Crowd­fun­ding Geld für sei­ne Ret­tung, eben- falls er­folg­reich: Um den Be­trieb län­ger­fris­tig si­cher­zu­stel­len, fehl­ten rund 150’000 Fran­ken, am En­de ka­men über 180’000 Fran­ken zu­sam­men. «In der Kul­tur­land­schaft ins­ge­samt und in der Club­sze­ne im Be­son­de­ren ist das Kraft­feld nicht der ein­zi­ge Be­trieb in Schwie­rig­kei­ten. Die Grün­de sind bei vie­len die­sel­ben: Ver­än­der­tes Aus­geh­ver­hal­ten, Teue­run­gen auf ver­schie­de­nen Ebe­nen und ge­stie­ge­ne Fix­kos­ten», heisst es auf der Crowd­fun­ding-Sei­te. Ähn­li­che Grün­de nann­te auch das Tap Tab für sei­ne fi­nan­zi­el­len Pro­ble­me: Ei­ner sei der Wan­del der Mu­sik­in­dus­trie. Die Ga­gen sei­en ge­stie­gen und die Tech­nik sei kom­ple­xer ge­wor­den. Auch der Auf­wand und die Kos­ten sei­en ge­stie­gen. Ein wei­te­rer Grund sei, dass der Kon­sum in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ste­tig ge­sun­ken sei, was sich im Bar­um­satz be­merk­bar ma­che. Die­ser tra­ge je­doch we­sent­lich zur Fi­nan­zie­rung des Ver­eins und des ge­sam­ten Pro­gramms bei.

Die­se Auf­lis­tung könn­te auch von je­dem an­de­ren Kon­zert­lo­kal kom­men, denn prak­tisch al­le kämp­fen mit den­sel­ben Pro­ble­men. Die Fol­ge: Ver­an­stal­ter:in­nen – ins­be­son­de­re sol­che oh­ne öf­fent­li­che Un­ter­stüt­zungs­gel­der – sind zu­rück­hal­ten­der beim Bu­chen von Bands, es gibt ver­mehrt auch Ab­sa­gen von ge­plan­ten Kon­zer­ten, wenn der Vor­ver­kauf zu schlecht läuft. Das heisst im Um­kehr­schluss: Für Mu­si­ker:in­nen und Bands wird es im­mer schwe­rer, an Auf­tritts­mög­lich­kei­ten zu kom­men. Und selbst wenn ein Gig be­stä­tigt ist, ha­ben sie nicht Ge­wiss­heit, auch wirk­lich auf­tre­ten zu kön­nen.

Es gibt re­gio­na­le Bands, de­nen kurz vor oder nach ei­nem aus­ver­kauf­ten «Heim­spiel» in St.Gal­len Kon­zer­te in Zü­rich we­gen zu we­nig ver­kauf­ter Ti­ckets ab­ge­sagt wur­den. So­gar die deut­sche In­die-In­sti­tu­ti­on To­co­tro­nic muss­te im Herbst 2022 ei­nen Teil ih­rer Tour ver­schie­ben: «Wir wol­len ganz ehr­lich sein: Im Au­gen­blick sind die Vor­ver­käu­fe zu schwach, als dass sich ei­ne Durch­füh­rung der Tour für die Clubs, die ört­li­chen Ver­an­stal­ter:in­nen, uns und un­se­re Crew ge­rech­net hät­te. Die Zei­ten sind wohl nicht da­nach, vie­le Künst­ler:in­nen ma­chen ge­ra­de ähn­lich schmerz­haf­te Er­fah­run­gen», teil­te sie da­mals mit.

