Aufmucken gegen die Staats-AG
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Öffentlichkeitswirksam waren sie zuletzt in Herisau und Wittenbach: Staatsverweigerer (siehe Glossar). Sie behaupten, der Staat sei eine Privatfirma und daher nicht befugt, Steuern einzuziehen oder anderweitig Macht über sie auszuüben. Sie unterscheiden zwischen Mensch und Person. Sie überziehen Behörden mit pseudo-juristisch verklausulierten und inhaltlich kaum nachvollziehbaren Briefen. Oft verweigern sie die Kommunikation komplett. Manchmal zeigen sie unliebsame Behördenmitarbeiter:innen an – und rufen damit wiederum eine staatliche Institution an, die sie eigentlich ablehnen.
Strategien, Wortwahl und Weltanschauungen trainieren sie in Workshops und im Internet. Ihr Habitus ähnelt jenem der deutschen Reichsbürgerszene (siehe KRD). Charakteristisch sind zum Beispiel die roten Fingerabdrücke, mit denen sie ihre schriftlichen Eingaben anstelle einer Unterschrift signieren. Oft scheitern ihre behördlichen Eingaben bereits an solchen Kleinigkeiten. Dabei ist Behörden-Beschäftigen eine ihrer Lieblingstätigkeiten. Wenn zum Beispiel eine Tageszeitung über die permanente Überlastung der St.Galler Staatsanwaltschaft berichtet, überschlagen sich die Voten in einschlägigen Telegram-Kanälen vor Schadenfreude.
Das Problem hat seit der Covid-Pandemie stark zugenommen. In Herisau ist Anfang Juni ein Flyer an alle Haushalte verteilt worden, auf dem gefragt wird, ob Herisau denn noch Herisau sei. Und weiter: «Wieso verwendet die Gemeindeverwaltung nicht mehr das Wappen, sondern benutzt ein Firmenlogo? […] Was bedeutet das?» Im Alt-68er-Jargon wird proklamiert: «Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!» Die Gemeinde Herisau hat wegen missbräuchlicher Verwendung des Gemeindewappens Anzeige gegen Unbekannt erstattet.
Unter herisau.info war zwischenzeitlich eine Website mit gleichlautenden Informationen aufgeschaltet. Schon ein Jahr zuvor ging eine ähnliche Website für die St.Galler Agglogemeinde Wittenbach online. Die Textarbeit ist ebenso schludrig wie die Beweisführung für die abwegigen Verschwörungstheorien: Für die Herisauer Variante hatten die Verfasser:innen an einigen Stellen vergessen, Wittenbach durch den Ausserrhoder Hauptort zu ersetzen. Weitere solcher Websites gab oder gibt es auch in anderen Kantonen.
In Wittenbach gingen die Staatsverweigerer noch einen Schritt weiter: Sie versandten rund 100 Briefe an die Gemeinde, auf denen sie als Absender unbeteiligte und nichtsahnende Wittenbacher:innen vermerkten. Und auf der Website warfen sie einigen Gemeindemitarbeiter:innen, darunter auch einer minderjährigen Person in Ausbildung, völlig unbegründet Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung vor und publizierten dazu ihre Namen inklusive Fotos. Die Page war bei Redaktionsschluss noch immer online.
Amtsleiterin aus Verwaltung verjagt?
Weniger medienwirksam, aber für die Behörden zusammengenommen ungleich aufwändiger sind die zunehmenden Einzelfälle von Staatsverweigerung in der Ostschweiz. Da gibt es zum Beispiel diesen sendungsbewussten Redner, der durch die ganze Ostschweiz tingelt und sein Publikum in mehrteiligen Vorträgen über eine vermeintliche finanzjüdisch-freimaurerisch-satanistisch-päpstlich-pädophile Weltverschwörung aufklärt. QAnon-Quatsch Swiss made (mehr zum St.Galler Freimaurertum im Septemberheft ab Seite 48).
Seine Ideen verbreitet er auch an Stadtführungen durch St.Gallen und auf seinem Telegramkanal. Auf diesem brüstete er sich diesen Frühling damit, die Leiterin des Betreibungsamtes einer Gemeinde im St.Galler Fürstenland «in die Flucht geschlagen» zu haben. Angehängt war die Meldung eines Nachrichtenportals über die Neubesetzung der Stelle in der Gemeinde.
