Saiten: Wie geht ihr an den Aufklärungsunterricht heran? Ein heikles Thema?
David Widmer: Überhaupt nicht. Im Gegenteil: Ich fand die Sexualkunde immer sehr spannend und habe auch selber viel dazugelernt. In der Mittelstufe dreht sich vieles um die biologischen Aspekte, das lässt sich gut versachlichen. Mir war es immer wichtig, dass das im Vordergrund steht. Und dass ich das Thema auch mit einer Prise Humor angehen kann. Lachen ist ein guter Eisbrecher.
Aisha Wider: Geht mir ähnlich. Gegen Ende des Studiums hatten wir eine super Blockwoche zum Thema Aufklärung. Ich habe mich sehr gut vorbereitet gefühlt; aus biologischer und medizinischer Sicht, aber auch was die emotionale Komponente angeht. Trotzdem will ich das Thema nicht alleine behandeln. Ich hole mir darum jedes Jahr externe Hilfe von der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen (AHSGA). Das ist für alle Beteiligten eine Bereicherung: Die Jugendlichen fühlen sich freier in Gegenwart einer externen Fachperson, und ich muss nicht alleine mit ihnen über alles reden. Als Einstieg ins Thema hat sich der «Sexteppich» bewährt. Darauf notieren die Schüler:innen verschiedene Begriffe, die sie dann nach dem Zufallsprinzip laut aussprechen sollen. Das trägt viel zur Auflockerung bei.
Mario Corazza: Ich bin vor etwa 12 Jahren eher zufällig ins Thema Aufklärung gerutscht. Das Oberthema bei uns in der Berufsschule heisst Gesundheit. Da werden ganz unterschiedliche Themen behandelt. Eines Tages kam ein Schüler zu mir. Nach einigem Rumgedruckse ist er mit der Sprache rausgerückt: Er hatte ungeschützten Geschlechtsverkehr und war besorgt, dass er sich mit HIV angesteckt haben könnte. Und er hatte dermassen Schiss vor dem Test, dass wir schliesslich zusammen hingegangen sind. Diese Episode hat mich nachdenklich gestimmt. Als ein anderer Schüler kurz darauf noch behauptete, dass HIV ja heutzutage heilbar sei, gingen bei mir endgültig die Alarmglocken an. Seither kommt einmal im Jahr jemand von der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen vorbei und redet mit den Schüler:innen über sexuelle Gesundheit.
Der Aufklärungsunterricht ist Sache der Lehrpersonen. Welche Berührungspunkte mit dem Thema habt ihr in der Schulsozialarbeit, Cornelia?
Cornelia Gubelmann: Das ist sehr abhängig vom Schulhaus. Da wo ich tätig bin, haben wir viele Jugendliche mit Migrationshintergrund. Sie gehen noch einmal etwas anders um mit dem Thema Sexualität. Manche haben starke Vorgaben vom Elternhaus her. Das geht manchmal so weit, dass Sexualität in diesem Alter nicht oder nur begrenzt erlaubt ist. Ich komme erst dann ins Spiel, wenn Jugendliche nochmals explizit eine Ansprechperson suchen. Wenn sie zum Beispiel eine Frage zum Thema Verhütung haben, wenn sie überfordert sind mit ihrer sexuellen Orientierung oder wenn pornografisches Material oder Nacktfotos von Schüler:innen kursieren.
Also siehst du vor allem die Problemfälle?
CG: Nicht alles ist problembehaftet, aber vieles. Je nach kulturellem Hintergrund ist zum Beispiel Homosexualität gar nicht erlaubt. Oder Geschlechtsverkehr vor der Ehe. Für manche Jugendliche ist das extrem schwierig. Sie hocken total zwischen Stuhl und Bank.
Der «kulturelle Hintergrund» auf dem Land ist zum Teil auch nicht wesentlich fortschrittlicher. Wie gehen deine Jugendlichen in Gams mit dem Thema Homosexualität um, Aisha? Auch ein Tabu?