«Ge­ra­de für jün­ge­re Mu­si­ker:in­nen und Bands ist es kom­ple­xer ge­wor­den»

Flo­ri­an Weiss kennt all die­se Pro­ble­me, und zwar aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven. Der St.Gal­ler ist seit rund 20 Jah­ren im Live­mu­sik­ge­schäft. Er ar­bei­te­te für die Kon­zert­ver­an­stal­ter So­fa Agen­cy und Good News. Heu­te ist er bei der Zür­cher Agen­tur Just Be­cau­se, die auch sel­ber Kon­zer­te ver­an­stal­tet, und Boo­ker un­ter an­de­rem der Ost­schwei­zer Bands Ca­ta­lyst, Vel­vet Two Stripes und The Gar­de­ner & The Tree. Er macht die Auf­bau­ar­beit, gleist de­ren Kon­zer­te oder Tour­neen auf, ver­han­delt die Ga­gen. «Ge­ra­de für jün­ge­re be­zie­hungs­wei­se neue­re Mu­si­ker:in­nen und Bands, die aus­ser­halb ih­rer Hei­mat­re­gi­on Kon­zer­te spie­len wol­len, ist es ei­ni­ges kom­ple­xer ge­wor­den», sagt Weiss.

Vie­len Lo­ca­ti­ons sei das Stamm­pu­bli­kum nach Co­ro­na weg­ge­bro­chen. Des­halb müss­ten sie an­ders wirt­schaf­ten und ge­trau­ten sich nicht mehr, New­co­mer zu bu­chen, wenn sie da­von aus­ge­hen müss­ten, bes­ten­falls 40 bis 50 Ein­trit­te zu ver­kau­fen. Das ge­he so­gar so weit, dass ei­ni­ge Kon­zert­lo­ka­le nicht mehr «der Schnau­ze nach» bu­chen, son­dern auf In­di­ka­to­ren wie Strea­ming­zah­len oder Fol­lower in den so­zia­len Me­di­en schau­en wür­den. Vie­le wür­den aus­ser­dem ver­su­chen, Kon­zer­te mit Par­tys quer­zu­sub­ven­tio­nie­ren. «Die Live­mu­sik al­lein ist nicht trag­fä­hig. Das ist ein bru­ta­les Ur­teil.» Man müs­se je­doch un­ter­schei­den zwi­schen un­ab­hän­gi­gen Ver­an­stal­ter:in­nen oder Kon­zert­lo­ka­len und sol­chen, die von der öf­fent­li­chen Hand För­der­gel­der be­kä­men, be­tont Weiss. Letz­te­re könn­ten ein hö­he­res Ri­si­ko ein­ge­hen.

«Die Livemusik allein ist nicht tragfähig. Das ist ein brutales Urteil.»

Florian Weiss, Booker

Hin­zu kom­me, dass es in­zwi­schen fast ein Über­an­ge­bot an Mu­sik be­zie­hungs­wei­se Mu­si­ker:in­nen ge­be. Dank der Di­gi­ta­li­sie­rung und des tech­ni­schen Fort­schritts sei es heu­te ein­fach, im Heim­stu­dio Mu­sik auf­zu­neh­men und über Strea­ming­por­ta­le zu ver­brei­ten. Es sei aber nicht ein­fa­cher ge­wor­den, in die­ser Men­ge Ge­hör zu fin­den und auch noch an Kon­zer­te zu kom­men, ge­ra­de wenn man kein Netz­werk ha­be – im Ge­gen­teil. «Man muss her­aus­ste­chen aus der Mas­se.» Des­halb sei der Nach­wuchs­band-Wett­be­werb ban­dXost so wert­voll. Zum ei­nen tren­ne er die Spreu vom Wei­zen. Zum an­de­ren bie­te er dem Ge­win­ner-Act die Mög­lich­keit, sich an di­ver­sen Fes­ti­vals zu prä­sen­tie­ren. «Wenn man ein gu­tes Liv­e­pro­dukt hat, hat man die Chan­ce, ent­deckt zu wer­den, auch aus­ser­halb der Ost­schweiz.»

Aber auch für ei­ne Band wie Ca­ta­lyst sei­en die Hür­den in­zwi­schen hö­her, sagt Weiss. Seit 2018 ar­bei­tet er mit dem St.Gal­ler Al­ter­na­ti­ve-Rock-Duo zu­sam­men, das 2016 den ban­dXost-Wett­be­werb ge­wann und sich in­zwi­schen in der Sze­ne eta­bliert hat. Den­noch sei es schwie­ri­ger ge­wor­den, sie zu bu­chen, weil ins­be­son­de­re die klei­ne­ren Shows durchs Ras­ter fal­len wür­den. 