Ist es da tatsächlich einem Staatsverweigerer gelungen, eine Gemeindemitarbeiterin aus ihrem Amt zu verjagen? Wie bewerkstelligt einer sowas? Und was hiesse das für den Rechtsstaat?
Saiten hat bei der Gemeinde nachgefragt. Aufgrund des Persönlichkeitsschutzes verzichten wir auf die Nennung aller Beteiligten sowie der Gemeinde. Der Gemeindepräsident bestätigt den Stellenwechsel, macht aber auch deutlich: «Die Kündigung hat nichts mit diesem Reichsbürger oder Staatsverweigerer oder wie auch immer man ihn nennen will zu tun.» Details dazu, weshalb der Staatsverweigerer mit dem Amt in Konflikt geriet, will und darf er nicht verraten. Die angeblich verjagte Person kann sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen, als wir sie anrufen. Auch sie darf nichts über den konkreten Fall sagen, versichert aber, dass sie ihre Stelle gewechselt habe, weil sie schon länger auf der Suche nach einem Job etwas näher an ihrem Wohnort gewesen sei und diesen nun gefunden habe.
Prozesse gestört, Richter bedroht
Also alles gar kein Problem? Nicht ganz. Saiten hat bei rund zwei Dutzend kantonalen und kommunalen Behörden und Amtsstellen in St.Gallen, Thurgau und im Appenzellerland nachgefragt, welche Erfahrungen sie mit Staatsverweigerern machen. Gleichlautendes Fazit: Das Phänomen hat, spätestens seit Corona, überall spürbar zugenommen, in einzelnen Gemeinden sogar massiv. Auch wenn niemand das Wort «Hotspot» gerne in den Mund nimmt: Eine Häufung von Fällen renitenten bis verweigernden Verhaltens gegenüber staatlichen Institutionen ist definitiv festzustellen.
Einer dieser Hotspots ist der Hinterthurgau. Zu seinem Prozess vor dem Bezirksgericht Münchwilen im Januar 2022 erschien ein Maskenverweigerer, ein damals 43-jähriger «Eidgenosse», mit rund 100 Gefolgsleuten. Die Polizei hatte vier Fahrzeuge vor dem Gerichtsgebäude postiert. Draussen lärmten die Angereisten, drinnen verweigerte der Beschuldigte sich zu setzen, antwortete nicht auf Fragen, nannte den Richter einen Schurken und raunte, dass er diesen Prozess noch bereuen werde. Die Verhandlung – der Beschuldigte hatte Einsprache gegen eine Busse über 900 Franken wegen Missachtung der Maskentragepflicht und eines Hausverbots in einem Grossverteilter eingereicht – wurde dann in Abwesenheit des Beschuldigten zu Ende geführt.
2021 waren am Bezirksgericht Frauenfeld, ebenfalls an einem Prozess gegen eine Maskenverweigerin, 20 Unterstützer:innen der Beschuldigten im Gerichtssaal erschienen und beschimpften das Gericht lautstark. Darunter habe es Aussagen gegeben, die als Drohung empfunden worden seien, sagte die Richterin im Nachgang gegenüber der «Thurgauer Zeitung». Den Fällen gemeinsam ist, dass die Beschuldigten in beiden Fällen dem GCCL nahestehen.
Patrick Guidon, Präsident des Kantonsgerichts St.Gallen, gibt im Gespräch mit Saiten an, auch schon mit mühsamen Fällen von Staatsverweigerung zu tun gehabt zu haben, allerdings nicht in dem Ausmass wie im Thurgau. Am Kantonsgericht gehe es meist um Ausstandsgesuche oder den Bereich Schuldbetreibung und Konkurs. «Wir bleiben in solchen Fällen entspannt, prüfen selbst schwer verständliche Eingaben detailliert auf rechtsrelevante Argumente und behandeln die Personen genau gleich wie alle anderen.» Stärker als das Kantonsgericht seien sicherlich Behördenmitglieder mit direktem oder regelmässigem Kontakt zu entsprechenden Personen gefordert, also etwa Staatsangestellte bei Betreibungsämtern oder Steuerverwaltungen.