AW: Tabu würde ich nicht sagen. Vielmehr habe ich manchmal den Eindruck, dass Homosexualität in ihrer Lebenswelt gar nicht existiert. Dass jemand aus der Klasse schwule oder lesbische Neigungen haben könnte, auf diese Idee kommen sie gar nicht.
Obwohl das statistisch gesehen sogar bei mehreren Personen pro Klasse der Fall sein dürfte.
AW: Genau. Verurteilen würden sie diese Person nicht, glaube ich. Aber komisch beäugen. Ein so krasses No-Go, wie es Cornelia vorhin beschrieben hat, wäre Schwul- oder Lesbischsein wohl kaum. Mit Sicherheit kann ich das aber nicht sagen, weil wir am ganzen Oberstufenzentrum keine offiziell geoutete Person haben, was wie gesagt, statistisch kaum der Fall sein kann. Vermutlich kommen homosexuelle und queere Schüler:innen bei uns wahnsinnig zu kurz.
CG: Damit wir uns richtig verstehen: Der Migrationshintergrund per se ist nicht ein Problem. Er kann eine Rolle spielen. Hinzu kommen andere Faktoren, etwa die Klassendynamik, die Rolle der Lehrperson oder der Eltern. Eine negative Haltung zum Thema Homosexualität habe ich auch schon in Schulgemeinden im Kanton St.Gallen erlebt, die einen sehr tiefen Migrationsanteil haben.
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Wie gehen deine Berufsschüler:innen mit dem Thema Homosexualität um, Mario?
MC: Unterschiedlich. Ich ertappe mich manchmal bei Vorurteilen, dass diese oder jene Berufsgruppe diesbezüglich vielleicht konservativer tickt. Und bin dann überrascht, wie liberal sie sind und wie normal Homosexualität für sie ist. Bei anderen wiederum erstaunt es mich, wie gross der Widerstand bei diesem Thema ist. Man kann es kaum verallgemeinern, es kommt vielmehr auf die Klassenkonstellation und die Dynamik an. Wenn man zum Beispiel ein Alphatier in der Klasse hat, das sehr liberal ist, dann färbt das auf die anderen ab und umgekehrt.
AW: Ja, das stelle ich auch bei uns im OZ fest. Es gibt gewisse Persönlichkeiten, um die sich die anderen scharen. Das kann extrem viel ausmachen, positiv wie negativ.
DW: Das gilt wohl für alle Altersstufen. Ich hatte schon in der vierten Klasse, also mit neun oder zehn Jahren, solche Meinungsführer:innen. Und häufig ist die Meinung dieser Kinder ja geprägt vom Daheim. Dieser Einfluss ist relevant. Wenn das Alphatier bzw. dessen Elternhaus eher konservativ eingestellt ist, wird es in der ganzen Klasse schwieriger, ein Thema wie Homosexualität zu besprechen. Das Kind rümpft vielleicht die Nase oder sagt «wäh, grusig, Schwuli». Damit steckt es die anderen an.
Wie geht man denn mit einer solchen Situation klug um in der sechsten Klasse?
DW: Es ist eine Gratwanderung. Wenn man überreagiert und das Kind gleich zurechtweist, verliert man es. Und im blödesten Fall solidarisieren sich die anderen Kinder mit ihm. Ich kann mich noch gut an einen Fall erinnern: Wir haben im Klassenrat diskutiert, als was wir an die Fasnacht gehen, wobei die Idee eines Rollenwechsels im Raum stand: Die Mädchen sollten als Buben gehen und die Buben als Mädchen. Nur der Meinungsführer wollte nicht mitspielen. «Dann denken meine Kollegen, ich sei schwul», sagte er und rümpfte die Nase. Mir war es in diesem Moment wichtig, erst einmal nachzufragen, was denn so schlimm daran wäre, und ihn nicht gleich abzukanzeln. Das gab am Schluss eine gute Diskussion mit der ganzen Klasse.
