Auf die Regenbogenflagge körbeln

So. Die Ehe für alle also. Sind wir dafür.
Cool. Bin froh, haben wir das geklärt. Es wäre unrealistisch, so zu tun, als würden Leute, die ein Kulturmagazin lesen, nicht eh dafür sein. Mit einer ausdrücklichen Selbstverständlichkeit.
Zum Zeitpunkt, zu dem ich diese Zeilen schreibe, dauert es noch gute drei Wochen, bis wir überhaupt mal die Abstimmungsunterlagen in den Briefkästen haben. Im Schweizer Fernsehen beginnen ein paar Berufs-Plagöris, ihre Gegenargumente zusammenzukramen (Spoiler: das Kindeswohl). Politologisch gesehen hat die heisse Phase des Wahlkampfs noch lange nicht angefangen, er ist bestenfalls lauwarm, und ich, liebe Lesende, bin:
genervt.
So, so genervt.
Wir könnten jetzt alle mitfühlend nicken, weil es ja schlimm ist, als frauenliebende Frau die ganze Zeit diese elenden Fischli-Argumente gegen Homosexualität zu hören, und ja, eh, das hasse ich, aber das ist es nicht.
Ich bin genervt von denjenigen, die die Ehe für alle gut finden.
Ist doch selbstverständlich. Wir haben 2021. Love is love! Ist ja ganz normal. Meine Nichte, die ist auch. Ein Freund von mir, der hat auch.
(Achtet mal drauf: Wir reden oft über schwule, lesbische und bisexuelle Menschen, ohne die Worte schwul, lesbisch oder bisexuell auszusprechen. Oder aber wir werden ganz, ganz leise. Haben wir Angst, irgendwen zu wecken? Den Geist von Freddie Mercury?)
Je näher die Abstimmung kommt, desto öfter höre ich diese selbstzufriedene Selbstverständlichkeit von casually Linken: «Ist ja klar, Ehe für alle, für mich ist das völlig egal, welche Orientierung jemand hat».
Können wir bitte mal gemeinsam ein Geschichtsbuch aufschlagen und nachsehen, welche politischen Fortschritte erreicht wurden, indem Leute gesagt haben, dass es ja egal ist, und dass das selbstverständlich sein sollte?
Na, was gefunden?
Ich auch nicht. Lustig. Es ist fast so, als wäre wohlwollende Gleichgültigkeit, kombiniert mit Sätzen wie «ich bin da tolerant», nicht der goldene Zenit des Widerstands. Wisst ihr, was ich toleriere? Rückenschmerzen. Schreiende Babys. Einen mehligen Apfel (knapp). Toleranz, das ist: Ertragen. Will ich ertragen werden, weil ich in eine Frau verliebt bin?
Mehr Saiten-Kolumnen von Anna Rosenwasser: hier.
Wenn evangelikale Fundis zusammen mit rechten Glünggis etwas gegen Homosexualität unternehmen wollen, dann passiert in vielen Medien etwas ganz Interessantes: Leute betonen, dass sie nicht homofeindlich sind, während sie eine homofeindliche Position vertreten.
Vor zwei Jahren haben sich ja ähnliche Akteur:innen gegen die Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm eingesetzt, kämpften also dafür, dass öffentlicher Homo-Hass weiter legal bleiben sollte, und behaupteten im selben Moment, sie selber hätten nichts gegen die Homosexuellen, also ein guter Freund von mir, der ist selber. Voldemort.
Es ist so fest nicht mehr en vogue, Homos offen zu hassen, dass wir ein völlig verzerrtes Bild davon haben, was Homofeindlichkeit eigentlich
ist. Wir stellen uns so vor, wie Beleidigungen und Angriffe auf Homos niederprasseln, richtig schlimm. (Passiert noch immer, täglich, auch in den modernen, offenen Städten. #loveislove.)
Aber wir stellen uns viel zu selten vor, wie es sich eigentlich anfühlt für gleichgeschlechtlich liebende Menschen, wenn in der Zeitung diskutiert wird, ob wir gute Eltern seien. Wir stellen uns nicht vor, was es mit uns Homos macht, wenn irgendwelche random Pfarrer Jahr für Jahr eine Plattform kriegen für ihren längst bekannten Homo-Hass. Wir stellen uns nicht vor, was es auslöst bei einem Teil der Bevölkerung, wenn der andere Teil der Bevölkerung darüber abstimmt, ob sie Rechte verdient haben.
Ich glaube, dass wir uns alle gerne vorstellen, dass Homofeindlichkeit so richtig offensichtlich gemein aussieht, herbe Angriffe, absichtliche Beleidigungen. Dann fällt es uns nämlich leichter, uns selbst als tolerant und offen einzuordnen. Love is love, oder.
Dass jetzt eine Mehrheit an Heteros darüber abstimmt, ob Homos irgendwas dürfen, was Heteros schon längst dürfen (zum Beispiel Samenspenden beziehen), bringt uns ausserdem in eine bizarre Diskussion: Wir müssen um die Gunst der Abstimmenden betteln. Liebe Monika, lieber Rolf, ich bin eine mega herzige, sympathische, nette Homosexuelle. Schauen Sie, meine Partnerin auch, wir sind total normal. Dürften wir ächt es bitzeli gleiche Rechte haben? Bittibätti?
Ich könnte auf meine Regenbogenfahne körbeln. Als hätten Rolf und Monika jemals irgendwem beweisen müssen, dass sie normal sind. Oder gute Eltern. Als hätten sie jemals die Erniedrigung über sich ergehen lassen müssen, dass andere darüber diskutieren, ob Rolf und Monika Rechte verdient hätten.
Liebe Lesende, es mag nicht so klingen, aber: Ich bin sehr fest für die Ehe für alle. Nicht nur, weil ich gern an die Hochzeiten meiner Freund:innen eingeladen werde (und vielleicht eines Tages mal selbst eine vom Staat abgesegnete Monogamie feiern will). Sondern, weil ein Ja zur Ehe für alle eine Signalwirkung hat für die queere Community: Suizidzahlen gehen runter bei einem Ja, das zeigen Zahlen aus anderen westlichen Ländern. Ich glaube, ein deutliches Ja zur Ehe für alle tut der homosexuellen Psyche gut. Darum bin ich dafür, und ich bin dafür, dass ihr auch dafür seid.
Stimmt also Ja. Nicht, weil ihr offen und tolerant seid und das doch eine Selbstverständlichkeit ist und euer Cousin, der ist ja auch.
Sondern, weil es das Mindeste ist.