Auf dem Weg zur Residenz
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Es ist Montag, 14. Mai, 7:20 Uhr: «Hast du Zeit, einen Kaffee zu holen?» Ich gebe mein Bestes und sitze schlussendlich drei Minuten früher als Marcel Hörler im Zug nach Landquart. Dort stösst Hanes Sturzenegger dazu. Gemeinsam tuckern wir mit der Rhätischen Bahn nach ScuolTarasp.
Marcel und Hanes sind zwei der fünf Drahtzieherinnen und Drahtzieher der «Dogo Residenz für Neue Kunst». Das Projekt verfolgt eine ambitionierte Vision: Die im Rathaus von Lichtensteig situierte Residenz möchte zum festen Bestandteil der künstlerischen Nachwuchsförderung in der Schweiz mit internationaler Ausstrahlung werden. Zur Zeit tut sich viel im Rathaus des kleinen Städtlis im Toggenburg: Das Haus gibt seine ursprüngliche Funktion ab und wird zum «Rathaus für Kultur» – auch hier mischen die fünf jungen Kulturschaffenden kräftig mit.
Die «Dogo Residenz für Neue Kunst» werde immer wieder mit dem Projekt Rathaus verwechselt oder gar als ein und dasselbe betrachtet, meint Hanes. Ob das schlimm sei? Überhaupt nicht, die beiden Projekte seien ja miteinander verbunden. Hanes wird bald in Lichtensteig wohnen, von dort aus seiner künstlerischen Tätigkeit und zugleich einigen Aufgaben als Hausabwart nachgehen.
Dass es keine Grossstadt sein muss, um Qualität, Austausch und internationale Ausstrahlung zu generieren, be weist die Fundaziun Nairs in Scuol. Das 1913 errichtete Badehaus ist seit 1986 Heim für Kunstschaffende aus aller Welt. Vor zwei Jahren gelang dem Haus ein wichtiger Schritt: Dank einer aufwendigen (und immer noch andauernden) Renovation konnte der Betrieb 2016 von einem Halb zu einem Ganzjahresbetrieb erweitert werden.
Rathaus Stube: ab 2. Juni, Rathaus Lichtensteig. Eröffnung mit Barbetrieb (ab 14 Uhr), Yes it’s Ananias (19 Uhr) und Panda Lux (20 Uhr).
Auf dem Weg nach Scuol wird diskutiert, was man von dem Besuch in der Fundaziun Nairs und dem Gespräch mit dem künstlerischen Leiter Christoph Rösch erwartet. Im Skizzenbuch von Hanes schreibt Marcel die Gedanken nieder. Doch dieses wird bei der Ankunft in Scuol in der Jackentasche versorgt und bleibt über den ganzen Besuch dort. Während fünf Stunden diskutieren wir angeregt über den Kampf und die Freude, ein Künstlerhaus jenseits des Mainstreams zu führen. Ernsthaftigkeit, Beständigkeit im Werk, aber auch das Interesse am Ort und die Bereitschaft, sich darauf einlassen zu wollen, seien Grundvoraussetzungen für ein vibrierendes Künstlerhaus. So sei für eine nachhaltig funktionierende Residenz eine sorgfältige Auswahl der Kunstschaffenden unabdingbar.
Dass Christof Rösch ein Meister des Spagats ist, dringt deutlich durch. Die Balance zwischen der Auseinandersetzung und der Integration des Ortes und der Qualität des künstlerischen Schaffens sei nicht immer leicht. Reibungsfelder seien vorprogrammiert. Doch – und das betont er ebenso stark – seien diese gut und wichtig und gehörten zum Elixier der Kunst. Die Vermittlungsarbeit ist somit ebenso fixer Programmpunkt, doch nicht allein.
Hier haben die Lichtensteiger Drahtzieherinnen und Drahtzieher definitiv einen anderen Anspruch. Sie haben ein ambitioniertes und umfangreiches Vermittlungsangebot angedacht. Eine Utopie, die Realität werden kann? Vielleicht müssen wir dafür Reibungsfelder zulassen.
Im Frühjahr 2019 wird das Rathaus für Kultur eröffnet, doch zieht die Rathaus Stube bereits diesen Sommer auf den Platz. Start ist am 2. Juni mit Panda Lux. Die Ausschreibung der fünf Plätze im Gemeinschaftsatelier der «Dogo Residenz für Neue Kunst» startet im Juli. Die Ausschreibung der Ateliers im Rathaus läuft seit Anfang Woche.
Dieser Beitrag erscheint im Juniheft von Saiten.