AW: Ich finde, man muss schon klare Grenzen setzen. Gewisse Ausdrücke will ich in meinem Klassenzimmer einfach nicht hören. «Schwul» oder «behindert» sind keine adäquaten Beleidigungen. Das gibt es bei mir einfach nicht.
DW: Natürlich braucht es Grenzen. Trotzdem gilt es abzuwägen. Manchmal drückt ein Kind ja einfach sein Unbehagen aus, wenn auch etwas ungeschickt.
AW: Klar sind die Motive dahinter wichtig und man soll auch darauf eingehen. Ich wünsche mir aber eine gewisse Sprachsensibilität. Darauf lege ich viel Wert. Und ich habe durchaus Erfolg damit. Meine Jugendlichen machen sich mittlerweile manchmal gegenseitig darauf aufmerksam, wenn sie diskriminierende Sprache verwenden.
Gilt das auch für die Jugendlichen im OZ Schönau, Cornelia? Sagt dort niemand: «Wäh, was ist denn das für ein schwuler Pulli»?
CG: Das Thema LGBTQ scheint bei vielen Jugendlichen eine Herausforderung darzustellen. Wenn ich mich in den Klassen vorstelle und sage, dass Homosexualität ein Thema wäre, über das man mit mir reden kann, gibt es Jugendliche, für die diese sexuelle Orientierung negativ behaftet mit mir diskutieren möchten. Homosexuelle Menschen gibt es in ihrem Weltbild nicht.
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Gibt es weitere Themen rund um das Thema Aufklärung, die eure Schüler:innen besonders bewegen?
MC: Das geht in alle Richtungen und ist jedes Jahr unterschiedlich. Einmal sind es Geschlechtskrankheiten, ein andermal – wir unterrichten mehrheitlich junge Männer – ist es die weibliche Sexualität. Für sie ein grosses Mysterium …
AW: Ich sammle die Fragen der Schüler:innen in einem anonymen Briefkasten und gebe sie der externen Fachperson von der AHSGA weiter. Da ist fast alles dabei. Zum Beispiel: Wie häufig ist eine Eileiterschwangerschaft? Woher weiss der Penis, in welches Loch er muss? Wie merke ich, dass ich bereit bin für das erste Mal? Mir ist es sehr wichtig, dass sie wirklich alles fragen können. Ich bin während der Unterrichtseinheit mit den externen Fachpersonen jeweils nicht im Schulzimmer, damit sie wirklich offen reden können. Bewährt hat sich dabei auch die Geschlechtertrennung.
DW: Den anonymen Briefkasten hatte ich auch. Ich habe aber nie eine externe Fachperson beigezogen auf der Mittelstufe, sondern je nach Aspekt die schulische Heilpädagogin. Sie hat dann die Mädels genommen, ich die Jungs. Die Fragen waren ebenfalls recht breit, vom Schwangerschaftsprozess über Genitalien bis zu Beziehungsformen. Ich staunte immer, wie interessiert die Schüler:innen waren. Gerade beim Thema Schwangerschaft. Viele realisieren da zum ersten Mal: Hier entspringt das Leben. So bin ich entstanden.
War die Missbrauchsprävention bei dir auch Thema in der Mittelstufe?
DW: Nicht gesondert, aber ich habe das Thema körperliche Integrität oft einfliessen lassen. Das beginnt schon bei der Frage, warum denn ein Penis erigiert und eine Vagina feucht wird. Nämlich dann, wenn es beide wollen. Und nur dann.
Mit welchen konkreten Fragen kommen die Jugendlichen zur Schulsozialarbeit?
CG: Zu mir als Frau kommen eher die Mädels. Verhütung, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch sind oft ein Thema. Manche berichten auch über Missbrauch und suchen Hilfe. Bei den Jungs dominieren eher rechtliche Fragestellungen. Kürzlich hat einer Nacktbilder von sich geteilt und wollte wissen, wie er diese wieder löschen lassen kann.
