«Auch Fussballfans sind kulturaffine Leute»

Was Typografie, der Schwarm und der Walter-Gropius-Bau mit Fussball zu tun haben: Die 15. Ausgabe des St.Galler Fussballmagazins «Senf» mit dem Titel «Kunstrasen» widmet sich dem Thema Fussball und Kunst. Die Ausstellung dazu im Haus zur Ameise ist am Samstagnachmittag nochmals geöffnet.
Von  Corinne Riedener
Bilder: Remo Zollinger

Angesichts der lustigen Liveticker könnte man fast vergessen, dass unsere Kolleg:innen vom St.Galler Fussballmagazin «Senf» auch noch andere Textsorten beherrschen. Und das ziemlich kompetent. Die neuste Ausgabe, die am Donnerstagabend im Haus zur Ameise lanciert wurde, ist wieder prall gefüllt mit Lesenswertem und ebenso reich bebildert, diesmal mit einem Fokus auf Fussball und Kunst. 114 Seiten. So dick war der «Senf» noch nie.

Bei diesem Thema hat es sich natürlich angeboten, den Heft-Release mit einer Ausstellung zu verbinden. Im Haus zur Ameise hängen noch bis Samstagabend Illustrationen und Grafiken von 27 Künstler:innen aus der Schweiz, Italien, Deutschland und England, hübsch auf Leinwand gezogen. Die Werke sind auch im Heft zu finden. Jürgen Klopp lacht einen gleich viermal an, auch Maradona ist hoch im Kurs, aber nebst den berühmten Köpfen wurden auch Themen wie Diversität, Taktik oder das Fandasein verbildlicht.

Ebenfalls im Ameisenhaus ausgestellt und als Pagina im Heft integriert, sind diverse Rückennummern. Der Text dazu von Senf-Grafiker Fabian Rietmann geht auf die Tradition des Nummerierens ein, aber auch auf die typografische Ästhetik und die Entstehungsgeschichte der Ziffern. Der Clou: Jede einzelne ist per QR-Code samt Namen abrufbar und kann als Poster bestellt werden.

Das Kunstverständnis des «Senf»-Kollektivs ist aber wesentlich breiter und umfasst diverse Kultursparten. Groundhopper Andrin Brändle beispielsweise geht der «Kurvenkunst» nach und beleuchtet die bunte St.Galler Choreo-Geschichte genauer. Eine besonders reizvolle Kulturtechnik, da sie nur im Schwarm und mit anonymen Urheber:innen funktioniert.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Street Art der Ultras, auf die Florian Oertle in seinem Text eingeht. Oder bei den Fanzines. Auch sie sind für gewöhnlich ein Kollektivwerk, das von DIY-Mentalität und alternativer Rechtschreibung lebt. Ruben Schönenberger geht der Geschichte dieser unkommerziellen Publikationsart, die ihre Wurzeln in der Musikszene hat, nach und hält, wohl zurecht, fest: «Fanzines sind das Vinyl der Fussballfans.»

Doch auch bei den Fussballfans ist nicht alles handglismet oder halblegal wie Fanzines oder Tags. Das ist nur ein lästiges Prolo-Image, wie auch Dorothea Strauss, die ehemalige Kuratorin der Kunst Halle Sankt Gallen, im Interview mit Oliver Kerrison klarstellt: «Wir dürfen uns nichts vormachen: Auch Fussballfans sind kulturaffine Leute; und umgekehrt gibt es ganz viele Künstler:innen, die sich mit Fussball beschäftigen. Seit den 1960er- und 1970er-Jahren ist das Fansein längst nicht so weit vom Intellektuellen und Philosophischen entfernt, wie es dargestellt wird.»

Und zack, sind wir in der sogenannten Hochkultur gelandet. Diese bekommt Platz, ganze zehn Seiten, ist aber äusserst bekömmlich und führt einige Aspekte des Hefts zusammen. Dorothea Strauss hat im Vorfeld der WM 2006 die Ausstellung «Rundlederwelten» im Walter-Gropius-Bau kuratiert und blickt auf diese Arbeit und einige ausgewählte Werke zurück, ordnet aber den Kunstzirkus auch ein und gibt einiges an Kontext. Sehr lesenswert.

Ebenfalls lohnend ist die «2. Halbzeit» mit Patric Dal Farra alias Tinguely dä Chnächt, der auch eine eigene Fussballkolumne beim Magazin «zwölf» betreibt. Er philosophiert über Fangesänge und bringt vielleicht bald einen Track namens «Es ist vorbei, bye bye Bayern» raus, wer weiss. Und der Legende nach hat er 1982, als Italien Weltmeister wurde, vor Freude einen Stuhl aus dem Fenster geworfen.

Ausstellung «Kunstrasen» Senf #15: 5. Februar, 14 bis 18 Uhr, Haus zur Ameise St.Gallen

Senf bestellen: senf.sg

Wo wir grad dabei sind – die Architektur darf natürlich auch nicht fehlen, wenn es um Fussball und Kunst geht. Nicole Eberle hat mit dem Künstler Florian Graf über Stadionarchitektur und Baukunst gesprochen. Er glaubt zwar nicht, dass ein Stadion ein Kunstwerk sein kann, hat aber seinen ganz eigenen Weg gefunden, die Kunst ins Stadion zu bringen.

Bei so viel Kunst und Kultur in einem Heft macht «Senf» Saiten fast schon ein bisschen Konkurrenz. Was schön ist! Wir beim «Ostschweizer Kulturmagazin» freuen uns jedenfalls, dass es Leute gibt, die den Nerv haben, ein noch dickeres Kulturmagazin zu machen als wir.