«Aufklärung statt Ausschluss»
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Saiten: Kulturelle Aneignung ist immer wieder ein Thema. Was entgegnest du jemandem, der dich fragt, wieso du als «Weisser» Dreadlocks trägst?
Collie Herb: Ich persönlich wurde noch nie explizit darauf angesprochen, aber darüber nachgedacht habe ich natürlich schon. Als Schweizer bin ich wesentlich privilegierter als die meisten anderen auf dieser Welt, so viel ist klar. Ich trage die Dreadlocks aber nicht, weil ich jemandem etwas wegnehmen will, sondern weil sie für meine Werte stehen, meine rebellische Grundhaltung. Einen religiösen Hintergrund gibt es nicht.
Die Religion. Auch ein leidiges Thema. Wie gehst du um mit der Homophobie in der Reggae- und Rapszene?
Homophobie ist eine Krankheit, und sie betrifft alle Hautfarben. Ich kann nur für die Schweiz reden, und auch bei uns ist es nach wie vor so, dass Schwule und Lesben nicht gleichberechtigt sind. Das darf man nicht vergessen. Wenn sie unterdrückt werden, muss man aufstehen und dagegen ankämpfen, egal wo – aber nicht, indem man zum Beispiel alle Afrikaner als «rückständig» bezeichnet und sie belehrt. Man muss den Dialog suchen. Als Künstler geht es mir deshalb vor allem um Aufklärung und nicht darum, die Moralkeule zu schwingen.
The Mighty Roots feat. Treesha, Collie Herb & Jo Elle: 26. November, 21 Uhr, Grabenhalle St.Gallen
grabenhalle.ch
Wie «krank» ist die Schweizer Reggae-Szene?
Vor zehn Jahren hat mich das Thema Homophobie sehr beschäftigt; mein allererstes Lied handelt davon. In der Schweiz geht man mittlerweile zum Glück sehr differenziert damit um. Sicher, es gibt auch hier schwarze Schafe, aber die meisten bekannten Schweizer Künstler beziehen klar Position gegen Homophobie. Das Publikum ebenfalls, denke ich, allerdings gibt es ziemlich viele, die sich gar nicht bewusst sind, wie homophob die Texte von manchen afrikanischen oder jamaikanischen Künstlern sind, einfach weil sie Patwa nicht verstehen.
Wer also gegen Homophobie kämpft, müsste zum Beispiel Chichiman von T.O.K. eigentlich boykottieren und nicht noch dazu tanzen – weil das Lied dazu aufruft, Schwule zu verbrennen.
Genau. Oder sich zumindest im Klaren darüber sein, aus welcher Kultur dieser Song stammt. Die Leute in Jamaica sind ja nicht homophob wegen der Musik, sondern umgekehrt. Dort ist Homosexualität immer noch verboten wie auch in vielen afrikanischen Ländern. Das spiegelt sich leider auch in der Musik wider. Künstler deswegen auszuladen, ist aber der falsche Weg. Wer das tut, will sich politisch profilieren, habe ich den Eindruck. Denn wie gesagt: Es geht um Aufklärung, nicht um Ausschluss. Nur so kann man sich konstruktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Ist Bambus, dein neues Album, weniger politisch als die letzten oder ist das nur ein subjektiver Eindruck?
Das stimmt, ja. Früher habe ich oft Klartext gesungen, heute ist meine Musik ein Stück weit entpolitisiert. Das hat damit zu tun, dass ich irgendwann realisiert habe, dass ich dem Publikum mit meinen politischen Texten nur Dinge erzähle, die es ohnehin schon weiss. So geht es nur noch um Solidarität und Bestätigung von «den eigenen Leuten». Das reizt mich nicht mehr. Meine Message hat sich deswegen aber nicht verändert. Ich will nach wie vor die Welt verbessern, einfach gesagt. Aber ich versuche die Leute jetzt eher mit Emotionen abzuholen und weniger mit Politik.
Ganz unpolitisch bist du ja nicht geworden. In Gift zum Beispiel zitierst du Bertolt Brecht, wenn du singst: «Wenn Unrecht zu recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.»
In diesem Lied geht es um die Angst vor dem Fremden, die vielerorts geschürt wird. In den Medien, am Stammtisch und mittlerweile sogar von Künstlern wie Gölä. Dagegen will ich ankämpfen, deshalb heisst es im Refrain: «Los dich ned la vergifte!»
Ein guter Ansatz. Hast du noch andere?
Am besten ist es wohl, wenn man selber Teil dessen wird, was man vertritt: dass man seinen Worten auch Taten folgen lässt. Ich will aber niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu kämpfen hat. Es gibt verschiedene Wege und alle haben ihre Berechtigung.
In Was Wenn Wo geht es um unsere Multioptionsgesellschaft, ums Reisen und den Drang immer noch mehr zu erleben. Eine Form von Selbstkritik? Schliesslich bist du selber auch schon weit herumgekommen…
Sicher. Und auch ironisch gemeint. Wir alle leiden an der Sucht, immer noch eine bessere Option zu suchen. Das zeigt sich zum Beispiel auch in Beziehungen: Viele haben Angst sich zu binden, weil sie denken, dass irgendwo noch jemand «besseres» wartet. Dabei müssten wir doch einfach einmal zufrieden sein, mit dem was wir machen und haben. Das ist für mich der Schlüssel für ein friedliches Miteinander!
Die Songs auf dem neuen Album hast du in Mexiko und Guatemala geschrieben, zwischen Surfen und Hängematte. Wie ging es danach weiter mit der Produktion?
Ich hatte weder Computer noch Internet, darum hatte ich das meiste nur im Kopf gespeichert. Als ich wieder zuhause war, habe ich die Songs dann gleich vorproduziert, ganz rudimentär, und bin damit zu meinem Produzenten Loopsided ins Studio, wo ich schon das letzte Album produziert habe. Zusammen haben wir die Songs dann ausgearbeitet und aufgenommen und parallel dazu auch die Parts mit unserer 12-köpfigen Band, TheMighty Roots, eingespielt. Die Features kamen zuletzt – und ganz am Schluss die Videos.
Die Videos: wichtig oder ein notwendiges Übel zur besseren Vermarktung?
Videos gehören mit zu den wichtigsten Promo-Tools, das ist so. Man erreicht die Leute einfach besser damit. Und man will ja auch ein ansprechendes Gesamtpaket bieten. Ich mache Videos nicht ungern, im Gegenteil, aber die Live-Auftritte stehen für mich ganz klar an erster Stelle.
CD’s und Musik: collieherb.ch