Ein wei­te­rer Punkt ist die Ga­ge: Je grös­ser ei­ne Band sei, des­to schwie­ri­ger wer­de es, Kon­zer­te zu be­kom­men, sagt Flo­ri­an Weiss. Bei der neun­köp­fi­gen Bal­kan­pop-Trup­pe Šu­ma Čo­v­jek, die an Kon­zer­ten zwei bis drei Crew­mit­glie­der ha­be, sei es il­lu­so­risch, dass al­le ei­ne Ga­ge von 300 Fran­ken be­kä­men. Man fin­det sich mit dem Kon­zert­ver­an­stal­ter «ir­gend­wo in der Mit­te». «Wenn ich die­sen Kom­pro­miss nicht ein­ge­he und den Auf­tritt ab­sa­ge, scha­det das der Band.» Die Ga­ge müs­se aber nicht nur den Auf­tritt ent­löh­nen, son­dern auch hel­fen, al­le an­de­ren Kos­ten zu de­cken – Al­bum­pro­duk­ti­on, Vi­deo­drehs, Bus­mie­te, Ben­zin etc. Es sei des­halb ele­men­tar, dass die Bands an den Kon­zer­ten Mer­chan­di­sing da­bei hät­ten, um zu­sätz­lich Geld ver­die­nen zu kön­nen. Ein wich­ti­ges Puz­zle­teil in die­ser Rech­nung ist der Ein­tritts­preis. Für die meis­ten Schwei­zer Bands wür­den aus­ser­halb von Zü­rich zwi­schen 20 und 30 Fran­ken ver­langt, sagt Weiss. Bei Šu­ma Čo­v­jek be­stehe er aber auf ei­nem Ti­cket­preis von über 30 Fran­ken, weil das Ziel­pu­bli­kum eher äl­ter sei. «Es ist nicht rich­tig, Live­mu­sik für zu tie­fe Prei­se zu ver­ram­schen.»

Kon­zert­ab­sa­ge als al­ler­letz­tes Mit­tel 

Ei­ne Show we­gen schlech­tem Ti­cket­vor­ver­kauf ab­zu­sa­gen sei «das al­ler­letz­te Mit­tel», sagt Flo­ri­an Weiss. «Wir zie­hen vie­le Kon­zer­te durch, auch wenn wir wis­sen, dass ein Ver­lust re­sul­tie­ren wird.» Er sieht das als In­ves­ti­ti­on in die Zu­kunft, da­mit die Künst­ler: in­nen beim nächs­ten Mal mehr Pu­bli­kum an­zie­hen oder in grös­se­ren Hal­len spie­len kön­nen. «Wenn man je­des Kon­zert nur we­gen ei­nes dro­hen­den Ver­lusts ab­würgt, kann sich nie et­was ent­wi­ckeln.» Und bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad kön­ne man de­fi­zi­tä­re Kon­zer­te mit ge­winn­brin­gen­den quer­sub­ven­tio­nie­ren. 

Den­noch sei ei­ne Ab­sa­ge ein Mit­tel, das manch­mal un­aus­weich­lich sei. «Wenn ich weiss, dass ich bei ei­nem Kon­zert meh­re­re tau­send Fran­ken ver­lie­re, dann muss ich mir die Fra­ge stel­len, ob ich die Reiss­lei­ne zie­he, um den Ver­lust zu mi­ni­mie­ren», sagt Weiss. «Auch als an­ge­stell­ter Boo­ker tra­ge ich die Ver­ant­wor­tung für die Fir­ma und das Pro­jekt. Wir ha­ben kei­nen Kul­tur­auf­trag, son­dern müs­sen als Agen­tur wirt­schaft­lich funk­tio­nie­ren.»