Schulungen und bauliche Massnahmen
Zurück in den Thurgau: Ortstermin im Betreibungsamt Weinfelden. «Kundenkontakt», wie es in der Amtssprache – gerade vor diesem Hintergrund – etwas unglücklich formuliert wird, gibt es hier nur noch am Schalter oder im Einvernehmungszimmer, getrennt durch eine hochgezogene Glasscheibe. Hier und beim Konkursamt in Frauenfeld wurde das Zweizonenkonzept mit der strikten Trennung zwischen Kund:innen- und Mitarbeitendenzone bereits geschaffen. Im völlig weissen, fensterlosen Wartekämmerlein blinkt ein grünes Lämpchen mit der Ticketnummer auf. Roger Wiesendanger, Leiter Amt für Betreibungs- und Konkurswesen, gewährt Einlass. «Die baulichen Massnahmen haben wir hier schon vor der Coronazeit beschlossen», sagt er auf dem Rundgang durchs Amt. «Das hat nichts mit den Staatsverweigerern zu tun, aber heute sind wir froh darüber.» Nach und nach sollen auch die anderen Standorte in Münchwilen, Frauenfeld, Kreuzlingen und Romanshorn nachgerüstet werden.
Vor Corona habe man vielleicht einen Renitenz-Fall pro Jahr gehabt, mittlerweile passiere das schon fast wöchentlich. Nicht in allen Fällen handle es sich um Staatsverweigerer, aber in vielen. Genau beziffern kann er es nicht. «Sobald die eineinhalb bis zweijährigen Mahnprozesse bei nicht bezahlten Steuern, Rechnungen oder Bussen durch sind, landen sie bei uns auf dem Tisch. Dann kann es schon mal ans Eingemachte gehen, wenn zum Beispiel Pfändungen von Fahrzeugen oder sogar Häusern zum Thema werden.» Viele Menschen, die sich während der Pandemie radikalisiert hätten, würden erst jetzt allmählich betrieben. Wiesendanger rechnet daher nicht damit, dass sich die Situation im Thurgau rasch beruhigt.
Unangenehme Situationen seien zwar Teil des Jobs, sagt er. «Doch seit Corona sind die Fälle mehr geworden, und der Aufwand bei Staatsverweigerern ist grösser.» Sein Augenmerk richtet er auch auf die psychische Gesundheit seiner Mitarbeitenden. Es sei wichtig, dass niemand die Fälle «mit nach Hause» nehme. Pro Standort gebe es einen Gesundheitskoordinator sowie einen Sicherheitsbeauftragten. Zudem hätten sämtliche Mitarbeitenden bereits eine Weiterbildung zum Thema Sicherheit am Arbeitsplatz und Umgang mit renitenten Kund:innen wie zum Beispiel Statsverweigerern besucht.
Klein- und Kleinstämter: Veraltete Strukturen in St.Gallen
Im Kanton St.Gallen scheint die Problematik nicht ganz so ausgeprägt zu sein: Überall, wo man nachfragt, ist höchstens von Einzelfällen die Rede. Die Summe kann aufgrund der kommunal organisierten Ämter allerdings niemand abschätzen. Während im Thurgau ein einziges Amt mit fünf Standorten für das gesamte Konkurs- und Betreibungswesen zuständig ist, gibt es im Kanton St.Gallen fast so viele Betreibungsämter bzw. -ämtli wie Gemeinden. Das führt schnell zu Problemen. Fällt das Personal aus, bleibt das Amt geschlossen, bis Ersatz gefunden ist. In Kleinstämtern haben Staatsverweigerer leichteres Spiel. Der Fachkräftemangel erschwert die Situation zusätzlich.
Im Thurgau wurden 2016 im Zuge einer grossen kantonalen Sparübung die 18 ursprünglichen Betreibungskreise zu fünf Bezirksbetreibungsämtern zusammengefasst. Starke Opposition gabs anfänglich vor allem aus den Kreisen selber, denn 13 bisherige Kreisamtsleiter:innen mussten sich zurückstufen lassen. Das Thurgauer Betreibungswesen sei dadurch aber zeitgemässer, effizienter und professioneller ausgerichtet, sagt Roger Wiesendanger. «Heute sind alle froh über diese Reform. Damit sind wir auch gut vorbereitet gewesen für die zusätzliche Herausforderung zum Beispiel mit den Staatsverweigerern.»
