Auf zur St.Galler Partizipationskultur
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Die Stadt St.Gallen hat seit 15 Jahren ein Partizipationsreglement. Es umfasst zwei Instrumente, einen «Migrationsvorstoss» und einen «Jugendlichenvorstoss» – die allerdings in all den Jahren kaum benutzt wurden. Die administrativen Hürden seien zu hoch, das Prozedere zu kompliziert, stellte 2018 eine Motion im Stadtparlament fest und forderte Massnahmen.
Der Stadtrat war gleicher Meinung, machte aus der Motion ein verbindliches Postulat und setzte in Sachen Partizipation einen partizipativen Prozess in Gang. «Der heutige Zustand ist sehr unbefriedigend», sagt Stadträtin Sonja Lüthi, Vorsteherin der Direktion Soziales und Sicherheit. «Wir wollen eine St.Galler Partizipationskultur entwickeln, in der sich alle Bevölkerungsgruppen einbringen können und die nicht nur auf dem Papier existiert.»
Dani Fels, von Seiten der Fachhochschule im Projektteam mit dabei, erklärt das «Desinteresse» an den bisherigen Mitsprache-Instrumenten unter anderem damit, dass man Jugendliche, aber auch Migrantinnen und Migranten mit konventionellen Kommunikationsmitteln nicht wirklich erreichen könne. Es brauche neue Kanäle, um sie einzubeziehen.
Die wichtigste Frage: «Wen betriffts?»
In einem ersten Schritt führte das Projektteam aus Stadtverwaltung und Fachhochschule Interviews mit Anspruchsgruppen – mit Ausländerinnen und Ausländern, Jugendlichen, Quartiervertreterinnen, mit Politik und Verwaltung. Daraus entstand ein Grundlagenbericht, der im zweiten Schritt wiederum in Gruppeninterviews und Foren überprüft wurde.
Parallel arbeite die Stadt auch an einem Konzept, um Kinder besser zu informieren und in Entscheidungen zu integrieren, sowie an einer digitalen Partizipationsplattform, sagt Sonja Lüthi. Momentan ist der Bericht und das neue Partizipationsreglement in den Schlusszügen, im Frühling kommt der Bericht ins Parlament, Details und konkrete Massnahmen seien erst dann zu erfahren.
Diskussion über Urban Citizenship, Partizipation, Recht auf Rechte und eine City Card für St.Gallen: 15. Januar, 19 Uhr, im Kulturkonsulat an der Frongartenstrasse 9 in St.Gallen.
Zu Gast sind Stadträtin Sonja Lüthi, FHS-Dozent Dani Fels, Christian Huber und Jenny Heeb vom Stadtparlament und die IG Sans-Papiers St.Gallen.
Grundsätzlich sagt Lüthi: «Eine Partizipationskultur muss von der ganzen Verwaltung mitgetragen werden. Bei allen Geschäften gehört die Frage mit dazu: Wen betriffts?» Politik soll so quasi einer permanenten Partizipationsprüfung unterzogen werden. Ein zweiter Gesichtspunkt: Mitsprache soll möglichst zu einem frühen Zeitpunkt möglich und selbstverständlich sein – und nicht, wie etwa im Fall der St.Galler Marktplatzplanung, erst dann in Gang gesetzt werden, wenn ein Projekt Schiffbruch erlitten hat.
«Ich finde es sehr wertvoll, wenn viele Leute mitreden und aktiv sein wollen», sagt die Stadträtin. «Aber zugleich muss man den Beteiligten klarmachen, dass am Ende jemand Entscheide fällen muss.» Ziel der künftigen St.Galler Partizipationskultur sei es, bei strittigen Fragen einen Weg zu finden, den am Ende alle mitgehen können.
Wenn jedes zweite Kind ausgeschlossen ist…
Keinen Platz im künftigen Partizipationskonzept hat das Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer – es fehlt die gesetzliche Grundlage. Das Thema müsse beim Kanton angegangen werden, sagt Lüthi. Die Möglichkeit, im Namen der Stadt aktiv zu werden, hätten Lüthi und Stadtpräsident Thomas Scheitlin: Beide sitzen auch im Kantonsrat.
«Aus meiner persönlichen Sicht ist das Thema wichtig», sagt Sonja Lüthi. «Die Stadt St.Gallen hat eine sehr durchmischte Bevölkerung. Jedes zweite Kind, das im Spital zur Welt kommt, hat Migrationshintergrund. Schon aus diesem Grund müssen wir uns Gedanken darüber machen, wer in unserer Gesellschaft künftig mitreden soll und kann. Das gilt für das Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer ebenso wie für das Stimmrechtsalter 16. Die Frage ist, wie schnell das passiert.»
Ernstgemeinte Partizipation könne heute nicht mehr von einem geschlossenen Kreis von Bürgerinnen, Bürgern oder von Stimmberechtigten ausgehen, sagt Dani Fels. Grundlage müsse vielmehr ein Konzept von «citoyennité» sein: Angesprochen sind Einwohnerinnen und Einwohner, unabhängig von Herkunft, Rechtsstatus oder Alter. Wer hier ist, ist hier und hat das Recht, gehört zu werden.
Dieser Beitrag erschien im Januarheft von Saiten.