Fa­bi­an Mösch von der Schwei­zer Agen­tur Glad We Met, die vie­le un­be­kann­te Künst­ler:in­nen be­treut, sieht die Ent­wick­lung in der Live­mu­sik­bran­che eben­falls kri­tisch. Der 30-Jäh­ri­ge ist un­ter an­de­rem Boo­ker von Stahl­ber­ger, Lord Kes­se­li & The Drums und Py­rit. Par­al­lel da­zu war er bis im Som­mer 2022 wäh­rend vier Jah­ren Co-Be­triebs­lei­ter des St.Gal­ler Kul­tur­lo­kals Pa­lace und so­mit für das Pro­gramm mit­ver­ant­wort­lich. Aus­ser­dem ist er Pro­gramm­ver­ant­wort­li­cher des Ba­de­ner Mu­sik­fes­ti­vals One Of A Mil­li­on. 

Mösch be­ob­ach­tet ei­nen ähn­li­chen Trend wie Flo­ri­an Weiss: «Für vie­le Kon­zert­lo­ka­le, die ge­wis­se Bands selbst dann be­wusst un­ter­stützt ha­ben, wenn sie wuss­ten, dass die Kon­zer­te de­fi­zi­tär sein wür­den, liegt das nicht mehr drin.» Auch bei ei­ner Band wie Lord Kes­se­li & The Drums, die An­fang 2024 ein neu­es Al­bum ver­öf­fent­licht hat, kom­me teil­wei­se we­ni­ger Pu­bli­kum an die Kon­zer­te als noch vor der Pan­de­mie. Und ge­ra­de für «ni­schi­ge» Künst­ler:in­nen ge­be es in­zwi­schen we­ni­ger Kon­zert­mög­lich­kei­ten.

Ein wei­te­res Pro­blem sei­en gros­se Agen­tu­ren, die den Ver­an­stal­ter:in­nen mit der Ab­sa­ge dro­hen, wenn aus ih­rer Sicht zu we­ni­ge Ti­ckets ver­kauft sei­en, sagt Mösch. «Sie wol­len nicht, dass ih­re Band vor we­nig Pu­bli­kum spielt.» Das sei ge­ra­de in Zei­ten, in de­nen sich an­hand der Vor­ver­käu­fe die Zahl der Be­su­cher:in­nen kaum vor­her­sa­gen las­se, ein Är­ger­nis. «Im Pa­lace hat­ten wir im­mer wie­der da­mit zu kämp­fen. Aber wir hat­ten auch vie­le Kon­zer­te mit 10, 20 Leu­ten, die su­per wa­ren.» 

Vie­le Ver­an­stal­ter kön­nen sich ei­nen Ver­lust nicht leis­ten 

Auch Marc Frisch­knecht kennt die ak­tu­el­len Schwie­rig­kei­ten zur Ge­nü­ge. Mit sei­nem Pro­jekt Yes I’m Very Ti­red Now ist er sel­ber Mu­si­ker (ei­nen Text zu sei­nem neu­en Al­bum, das An­fang 2025 er­scheint, gibts dann in der Fe­bru­ar-Aus­ga­be), Boo­ker des Kul­tur­fes­ti­vals St.Gal­len und Mit­in­ha­ber der Øya-Bar, in der er ab und zu Kon­zer­te ver­an­stal­tet. «Auch wenn ich ger­ne die Mu­si­ker:in­nen aus der Re­gi­on mit Auf­tritts­mög­lich­kei­ten för­dern wür­de: Ich kann es mir schlicht nicht leis­ten, pro Jahr zwei, drei Kon­zer­te durch­zu­füh­ren, bei de­nen ich ei­nen Ver­lust tra­gen muss.» Auch weil je­ne Kon­zer­te, die so gut be­sucht sind, dass sie die­sen Ver­lust wett­ma­chen wür­den, kaum mehr mög­lich sei­en. Es sei so schon ei­ne Her­aus­for­de­rung, ei­ne Bar pro­fi­ta­bel zu be­trei­ben. 

