Auf dem Sprung zur Schanzengleichheit

Zu je­dem Trip in die nor­we­gi­sche Haupt­stadt Os­lo ge­hört ei­ne Fahrt auf den Hol­men­koll­bak­ken. Die 1892 er­bau­te und da­mit äl­tes­te Ski­sprung­schan­ze der Welt ist nicht nur der Lieb­ling der Be­völ­ke­rung – sie ist in Nor­we­gen auch ei­ne Staats­an­ge­le­gen­heit. An­fang des 20. Jahr­hun­derts wur­de es zur Ge­wohn­heit im Kö­nigs­haus, zu den Sprin­gen ei­nen blau­blü­ti­gen Ver­tre­ter an den Start zu schi­cken.

Nor­we­ger:in­nen sind sport­ver­rückt. Sie sei auch schon von der Schan­ze ge­sprun­gen, er­zählt ei­ne Ein­hei­mi­sche bei­läu­fig. Un­ser­eins wird es schon beim Blick aus dem Start­haus, das 64 Me­ter über dem Bo­den schwebt, schwind­lig. Von Schan­zen ge­sprun­gen sind Frau­en schon vor über 160 Jah­ren. Tat­säch­lich. Als ers­te Ski­sprin­ge­rin ging die Nor­we­ge­rin In­grid Ves­py 1862 in die Sport­ge­schich­te ein. Als ers­te Mit­tel­eu­ro­päe­rin stell­te 1911 die Ti­ro­ler Grä­fin Pau­la von Lam­berg ei­nen Welt­re­kord auf. Von ih­rem 22-Me­ter-Satz im we­hen­den Kleid exis­tiert so­gar ein Fo­to. Und 70 Jah­re spä­ter sprang die ers­te Frau über 100 Me­ter weit. Heu­te liegt der Welt­re­kord bei den Frau­en bei 230,5 Me­tern.

Sol­che Wei­ten wa­ren lan­ge Zeit nur Män­nern vor­be­hal­ten. Die Frau­en durf­ten nur auf die Nor­mal­schan­zen, wo Sprün­ge um die 100 Me­ter mög­lich sind, und auf die Gross­schan­zen, wo die Bes­ten um die 140 Me­ter sprin­gen. Ski­flie­gen auf den vier zu­ge­las­se­nen Mons­ter-Schan­zen war Frau­en ver­bo­ten. Ein Wett­kampf für Frau­en im Ski­flie­gen, der Kö­nigs­dis­zi­plin im Ski­sprin­gen, fand erst­mals im März 2023 in Vi­ker­sund statt.

Für Ka­tha­ri­na Schmid, Re­kord-Welt­meis­te­rin im Ski­sprin­gen, ist das Ski­flie­gen ein Kind­heits­traum: «End­lich flie­gen. So weit wie mög­lich», sagt sie im Film Sie­ben Se­kun­den. Die Do­ku be­glei­tet die 27-Jäh­ri­ge, die schon bei der Welt­cup-Pre­mie­re der Ski­sprin­ge­rin­nen im Win­ter 2011/2012 am Start war, auf ih­rem Weg zum ers­ten Flug von der gröss­ten Schan­ze der Welt. Die Deut­sche ver­pass­te zwar noch die 200-Me­ter-Mar­ke, bei der sich die Sprin­ger:in­nen bis zu sie­ben Se­kun­den in der Luft hal­ten kön­nen.

Schan­zen­gleich­heit gibt es noch im­mer nicht: Ei­ne ab­ge­speck­te Two-Nights-Tour soll den Frau­en das War­ten auf die ei­ge­ne Vier­schan­zen­tour­nee, wo es bei den Män­nern ei­nen gol­de­nen Ad­ler und über 150’000 Fran­ken zu ge­win­nen gibt, ver­kür­zen. Bei der zwei­ten Aus­ga­be im Ja­nu­ar 2025 gab vor al­lem ei­ne miss­glück­te Prä­mi­en­ak­ti­on zu re­den: Die Sie­ge­rin der Qua­li­fi­ka­ti­on er­hielt ei­nen Beu­tel mit Dusch­gel, Sham­poo und vier Hand­tü­chern. Es ha­gel­te von al­len Sei­ten Kri­tik. Die FIS muss­te re­agie­ren. Ab der Sai­son 2026/27 sol­len die Welt­cup­sprin­gen für Frau­en und Män­ner zu­sam­men­ge­legt wer­den, kün­dig­te Renn­di­rek­tor San­dro Per­ti­le an. Hof­fen wirs.

Na­tha­lie Grand, 1967, ist freie Jour­na­lis­tin und Pro­jekt­mit­ar­bei­te­rin bei der Stif­tung Sucht­hil­fe. Sie steht seit über 15 Jah­ren als Fuss­ball­trai­ne­rin auf dem Platz und an der Sei­ten­li­nie. Im Herbst 2021 star­te­te sie in St.Gal­len ein Pro­jekt zur För­de­rung des Mäd­chen- und Frau­en­fuss­balls. Bis zum Start der Frau­en-EM 2025 in der Schweiz schreibt sie über Frau­en, Sport und Gleich­stel­lung. Il­lus­triert wird die Ko­lum­ne von Lea Le.

Der Song zum Text: «Mit der rich­ti­gen Per­son an dei­ner Sei­te wird selbst der freie Fall zum Hö­hen­flug. Du schaffst Din­ge, die sonst nie­mand kann», singt Ni­na Chuba pas­send in ih­rem neu­en Song Flie­gen.