Glaubt man gewissen Medien und Parteien, dreht sich in der Schule alles nur noch um «Verschwulung», «Frühsexualisierung» und vor allem trans Menschen.
CG: In den vergangenen sieben Jahren habe ich lediglich zwei Jugendliche erlebt, bei denen eine Transition ein Thema war. Wie hoch die Dunkelziffer ist, kann ich aber nicht sagen.
DW: Ich hatte nie einen solchen Fall in der Mittelstufe. Trotzdem habe ich die sexuelle Identität im Unterricht immer zum Thema gemacht, das war mir wichtig. Die Schülerinnen sind damit immer recht interessiert und sachlich umgegangen.
MC: Transsexualität wird medial überbewertet, finde ich. Hingegen sollte man das Thema Sextortion, also die Erpressung durch Nacktbilder, viel stärker thematisieren in den Schulen. Wir hatten erst kürzlich wieder zwei Fälle, bei denen wir die Schulsozialarbeit und die Polizei beiziehen mussten. Für die Betroffenen ist das eine Riesenqual.
Sexting und Sextortion sind noch junge Phänomene. Bräuchte es hier mehr Aufklärung und Prävention?
MC: Auf jeden Fall. Das muss nicht einmal im Sexualkundeunterricht passieren, das kann auch in der Allgemeinbildung sein. Hauptsache man redet darüber. Gerade bei diesem Thema gibt es ja genug reale Fälle, die man diskutieren kann.
In den sozialen Medien geistern auch beängstigend rückwärtsgerichtete Rollenbilder herum. Junge Frauen orientieren sich an den sogenannten Tradwifes, junge Männer finden Incels oder verurteilte Straftäter wie Andrew Tate cool (siehe Infobox). Ein Thema bei euch im Klassenzimmer?
AW: Selten. Ich weiss aber, dass sie diese Inhalte konsumieren. Genauso wie Deutsch-Rap. Auch da herrschen hoch fragwürdige Rollenbilder vor. Manchmal kommen sie und fragen mich, ob ich diesen Rapper oder jene Influencerin kenne. Wenn ich ja sage, rauschen sie gigelend ab. Dass die konservativen Inhalte abfärben, stelle ich aber nicht fest. Oder nur ganz selten. Im Hauswirtschaftsunterricht sagte ein Schüler einmal, dass er sicher nicht abwasche, weil das «Frauenarbeit» sei. Und eine Schülerin meinte, dass sie sich keine Lehrstelle zu suchen brauche, da sie ja sowieso irgendwann heirate. Aber das sind wirklich Einzelfälle.
CG: Influencer sind sicher präsent im Leben der Jugendlichen, aber welche genau, das kann ich nicht sagen. Das kommt nicht bis zu mir. Ein konservatives Rollenverständnis stelle ich jedoch durchaus fest bei manchen. Zudem kommt es darauf an, was den Jugendlichen vorgelebt wird und welche Vorbilder sie haben. Es gibt Schülerinnen, die wissen, dass sie mit 18 heiraten und Kinder haben werden. Es gibt auch solche, die wissen, dass sie mit 18 ihren Coucousin heiraten werden. Das ist leider eine Realität. Ihr Leben ist klar vorgegeben. Und darüber kann man weder mit den Schüler:innen noch mit den Eltern wirklich reden.
Was machst du in solchen Fällen? Hoffen, dass die junge Frau mit 18 ihre Meinung geändert hat und ihren eigenen Lebensweg machen will?
CG: Absolut. Ich hoffe inständig, dass sie die Kraft entwickeln, sich gegen diese patriarchalen und religiösen Muster aufzulehnen. Die Stärkung der Jugendlichen liegt dann im Fokus. Sonst kann ich nicht viel machen. In der Stadt St.Gallen gibt es Zwangsheiraten. In der Stadt St.Gallen gibt es Beschneidungen von Mädchen. Beides ist verboten und beides existiert trotzdem.