«Ich kann es mir schlicht nicht leisten, pro Jahr zwei, drei Konzerte durchzuführen, bei denen ich einen Verlust tragen muss.»

Marc Frischknecht, Musiker, Booker und Mitinhaber der der Øya-Bar

Auch für Yes I’m Very Ti­red Now sei es schwie­ri­ger ge­wor­den, Auf­tritts­mög­lich­kei­ten zu be­kom­men, sagt Frisch­knecht. Für 2025 sind bis­her zwei Kon­zer­te ge­plant, ei­nes in Zü­rich und die Plat­ten­tau­fe in der Gra­ben­hal­le. Ob wei­te­re hin­zu­kom­men? Un­ge­wiss. «Hat es mit mei­nem Al­ter zu tun? Wol­len die 20- bis 30-Jäh­ri­gen ei­nen eher un­be­kann­ten Künst­ler se­hen, der 40 ist, oder lie­ber gleich­alt­ri­ge?»

Mit sei­ner Band hat Frisch­knecht auch schon Kon­zert­ab­sa­gen er­lebt, al­ler­dings nur im Aus­land. Den­noch zeigt er Ver­ständ­nis für die­sen Schritt, auch wenn es für die be­trof­fe­ne Band hart sei – «al­ler­dings nur, wenn der Ver­an­stal­ter sel­ber al­les un­ter­nom­men hat, um Ti­ckets zu ver­kau­fen. Es darf nicht sein, dass nur die Band in der Pflicht ist.» Es sei je­den­falls «ein schma­ler Grat» und dür­fe «der letz­te Aus­weg» sein, aber nur, wenn es im Vor­aus so ver­ein­bart wur­de. 

Die gros­sen Kon­zer­te und Fes­ti­vals gra­ben den klei­nen die Be­su­cher:in­nen ab

Das grund­sätz­li­che Pro­blem sei, dass es zu vie­le gros­se Kon­zer­te und Fes­ti­vals ge­be, die den klei­ne­ren Ver­an­stal­tun­gen die Be­su­cher:in­nen ab­gra­ben wür­den, sagt Frisch­knecht. Zu­dem sei­en die Leu­te heu­te we­ni­ger be­reit, un­be­kann­te­re Künst­ler:in­nen an Kon­zer­ten zu ent­de­cken – das tun sie statt­des­sen auf Strea­ming­por­ta­len. «Frü­her war das an­ders. Man konn­te nicht je­des Wo­chen­en­de in ei­nen Plat­ten­la­den ge­hen, um sich x Bands an­zu­hö­ren, son­dern ging an Kon­zer­te.» 

Das sieht auch Flo­ri­an Weiss so: Die Ent­de­ckungs­lust sei heu­te ge­rin­ger. Sei das Pu­bli­kum frü­her oft an Kon­zer­te von Bands ge­gan­gen, die es kaum oder gar nicht kann­te, kön­ne man sich heu­te über Strea­ming­por­ta­le ein Bild der Band ma­chen. Auch er ha­be das Ge­fühl, dass ge­ra­de die jün­ge­ren Ge­ne­ra­tio­nen heiss auf Gross­an­läs­se sei­en, das ma­che es ge­ra­de für un­be­kann­te­re Bands schwie­ri­ger. «Die Leu­te sind be­reit, zwei- bis drei­mal im Jahr viel Geld in die Hand zu neh­men für die Su­per­stars, aber nicht mehr­mals 30 bis 40 Fran­ken für ei­ne New­co­mer­band.» Dar­un­ter lei­den nicht nur die Mu­si­ker:in­nen, son­dern eben auch die klei­ne­ren Ve­nues – ein Teu­fels­kreis.