In den St.Galler Amtsstuben will sich kaum jemand öffentlich für eine Zusammenlegung der Betreibungsämter aussprechen, geschweige denn für eine Kantonalisierung. Zu schwer wiegt das politische Gewicht der Gemeinden im Kanton. Hinter vorgehaltener Hand wünschen sich aber einige Gemeindepräsident:innen eine ähnliche Flurbereinigung. Die Strukturen in St.Gallen sind veraltet und damit vulnerabler.
Es kommt Bewegung ins Getriebe
Treffen mit Urs Benz, Leiter des Konkursamtes Kanton St.Gallen. Organisatorisches zum kommunalen Betreibungswesen möchte er nicht öffentlich kommentieren. Das Konkurswesen ist in St.Gallen kantonal geregelt und als dessen Amtsleiter hat er den Überblick. «Wir haben natürlich nicht gleich viel Kontakt mit Staatsverweigerern wie die Betreibungsämter», sagt er. «Aber auch wir haben seit zwei, drei Jahren immer mal wieder einen Fall.» Zahlenmässig fielen diese Fälle bei rund 850 Konkursverfahren pro Jahr zwar nicht ins Gewicht, aber vom kommunikativen Aufwand her seien sie nicht zu vergleichen mit «normalen» Konkursfällen. Wichtig sei, solche Menschen genau wie alle anderen zu behandeln, freundlich zu bleiben, sich bei Provokationen oder gar Drohungen nicht aus der Ruhe bringen und sich vor allem nicht in sinnlose Diskussionen verwickeln zu lassen.
Der Konkursamtsleiter folgt mit dieser Strategie auch den Empfehlungen, die die Vereinigung der St.Galler Gemeindepräsident:innen (VSGP) unter dem Titel «Arbeitshilfe Staatsverweigerer» herausgegeben hat. Entstanden ist sie nach einem Erfahrungsaustausch, den die VSGP im Februar für verschiedene Vertreter:innen der Regionen, der Fachbereiche und des Kantons organisiert hat. Eine erste Fassung wurde den Gemeinden mit der Bitte um Einreichung von Zusatzfragen zugestellt. Aufgrund der vielen Rückmeldungen kam die VSGP zum Schluss, «dass die Thematik tatsächlich sehr aktuell und die Betroffenheit in einzelnen Gemeinden sehr gross ist».
Auch in Appenzell Ausserrhoden gab es im Juni einen ersten solchen Erfahrungsaustausch. Die Teilnahme daran war freiwillig, doch haben rund 50 Kantonsangestellte aus allen möglichen Departementen, vor allem solche mit «Kundenkontakt», am halbtägigen Workshop teilgenommen.
Damian Rüger vom kantonalen Kommunikationsdienst hat den Anlass mitorganisiert. Er sagt, das Phänomen Staatsverweigerung habe in Appenzell Ausserrhoden erst um die Jahreswende 2022/23 richtig Auftrieb erhalten. Der Meinungsaustausch habe aber auch gezeigt, dass – zumindest bis jetzt – nicht von «massiven Problemen» die Rede sein könne. Da und dort habe der administrative Aufwand zwar zugenommen. Auch sei vereinzelt von Provokationen und Drohungen berichtet worden, aber nicht in besorgniserregendem Ausmass. «Wir bleiben dran», sagt Rüger. Man wolle nun ebenfalls, ähnlich wie die VSGP in St.Gallen, einen Leitfaden für den Umgang mit Staatsverweigerern zuhanden der öffentlichen Institutionen erstellen und danach erneut einen Erfahrungsaustausch organisieren.
Wie gross ist die Gefahr?