Das sind grosse Tabuthemen.
CG: Ja, darum wollen wir das jetzt ändern. Die Schulgesundheit will diese Themen stärker aufnehmen im Rahmen der ärztlichen Reihenuntersuchungen. Zudem wurde die Zusammenarbeit mit dem Verein gegen Mädchenbeschneidung (agm-ost.ch) intensiviert. Es ist und bleibt jedoch eine Herausforderung, denn es existieren zum Teil Clanstrukturen. Wenn man sagt «ihr dürft das nicht, das ist verboten», passiert dasselbe wie wir vorhin mit den Alphakindern diskutiert haben: Man verliert sie ganz. Dabei wollen wir genau das Gegenteil bewirken: Sie gewinnen und mit ihnen ins Gespräch kommen.
AW: Ganz schlimm. Solche Themen habe ich in meinem Alltag null auf dem Schirm …
CG: … und dennoch kommt es fast überall vor, mutmasslich auch bei euch im Rheintal. In gewissen Kulturkreisen gehört das einfach zur Normalität.
Wenn man das in der Öffentlichkeit thematisiert, tappt man rasch in die Rassismusfalle.
CG: Ja, leider. Es ist sehr schwierig, konstruktiv darüber zu reden. Erst recht öffentlich. Kommt hinzu, dass gewisse Praktiken in diesen Kulturen eine jahrtausendealte Tradition haben. Den Betroffenen klarzumachen, dass Beschneidung und Zwangsheirat in der Schweiz verboten sind, ist nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Für sie gehören diese Praktiken selbstverständlich dazu und haben auch einen ganz grossen Wert. Diese Themen müssen darum unbedingt vermehrt vorkommen im Aufklärungsunterricht.
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Ein Anlass für dieses Gespräch war die Äusserung einer Lehrerin kürzlich an einer Podiumsdiskussion. Sie hat berichtet, dass manche ihrer Kolleg:innen nur ungern Aufklärungsunterricht gäben aus Angst vor konservativen Eltern, die sich an gewissen Stoffen wie Transidentität oder Non-Binarität stossen. Kennt ihr das auch?
AW: Nein, vor den Eltern habe ich keine Angst. Es gibt ja einen eindeutigen Lehrplanbezug bei diesen Themen.
DW: Genau. Darauf können wir uns stützen. Ich hatte nie Probleme mit Eltern. Obwohl, so ganz aus der Luft gegriffen ist die Angst der Kollegin wohl nicht. Einmal habe ich eine Lesbe und einen Schwulen zu mir in den Aufklärungsunterricht eingeladen. Die Eltern wurden nicht vorab informiert. Sie haben sich auch überhaupt nicht beschwert oder so. Allerdings hat mich die Schulleitung danach ziemlich deutlich zurechtgewiesen, dass ich beim nächsten Mal die Eltern zu informieren habe. Da scheint es in gewissen Fällen schon eine erhöhte Sensibilität zu geben.
Dazu tragen auch gewisse Medienkampagnen bei. In Pfäffikon wurde im Sommer 2024 ein schwuler Lehrer ins Visier von konservativen Eltern genommen. Seine Vorgesetzen verweigerten ihm den Rückhalt und er musste die Schule schliesslich verlassen. Und in Zürich haben Dragqueen-Lesungen für Kinder so grossen Wirbel verursacht, dass die aus Sicherheitsgründen nicht mehr stattfinden.
AW: Darum sage ich den Eltern jedes Mal, wenn ich über den bevorstehenden Schulstoff informiere, dass sie sich jederzeit melden und ihre Fragen oder Bedenken äussern können. Bisher habe ich damit nur gute Erfahrungen gemacht. Und was gerne vergessen geht: Manche Eltern sind ja ganz froh, müssen sie die Aufklärung nicht selber machen.