Kon­zer­te als ein­zi­ge Ein­nah­me­quel­le 

Doch wie er­le­ben Mu­si­ker:in­nen, die sich sel­ber um das Boo­king küm­mern, die­se Ent­wick­lung? Va­nes­sa En­gen­sper­ger ali­as Ski­ba Sha­pi­ro hat vor et­was mehr als ei­nem Jahr ihr So­lo-De­büt Zu­ef­lucht ver­öf­fent­licht. Seit­her ha­be sie ein paar Kon­zert­an­fra­gen be­kom­men, die meis­ten in der Re­gi­on, da­mit sei sie zu­frie­den, sagt sie. Das Echo auf die ge­schätzt 50 Kon­zert­an­fra­gen, die sie in die­sem Jahr selbst ver­schickt hat­te, sei hin­ge­gen sehr be­schei­den ge­we­sen. Auf die meis­ten ha­be sie nicht ein­mal ei­ne Ant­wort be­kom­men.

Vor zehn Jah­ren, als sie noch Teil des Rock-Du­os Ho­pes & Ve­nom war, mit dem sie 2014 den zwei­ten Platz am ban­dXost be­legt hat­te, sei das an­ders ge­we­sen: «Auf ei­ne Kon­zert­an­fra­ge folg­te die nächs­te, das hat sich prak­tisch von al­lein er­ge­ben.» Ob die Ab­nah­me al­lein an der ver­än­der­ten Aus­gangs­la­ge liegt, kann sie nicht sa­gen. «Ist es, weil mei­ne Mails schlecht sind? Weil ich zehn Jah­re äl­ter bin? Weil ich jetzt in Mund­art sin­ge? Oder weil ich als weis­se Künst­le­rin nah­öst­li­che Klän­ge in mei­ne Mu­sik ein­baue? Kei­ne Ah­nung!» 

Mit De­ath Of A Cheer­lea­der, ei­ner Rock­band, in der sie Gi­tar­re spielt, sei es eben­falls schwie­rig, Kon­zer­te zu be­kom­men. Von der Ga­ge bleibt für die fünf Band­mit­glie­der nichts üb­rig. «Je­der Fran­ken fliesst di­rekt wie­der in die Band­kas­se.» Von der Ga­ge für Kon­zer­te von Ski­ba Sha­pi­ro – je nach­dem ein paar hun­dert Fran­ken – zie­he sie ei­ne «Ad­mi­nis­tra­ti­ons­ent­schä­di­gung» von zehn Pro­zent für sich ab, den Rest teilt sie zu glei­chen Tei­len mit ih­rem Bas­sis­ten und der Tän­ze­rin. Mit ih­rem ei­ge­nen An­teil deckt sie die Kos­ten für die Pro­duk­ti­on von Zu­ef­lucht.

Auch das St.Gal­ler Syn­th-Pop-Duo Pa­ra­phon bucht sei­ne Kon­zer­te sel­ber. «Auf un­se­re An­fra­gen be­kom­men wir meis­tens kei­ne Rück­mel­dung, beim Rest sind es in der Re­gel Ab­sa­gen», sagt Yves Eg­gen­ber­ger. Ih­re Auf­trit­te wür­den sich meis­tens da­durch er­ge­ben, dass sie je­mand ir­gend­wo live se­he und dann bu­che. Mit der Zahl der Kon­zer­te, die sie zu­letzt spie­len konn­ten, sei­en sie zu­frie­den. «Aber mehr Club­shows wä­ren schön. Die meis­ten un­se­rer Auf­trit­te sind im Rah­men ei­nes Events oder an Fes­ti­vals, wo wir ei­ne von vie­len Bands sind. Aber wir sind ja auch noch nicht so be­kannt.» Für das Duo, das seit der Grün­dung 2021 drei EPs und ein Al­bum di­gi­tal ver­öf­fent­licht hat, sei­en Kon­zer­te al­ler­dings prak­tisch die ein­zi­ge Ein­nah­me­quel­le. «Die Strea­min­ger­lö­se sind mi­nim. Die Kon­zert­ga­gen hel­fen uns, un­se­re Kos­ten zu de­cken und uns wei­ter zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren, et­wa Songs ex­tern mi­schen zu las­sen», sagt Eg­gen­ber­ger.