In Deutschland steht die Reichsbürgerbewegung, die in vielerlei Hinsicht Parallelen zu den Staatsverweigerern in der Schweiz aufweist, unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Nicht so in der Schweiz. Auf Anfrage schreibt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB): «Damit der NDB präventiv tätig werden kann, reicht ein ideologischer oder politischer Hintergrund von Personen (beispielsweise Neonazis oder Anarchisten), Organisationen oder anstehenden Ereignissen nicht aus. Ausschlaggebend hierfür sind tatsächliche Gewaltbezüge (d. h. das Verüben, Fördern oder Befürworten von Gewalt inkl. des konkreten Aufrufs zur Gewaltanwendung) von Personen, Organisationen oder anstehenden Ereignissen. Personen, die sich ideologisch oder politisch radikalisieren, fallen somit nicht in das Aufgabengebiet des NDB, solange kein konkreter Gewaltbezug feststellbar ist.»
Auch die kantonalen Strafverfolgungsbehörden in der Ostschweiz stufen das Gefahrenpotenzial der Staatsverweigerungs-Szene bisher als eher gering ein. Die Situation in der Ostschweiz sei in keiner Weise mit der Reichsbürgerszene in Deutschland zu vergleichen, in der es explizite Drohungen und Umsturzpläne gebe, schreibt etwa die Kantonspolizei St.Gallen auf Anfrage. Gemäss ihren Erkenntnissen sei dies hier nicht der Fall. Im Schnitt werden ihr von kantonalen und kommunalen Amtsstellen ein- bis dreimal pro Monat Fälle gemeldet, in denen sich eine Person aus dem Umfeld der Staatsverweigerer renitent verhalte. Bislang habe aber keine dieser Meldungen Anlass dazu gegeben, polizeilich aktiv zu werden.
Aktiv wurde die Kantonspolizei allerdings im März dieses Jahres. Damals machte die deutsche Generalbundesanwaltschaft öffentlich, dass im Rahmen einer erneuten Grossrazzia gegen die Reichsbürgerszene in acht Bundesländern sowie im Kanton St.Gallen Hausdurchsuchungen und Personenbefragungen durchgeführt worden seien. In diesem Zusammenhang hat die schweizerische Bundesanwaltschaft nun selber ein Strafverfahren gegen zwei im Kanton St.Gallen wohnhafte Personen wegen Verdachts auf Unterstützung beziehungsweise Beteiligung an einer terroristischen Organisation eröffnet. Auf Anfrage will die Bundesanwaltschaft derzeit keine weiteren Angaben zum Fall machen.
Dirk Baier ist Gewaltkriminalitäts- und Extremismusexperte und lehrt an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er äussert sich in Medien immer wieder zu Verschwörungstheorien und der Staatsverweigerungsszene und hält Vorträge, zum Beispiel auch am erwähnten Erfahrungsaustausch der Kantonsbehörden in Appenzell Ausserrhoden. Zu regionalen Hotspots liesse sich derzeit noch wenig sagen, meint der Soziologe auf Anfrage. Staatsverweigerer gebe es in allen Landesteilen. Die Gefahr, die von ihnen derzeit ausginge, sei zwar klein, aber real. Vor allem für Beamte bei Polizeien, Betreibungsämtern etc. könnte es durchaus zu Zwischenfällen kommen.
Die Staatsverweigerungsszene sei noch nicht als extremistisch einzustufen, auch nicht in Deutschland, wo sich allerdings kleinere Gruppierungen – etwa um Heinrich den XIII. – radikalisiert und konkrete Umsturzpläne geschmiedet hatten. Die deutschen Behörden konnten Schlimmeres bisher verhindern. Die Radikalisierungsgefahr bestünde dennoch, so Baier. Mit dem Ende der Coronamassnahmen liesse sich das einigende Feindbild des «übermächtigen Staates» mittlerweile kaum mehr aufrecht erhalten, auch nicht, wenn nun der Ukraine-Krieg oder der Niedergang der Credit Suisse in die Verschwörungserzählungen integriert würden. Die Szene habe deshalb aus seiner Sicht möglicherweise etwas an Dynamik verloren. Aber die Ideengebilde halten sich. Und verschiedene Beispiele aus Deutschland zeigten, dass von Staatsverweigerern Gewalt ausgeführt wird. Das müsse auch für die Schweiz eine Warnung sein.