MC: Ich erlebe das ähnlich. Und meistens gilt sowieso: Wenn ich nichts von den Eltern oder Lehrmeister:innen höre, dann sind sie zufrieden.
Wie ist das in der Schulsozialarbeit? Habt ihr oft Elternkontakt?
CG: Wenn Jugendliche zu mir kommen, ist es ihnen meistens wahnsinnig wichtig, dass die Eltern bloss nichts davon erfahren. In einigen Fälle sind die Eltern also nicht involviert. Ausser es wird unumgänglich, dass sie ins Boot geholt werden. Ich strebe grundsätzlich immer eine vernetzte Zusammenarbeit an, da ich die Haltung habe, dass es immer auch die Eltern braucht, wenn eine effiziente und positive Veränderung erzielt werden soll. Bis ich die Eltern jedoch kontaktieren darf, braucht es häufig Zeit. Das ist ein Prozess.
Was würdet ihr verbessern wollen am Aufklärungsunterricht? Habt ihr Wünsche an den Lehrplan, die Themen, das Schulsystem?
DW: Auf den jetzigen Lehrplan kann man sich wirklich gut beziehen. Als Lehrperson muss man sich nicht mehr rechtfertigen, wenn man gewisse Themen mit einer gewissen Ausführlichkeit mit der Klasse bespricht. Diese Grundlage ist gut. Ich wünsche mir vor allem gesellschaftlich mehr Offenheit und Lockerheit. Und dass die Lehrpersonen diese auch aktiv vorleben im Klassenzimmer. Da ist nichts «grusig», sondern einfach nur normal. Kaum ein Schulstoff ist näher am Leben.
AW: Ausser vielleicht die Lohnabrechnung und der Lehrvertrag in der dritten Sek … Aber Spass beiseite: Du hast völlig recht. Und wir Lehrer:innen sind es ja, welche die nächste Generation prägen. Die Verantwortung für diese Offenheit und Lockerheit liegt auch bei uns. Es gibt gute Lehrmittel, gute Angebote, gute Fachpersonen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es mehr Zeit. Eine Lektion ERG (Ethik, Religionen und Gemeinschaft) und zwei bis drei NT-Lektionen (Natur und Technik) pro Woche für alle Themen rund um Aufklärung, Geschlecht, Identität und Beziehungen sind etwas wenig.
MC: Ich wünsche mir, dass die Schulen mehr Budget für externe Unterstützung erhalten. Die ersten zwei Mal habe ich die Fachperson der AHSGA noch aus dem eigenen Sack bezahlt. Die Schulleitung hat gleich realisiert, wie wertvoll diese professionelle und thematisch aktuelle Begleitung ist. Seither gibt sie mir grossen Rückhalt, zeitlich wie finanziell. Dasselbe wünsche ich auch anderen Lehrpersonen.
AW: Absolut. Ich bin so froh, dass auch bei uns die externe Fachperson fix budgetiert ist. Bei den Themen würde ich in Zukunft gewisse rechtliche Fragen noch stärker behandeln. Ich erlebe es immer wieder, dass Jugendliche fragen, welche Inhalte strafbar sind oder welche Bilder sie verschicken dürfen und ab welchem Alter.
DW: Kommt in der Oberstufe nicht die Polizei in die Klassen? Das wären doch eigentlich Themen für die.
AW: Doch, doch, die Kantonspolizei kommt, aber sie hat meistens einen anderen Fokus. Bei uns stellen die Jugendlichen vor allem Fragen zu den Töfflis. Aber klar, der Ansatz, solche Themen wie Medienkompetenz fächerübergreifend zu behandeln, wäre sicher lohnend.
MC: Die Frage, was strafbar ist und was nicht, ploppt auch bei uns an der Berufsschule immer wieder auf. Wenn die Fachperson der AHSGA das thematisiert im Unterricht, gehen sie nachher manchmal in die Pause und sind wie verrückt Handyfotos am Löschen.
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