Nicht für ein Sand­wich und Bier auf­tre­ten  

Marc Frisch­knecht rät al­len Mu­si­ker:in­nen und Bands, für die die Mu­sik mehr ist als ein Hob­by, sich ei­ne Boo­king­agen­tur zu su­chen. «Für mich als Boo­ker des Kul­tur­fes­ti­vals macht es ei­nen gros­sen Un­ter­schied, ob ich ein Mail von ei­nem Agen­ten be­kom­me, von dem ich schon ein paar Bands ge­bucht ha­be, oder von ei­nem Mu­si­ker, von dem ich noch nie et­was ge­hört ha­be.» Auch über die Ga­ge wer­de dann an­ders ver­han­delt.

Flo­ri­an Weiss sieht das ähn­lich. Er ha­be Ver­ständ­nis da­für, dass jun­ge Bands so vie­le Shows spie­len möch­ten wie nur mög­lich. Sie tä­ten sich je­doch kei­nen Ge­fal­len da­mit, wenn sie für ein Sand­wich und Bier auf­tre­ten. «Es braucht ei­ne an­ge­mes­se­ne Ga­ge. Wenn du als Band dem kei­nen Wert bei­misst, dass du Mu­sik schreibst, auf­nimmst, dein Live­set vor­be­rei­test, an den Gig fährst und wie­der zu­rück, dann wird das auf lan­ge Sicht zu ei­nem Pro­blem.» Wie hoch ei­ne an­ge­mes­se­ne Ga­ge ist, dar­über ge­hen die Mei­nun­gen bei den Boo­kern aus­ein­an­der.

Vie­le Bands und Mu­si­ker:in­nen blei­ben auf der Stre­cke

Es wird span­nend sein zu be­ob­ach­ten, wie sich die Si­tua­ti­on ent­wi­ckeln wird. Bran­chen­ex­per­ten ge­hen da­von aus, dass die gros­sen Kon­zer­te noch teu­rer wer­den. Und wenn die Kon­zer­ne wie CTS Even­tim, zu dem auch ABC Gad­get mit dem Open­air St.Gal­len und dem Sum­mer­days Fes­ti­val so­wie Ti­cket­corner ge­hört, die Live­mu­sik­sze­ne mit Künst­ler:in­nen und Bands flu­ten, die sie selbst un­ter Ver­trag ha­ben, kön­nen sie ih­re Kon­zer­te quer­fi­nan­zie­ren und so die Su­per­stars von mor­gen ein­fa­cher auf­bau­en. Die klei­nen Kon­zert­lo­ka­le und Ver­an­stal­ter:in­nen hin­ge­gen ha­ben ein ver­hält­nis­mäs­sig weit­aus grös­se­res fi­nan­zi­el­les Ri­si­ko zu tra­gen und kämp­fen wei­ter­hin um das Pu­bli­kum und so­mit ums Über­le­ben. Und vie­le klei­ne Mu­si­ker:in­nen und Bands blei­ben da­bei auf der Stre­cke.

Glad We Met mach­te En­de No­vem­ber in ei­ner Me­di­en­mit­tei­lung, die ei­nem Hil­fe­ruf gleich­kam, auf die Pro­ble­ma­tik auf­merk­sam. «Der fi­nan­zi­el­le Druck auf klei­ne La­bels, Boo­king-Agen­tu­ren, Mu­sik­clubs und -fes­ti­vals und mit ih­nen erst recht ei­ne Viel­zahl an Mu­si­ker:in­nen ist mitt­ler­wei­le der­art gross, dass ih­nen nach und nach die Luft aus­geht», heisst es dar­in. Fa­bi­an Mösch ist über­zeugt, dass es neue För­der­mo­del­le und zu­sätz­li­che Fi­nanz­mit­tel der öf­fent­li­chen Hand braucht, wenn man die­se Kul­tur am Le­ben er­hal­ten will. 

