In der Nacht auf Montag findet die Oscarverleihung statt. In der Kategorie Bester Film nominiert sind unter anderem das bildgewaltige Biopic The Brutalist, das umstrittene Transitionsmusical Emilia Pérez, der Animationsfilm Flow, die Beauty-Horror-Kur The Substance, der Vatikanthriller Conclave und die Neuverfilmung des Stummfilmklassikers Nosferatu von 1922.
All diese Filme liefen oder laufen auch im St.Galler Kino Scala, das der Swisscom-Tochter Blue Cinema gehört. An sich keine Neuigkeit, hier stehen seit Jahren kleinere Produktionen und Studiofilme neben grossen Blockbustern auf dem Programm. Neu ist aber das Label: Seit Herbst 2024 bietet das Scala nämlich explizit eine Arthouse-Reihe an, wobei die Definition dieses Begriffs recht breit ist. In den ersten Monaten des Jahres liefen unter diesem Label nebst den bereits genannten Filmen auch Schweizer Produktionen wie Wisdom of Happiness, Friedas Fall, Hölde, Maloney oder – warum auch immer – Kalbermatten.
Blue Cinema betreibt schweizweit 83 Säle. Die Arthouse-Reihe gibt es so nur im Scala St.Gallen. Mit dieser Programmschärfung grenzt sich das innerstädtische Kino Scala (sechs Säle) noch klarer vom Cinedome in Abtwil (zehn Säle) ab, welcher ebenfalls zu Blue Cinema gehört. Dort stehen die Blockbuster und das ganze Drumherum im Zentrum. 2019 wurde der Cinedome unter anderem um eine «First Lounge» und einen 4DX-Saal erweitert, samt sensorischen Effekten und sich bewegenden Sitzen. Im ehrwürdigen Scala läuft das Kontrastprogramm. Es rückt damit auch näher ans Kinok in der Lokremise, das auf Retrospektiven, Spezialprogramme sowie Premierenfilme samt Regiegesprächen setzt und damit sehr erfolgreich ist.
Stark: Autor:innenfilme
und Schweizer Produktionen
Die Entwicklung der Schweizer Kinos zeigt, dass ein klares Profil von Vorteil ist. Die Branche hat sich besser als andere von Corona erholt, die Zahlen bewegen sich laut Bundesamt für Statistik (BfS) nur noch knapp 20 Prozent unter dem Vorpandemie-Niveau. 2024 registrierten die Schweizer Kinos über 10,2 Millionen Eintritte, rund 2 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Marktanteil der Multiplex-Kinos nimmt seit Jahren kontinuierlich zu und beträgt aktuell rund 40 Prozent.
Die definitive Film- und Kinostatistik für das vergangene Jahr wird erst am 17. März veröffentlicht. Bereits klar ist aber: Der Schweizer Film erlebte 2024 mit Filmen wie Bon Schuur Ticino oder Tschugger ein Rekordjahr und hatte einen Marktanteil von nahezu 9 Prozent. Fast eine Million Kinoeintritte wurden gezählt. So erfolgreich war der Schweizer Film zuletzt vor 20 Jahren, als Produktionen wie Die Herbstzeitlosen (2006), Mein Name ist Eugen (2005) oder Achtung, Fertig, Charlie (2003) Rekorde brachen. Die Zahlen der internationalen Independent- und Arthousefilme sind noch ausstehend, doch auch hier zeigt der Trend nach oben. 2023 meldete der Branchenverband Pro Cinema einen Marktanteil von rund 20 Prozent.
Der Graben in der Kinolandschaft scheint also breiter zu werden: Auf der einen Seite die grossen Eventfilme, auf der anderen Seite nationale Produktionen, Arthouse- und Independentfilme. Gilt das auch für St.Gallen? Ist die Profilschärfung im Scala eine Reaktion auf diese Entwicklungen? Und wie geht es eigentlich dem Scala wirtschaftlich?
Konkrete Zahlen für St.Gallen rückt Blue Cinema auf Anfrage nicht heraus. Man sei aber «zufrieden», sagt Benedikt Locher, Chief Product Officer bei Blue Cinema. Die Arthouse-Reihe im Scala entspreche den Wünschen der Gäste. «Wir haben festgestellt, dass insbesondere das Publikum in der Stadt St.Gallen äusserst affin ist für Filme in der Originalsprachfassung. Im Scala St.Gallen zeigen wir daher bereits seit Längerem grosse Hollywood-Blockbuster im Original sowie auch Filme ausserhalb des Mainstream-Kinos.» Das Monatsprogramm mit «auserlesenen Arthouse-Produktionen» wolle den Kund:innen «ein noch breiteres Filmangebot bieten». Bisher sei die Resonanz «sehr positiv».
Niederschwellige Kulturinstitutionen
für die Innenstadt
Und was hält man im Kinok vom Scala-Arthouse-Programm? Sandra Meier nimmt es gelassen. «Zum Teil gibt es Überschneidungen, aber wir betrachten das nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung», sagt die Kinok-Leiterin. «Kinos müssen heute eigenständig und erkennbar sein. Wir bedienen ein anderes Publikum als das Scala und haben ein klar kuratiertes Programm.» Es sei wichtig, dass die städtischen Kinos stark sind, betont Meier. Die Innenstädte profitierten von niederschwelligen Kulturinstitutionen. «Sie sind Orte der Öffentlichkeit und Debatte.»
Meier und das Kinok-Team versuchen diesem Anspruch auf verschiedene Arten gerecht zu werden, unter anderem mit Spezialprogrammen, filmgeschichtlichen Reihen und regelmässigen Filmgesprächen. Das Publikum dankt es dem Kinok mit grosser Treue und Wertschätzung – die Mitgliederzahlen sind auf Rekordhöhe. Der Kinok-Mix funktioniert also auch wirtschaftlich. «Wir sind sehr zufrieden», sagt Meier, «aber wir engagieren uns auch sehr. Es funktioniert nur, wenn man nahe am Publikum ist.»
Im März läuft sowohl im Kinok als auch im Scala der Schweizer Film Heldin über die Pflegefachfrau Floria. Ebenfalls neu in beiden Kinos: The Last Showgirl mit Pamela Anderson und das italienisch-französische Drama Parthenope. Es wäre dem Scala zu wünschen, dass es bald auch seinen eigenen funktionierenden Mix findet und wieder floriert wie in alten Zeiten, schliesslich ist es das letzte verbliebene Traditionskino in der St.Galler Innenstadt. Einst waren es 13.