Ei­ne Lin­de­rung der Pro­ble­ma­tik könn­te aus Eng­land kom­men. Dort hat der Mu­sic Ve­nue Trust, der die «Grass­roots Mu­sic Ve­nues» ver­tritt, er­reicht, dass künf­tig ein Pro­zent der Ti­cket­ver­käu­fe für Sta­di­on- und Are­na-Kon­zer­te an die Gras­wur­zel-Kon­zert­lo­ka­le fliesst. Das ist im­mer­hin ein An­fang. Ob das auch in ei­nem ver­gleichs­wei­se klei­nen Markt wie der Schweiz durch­setz­bar wä­re, ist ei­ne an­de­re Fra­ge. 

 

Die Il­lus­tra­tio­nen zu die­sem Bei­trag sind von So­fia Hin­ter­mann aus Zü­rich. Hin­ter­mann, 2000, ist frei­schaf­fen­de Il­lus­tra­to­rin und Ma­le­rin. Ihr letz­tes Buch­pro­jekt heisst HAM­MER MILCH HA­GEL MOHN – an die He­xen­ver­fol­gung den­ken. In der Ma­le­rei be­wegt sie sich ger­ne an der Gren­ze von Rea­li­tät und Fik­ti­on. 

Medienmitteilung von Glad We Met (Auszug):

«Der Druck auf un­ab­hän­gi­ge Boo­king-Agen­tu­ren wie wir ei­ne sind, hat in den letz­ten Jah­ren ste­tig zu­ge­nom­men und in der Zwi­schen­zeit ein Aus­mass er­reicht, das be­sorg­nis­er­re­gend und kaum mehr trag­bar ist. (…) Ob­wohl wir un­se­re Ar­beit mit der Über­zeu­gung ei­ner kul­tur­för­dern­den und -ver­mit­teln­den Rol­le ma­chen, wird sie nicht als sol­che ein­ge­stuft und ent­spre­chend nicht ge­för­dert. Wir bu­chen nicht nur Acts, die wirt­schaft­lich viel­ver­spre­chend oder zu­min­dest in­ter­es­sant, son­dern ins­be­son­de­re auch sol­che, die sich in der Ni­sche be­we­gen, in­no­va­tiv sind und ei­nen in­halt­li­chen und ho­hen qua­li­ta­ti­ven An­spruch an ihr ei­ge­nes Schaf­fen ha­ben. Rei­ne Wirt­schaft­lich­keit, rei­nes Ge­winn­stre­ben, darf die künst­le­ri­sche Qua­li­tät und die Di­ver­si­tät des Mu­sik­schaf­fens nicht ver­drän­gen. Wir ma­chen un­se­re Ar­beit, weil wir sie als not­wen­dig er­ach­ten für die Ent­wick­lung des hei­mi­schen Mu­sik­schaf­fens un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Viel­fäl­tig­keit un­se­rer Ge­sell­schaft. Wir sind ent­schie­den ge­gen die Mo­no­po­li­sie­rung des Mu­sik­markts, wie sie sich seit ei­ni­gen Jah­ren be­ob­ach­ten lässt. Es darf nicht sein, dass nur noch in­ter­na­tio­na­le, ge­winn­ori­en­tier­te Agen­tu­ren (oder de­ren Ab­le­ger in der Schweiz) Ein­fluss neh­men und ent­schei­den, was in­ter­es­san­te, för­de­rungs­wür­di­ge Mu­sik ist und was nicht.»

Die Il­lus­tra­tio­nen zu die­sem Bei­trag sind von So­fia Hin­ter­mann aus Zü­rich. Hin­ter­mann, 2000, ist frei­schaf­fen­de Il­lus­tra­to­rin und Ma­le­rin. Ihr letz­tes Buch­pro­jekt heisst HAM­MER MILCH HA­GEL MOHN – an die He­xen­ver­fol­gung den­ken. In der Ma­le­rei be­wegt sie sich ger­ne an der Gren­ze von Rea­li­tät und Fik­ti­on. Ih­re  Aus­stel­lung «Frucht­zu­cker» mit An­na Al­bi­set­ti ist bis März im «Lo­kal-int» in Biel zu se­hen.

so­fia-hin­ter­mann.ch